Buch: „Kryonium“
Autor: Matthias A. K. Zimmermann
Verlag: Kulturverlag Kadmos
Ausgabe: Hardcover, 352 Seiten
Der Autor: Matthias A. K. Zimmermann (Matthias Alexander Kristian Zimmermann) wurde 1981 in Basel (Schweiz) geboren. Er ist Schriftsteller, Maler und Medienkünstler. Sein Werk erfuhr eine breite Rezension und befindet sich in Sammlungen und Archiven diverser Museen und Institutionen. Er studierte musikalische Komposition, Kunst & Vermittlung, Game Design, Art Education und Pädagogik. (Quelle: Kadmos)
Das Buch: Gefangen an einem unbekannten Ort, schmiedet der Erzähler heimlich Fluchtpläne. Die Tatsache, ohne Erinnerungen zu sein, erschwert das Vorhaben. Doch der Drang, endlich auszubrechen aus diesem furchteinflößenden, schneeverwobenen Schloss, lässt ihn jedes Risiko eingehen. Und so gerät der Erzähler immer tiefer hinein in einen wirren Strudel aus rätselhaften Begegnungen und magischer Paranoia, die er spielerisch zu entschlüsseln hofft, was ihn letztlich zum Ursprung seiner Erinnerungen führt.
Der All-Age-Roman ist ein technoides Märchen, das sich mit Virtualität auseinandersetzt und die Frage aufwirft, was Erinnerungen sind und was sie bedeuten. Nichts ist so, wie es scheint in der Geschichte und die Frage, was Realität ist, muss immer wieder neu überdacht werden. (Quelle: Kadmos)
Fazit: „Kyronium“ ist eines dieser Beispiele für Bücher, in die man sich manchmal wirklich hineinarbeiten muss, um letztlich dann aber doch noch ein recht faszinierendes Leseerlebnis zu bekommen. So hat mir der Verlag das Rezensionsexemplar freundlicherweise schon vor einer halben Ewigkeit zukommen lassen und ich machte mich auch bald frisch ans Werk – nur um daraufhin mehrmals bereits im ersten der insgesamt drei Teile des Buches zu scheitern.
In erster Linie lag das daran, dass in diesem ersten Teil alles irgendwie seltsam anmutete. Die Protagonistin befindet sich in einem Schloss und hat ihr Gedächtnis verloren. Sie weiß weder, wer sie ist, noch wie sie in dieses Schloss gekommen ist oder wo sich selbiges genau befindet. Sie kennt lediglich ihre Aufgabe – die Leitung der sogenannten Lichtwerkstatt, in der unzählige Glühlampen hergestellt werden – sowie die Hierarchie im Schloss, an deren Spitze sich der König und dessen Ritter befinden, gefolgt von einer aus Wachen und Hofdamen gebildeten Mittelschicht. Darunter wiederum befinden sich alle weiteren Untertanen. Das Schloss steht auf einer kleinen Insel, nebenan liegt ein von Zwergen, Kobolden, Gnomen sowie vereinzelten Einhörnern und einer verhaltensoriginellen Hexe bewohnter Wald. Die Insel ist umschlossen von einem eisbedeckten See und unter der Eisschicht wiederum lautert ein sagenumwobenes Monster, das gelegentlich in Form von, sagen wir, schwarzem Nebel erscheint und sämtliche Fluchtversuche von der Insel vereitelt, weil diese mit dem Tode der Flüchtenden enden. Man fühlt sich als Leser ein bisschen wie in „Lost“ und ist es auch. Also verloren halt.
Der Einstieg wurde zusätzlich durch die Verwendung von eher kryptisch wirkenden Elementen erschwert, wie beispielsweise einer wahren Palindrom-Flut, die der Autor nicht nur in Form der Namen seiner Figuren wie u.a. Nora, Aron und Hannah auf die Leserschaft loslässt, sondern noch weit darüber hinausgeht, was in Summe aber irgendwann so wirkt, als hätte der Autor einfach eine Liste von Palindromen gegoogelt und dann versucht, möglichst viel davon halbwegs sinnvoll im Buch unterzubringen, als Beispiel sei hier mal der „Legovogel“ genannt. Ähnlich seltsam wirken die im Buch genannten Uhrzeiten. Wann immer jemand auf die Uhr sieht, ist es 09:09 Uhr, 08:08 Uhr, 07:07 Uhr etc. pp.
Das alles sorgte im Hinblick auf die Frage „Was will mir der Autor nur damit sagen?“ für Schulterzucken und Stirnrunzeln bei mir und in der Folge dann für den mehrmaligen Abbruch der Lektüre.
Nun wusste ich, unter anderem aufgrund der Vita des Autors, ja, dass es in „Kryonium“ irgendwie auch um Videospiele gehen sollte und das ist ja eigentlich schon so ein bisschen mein Thema, also bin ich drangeblieben und wurde letztlich doch belohnt.
„Get out of the Hinterlands“ heißt ein unter PC-Spiel-Fans – übrigens völlig zu Recht – gut gemeinter Rat über das Rollenspiel „Dragon Age: Inquisition“, womit man ausdrücken möchte, dass man das „Die Hinterlande“ genannte Startgebiet in diesem Spiel möglichst schnell hinter sich lassen möge, um einen extrem zähen Spieleinstieg zu verhindern. Und hier gilt das ebenso, mein Rat kann daher nur sein, möglichst schnell diesen ersten Teil hinter sich zu lassen.
Denn dann ergibt plötzlich alles einen Sinn. Auch der erste Teil. Und die Palindrome. Und auch die Zusammenhänge zu Videospielen werden deutlich: Der Fluchtversuch der Hauptfigur aus dem Schloss im ersten Teil ähnelt einem klassischen „Point & Click Adventure“, aus einem eben solchen, nämlich „The Secret auf Monkey Island“ hat sich der Autor ein Zitat über einen dreiköpfigen Affen entliehen – davon hätten es gerne noch mehr sein können, die Zielgruppe hätte sicherlich auch Anspielungen auf einen Pfeil im Knie oder den immer gleich bleibenden Krieg verstanden -, die genannte verhaltensoriginelle Hexe fungiert als „Endgegner“ im Stile eines Action-Adventures, die Protagonistin muss sich später levelartig durch verschiedene „Welten“ arbeiten, die an „Pac-Man“, „Zelda“, einen Hauch „Populous“ oder das aus seligen 64er-Zeiten entstammende „Junge Hunt“ erinnern und zwischenzeitlich fühlt man sich an den „Animus“ von „Abstergo Industries“ aus „Assassin’s Creed“ erinnert. Böhmische Dörfer? Tja, Pech … ;-) Ich bin mir überdies sicher, dass das Buch noch weitere derartige Bezüge enthält, die mir gar nicht aufgefallen sind.
Ähnlich wie die Bezüge zu Platons Höhlengleichnis, was mir, wie ich gerne zugebe, erst durch die Lektüre des Nachworts klar wurde, da meine Kenntnisse in der griechischem Philosophie belagenswert überschaubar sind. Dafür kenne ich „Assassin’s Creed“ …
„Kryonium“ lässt sich in erster Linie als literarisches Experiment mit spannender Fragestellung und philosophischem Hintergrund begreifen. Es lässt sich sicherlich aber auch als Unterhaltungsroman lesen, wenn man es denn möchte. Nur geht dann ein bisschen die Wirkung verloren. Und das wäre schade.
Kurz: „Kryonium“ ist ein phasenweise forderndes Leseerlebnis mit nicht niedrigem Anspruch, auf das man sich einlassen muss und mit einem nahe an einer literarischen Wurzelbehandlung vorbeigehenden Einstieg. Wer sich darauf einlässt, wird jedoch durchaus belohnt.
Ich bedanke mich beim Kulturverlag Kadmos für die freundliche Übersendung des Rezensionsexemplars. Die Tatsache, dass es sich um ein Rezensionsexemplar handelt, beeinflusst meine Meinung selbstredend nicht.
Wertung:
8 von 10 Punkten
Demnächst in diesem Blog: „Fragen zu „Corpus Deliciti““ von Juli Zeh ooooder „Staub zu Staub“ von Felix Weber.