„Die Entdeckung des Unendlichen – Georg Cantor und die Welt der Mathematik“ von David Foster Wallace

Buch: „Die Entdeckung des Unendlichen“

Autor: David Foster Wallace

Verlag: Piper

Ausgabe: Taschenbuch, 416 Seiten

Der Autor: David Foster Wallace, geboren 1962 in Ithaca/New York, gilt als postmoderner Kultautor und Chronist des amerikanischen Way of life. Seine Romane, Essays und Storys „gehören zum intellektuell und künstlerisch Verwegensten, was die moderne amerikanische Literatur in den vergangenen Jahren hervorgebracht hat“ (Der Spiegel). Im September 2008 nahm sich David Foster Wallace in seinem Haus in Kalifornien das Leben. (Quelle: Piper)

Das Buch: David Foster Wallace, Legende der amerikanischen Gegenwartsliteratur, erzählt die Geschichte des Unendlichen. Dieses Buch ist eine philosophische Einführung in ein großes Thema der Mathematik und zugleich eine Verneigung vor der Totalität des Kosmos und der menschlichen Geisteskraft: Wie das Unendliche denken? (Quelle: Piper)

Fazit: Menschen, die mich näher kennen, wissen, dass ich alles andere als ein mathematisches Genie bin. Ich habe die Mathematik in Schulzeiten in einem Zustand, der mir sicherlich ohne Aufhebens Zutritt zu Dantes fünftem Kreis der Hölle gewährt hätte, bis einschließlich der Klasse 12 absolviert bzw. durchlitten. Als ich der Lehrkraft eröffnete, dass es das dann in mathematischer Hinsicht für mich war, sagte besagter Mathelehrer in verächtlich-sarkastischem Ton vor versammelter Mannschaft: „Och, schade, die Stütze des Kurses verlässt uns!“, wofür er sich heute noch eine Schelle verdient hätte.

Aber er hatte ja recht, denn hinsichtlich der Vermittlung von Mathekenntnissen war mit mir zu dem Zeitpunkt schon lange nichts mehr anzufangen. Aber: Ich fordere mich gerne! Gut, in erster Linie nur in literarischer Hinsicht, aber was solls!? Und weil das so ist, habe ich in der Vergangenheit bereits schon den einen oder anderen Roman, das eine oder andere Sachbuch mit mathematischem Sujet gelesen. Anzuführen wären hierbei beispielsweise Simon Singhs Buch „Fermats letzter Satz“ oder Patrick Hofmanns Roman „Nagel im Himmel„.

Zugegeben, in die Kernbereiche der jeweiligen mathematischen Thematik bin ich dabei üblicherweise nicht vorgedrungen, will sagen, dass ich den Autoren in dieser Hinsicht nicht vollumfänglich folgen konnte. Aber das ist ja kein Grund, es nicht trotzdem nochmal zu probieren. Und so stand ich also vor langer, laaaaanger Zeit – seit ebenso laaaaanger Zeit lag das Buch nämlich nach drei erfolglosen Leseversuchen auf meinem Stapel ungelesener Bücher – in der Buchhandlung meines Vertrauens und ergriff frohen Mutes Wallace Buch, auf dass dieser Autor nun geeignet sei, sämtliche mathematischen Defizite bei mir hinwegzufegen und … nun ja, den Versuch war es wert.

Dabei gibt sich Wallace ja redlich Mühe. Zugegeben, seine Erwähnung, dass das Buch ein Versuch sei, Cantors Mathematik auch denen verständlich nahezubringen, die keine mathematische Hochschulbildung besitzen, war sicher gut gemeint, wirkt für jemanden, der bereits an der normalen Oberstufenmathematik gescheitert ist, allerdings nahezu einschüchternd. Zu recht, wie sich später herausstellen sollte …

Der Einstieg jedoch gelingt tatsächlich recht gut. Wallace beschäftigt sich erfreulich ausgiebig mit der Geometrie der alten Griechen und ähnlichen Grundlagen. Die ganze Sache auflockernd kommen dabei beispielsweise auch nochmal die Paradoxa des Zenon zur Sprache – u. a. die Geschichte mit Achilles und der Schildkröte, die Älteren werden sich erinnern. Auffällig ist hierbei der extensive Gebrauch von Fußnoten in Form von „FESI“-Abschnitten. „FESI“=Falls es Sie interessiert“ Diese Abschnitte dienen der Vertiefung des Gelesenen, stellen aber für entsprechend vorgebildete Teile der Leserschaft keinen Erkenntnisgewinn dar und können daher weggelassen werden.

Bereits hier zeigten sich beim Rezensenten kleine Ausfallerscheinungen im Basiswissen, denn: „Welche Zahlenmengen gab jetzt noch gleich und welche Zahlen gehören dazu.“? Die Gründe für diese Ausfallerscheinungen sind allerdings in erster Linie im massiven zeitlichen Abstand zum Matheunterricht zu finden und waren mittels Suchmaschinennutzung flugs auszubügeln.

Das Lesetempo ließ dann in der Folge allerdings deutlich nach, denn Wallace bewegt sich von den Griechen weg und diversen Mathematikern, die alle in irgendeiner Weise für Cantors Erkenntnisse wichtige Vorarbeiten geleistet haben, zu. Hier war ich zeitweise lange mit einzelnen Seiten, einzelnen Formeln beschäftigt, um selbige wirklich zu verinnerlichen, was dazu führte, mich zwischenzeitlich zu fragen, ob ich nicht lieber Prousts Gesamtwerk oder das Telefonbuch von Olpe im Sauerland auswendig lernen sollte …

Gänzlich vorbei war es für mich dann, als sich Wallace erstmals seinem Protagonisten und dessen Arbeit zuwendet. Der mehrseitige Abriss über Cantors Lebenslauf entzog sich selbstredend nicht meinem Verständnis, alles Folgende jedoch schon. Innerhalb weniger Seiten hatte ich als Leser das Gefühl, zusehends mit Formeln beworfen zu werden, die nie gesehene Symbole beinhalteten und sich nicht nur deswegen meinem Verständnis entzogen. Zusehends fragte ich mich halt eben auch, warum ich mir das antue. Und meine linke Gehirnhälfte, mit der Lektüre selbst vollauf beschäftigt, begann bereits zu winseln und stimmte der mir selbst gestellten Frage vehement zu: „Genau! Wieso eigentlich?“ Mein limbisches System forderte derweil ein, sich doch lieber das Nachtprogramm von Sport1 anzusehen, während meine rechte Gehirnhälfte lapidar verlauten ließ, für all das nicht zuständig zu sein. Nach der Ankündigung des Nachhirns, sich mit den anderen solidarisch zu erklären und seine Tätigkeit umgehend einzustellen, was recht unerfreuliche Folgen hätte haben können, und dem sich daraus entwickelnden zerebralen Generalstreik, sah ich mich zum Einlenken gezwungen.

Tja, und an der Stelle war es das dann für mich, so etwa ab Seite 160 war absehbar, dass alles Folgende für mich keinen Erkenntisgewinn, sondern schlicht eine massive Überforderung und vollständige Zeitverschwendung darstellen würde.

Ich werde also wohl nie erfahren, wie Georg Cantor mathematisch das Unendliche bewiesen hat. Und wenn, dann würde ich es nicht verstehen. Mit dieser Erkenntnis ausgestattet und zudem seit jüngster Vergangenheit um die Erfahrung reicher, dass ich nach Jahren der entsprechenden Abstinenz mittlerweile echt schlecht Schach spiele, sollte ich vielleicht die Erkenntnis ableiten, mich von allen die Logik betreffenden Dingen weitgehend fernzuhalten und mich banaleren Dinge zuzuwenden.

RTL II oder so, irgendwas, was mich halt nicht überfordert …

Demnächst in diesem Blog: Keine Ahnung, vielleicht „Erebus“ von Michael Palin …

„Der Name der Rose“ von Umberto Eco

Buch: „Der Name der Rose“

Autor: Umberto Eco

Verlag: dtv

Ausgabe: Taschenbuch

Der Autor: Umberto Eco, 1932 in Alessandria (Piemont) geboren, lebte bis zu seinem Tod am 19. Februar 2016 in Mailand und lehrte Semiotik an der Universität Bologna. Er verfasste zahlreiche Schriften zur Theorie und Praxis der Zeichen, der Literatur, der Kunst und nicht zuletzt der Ästhetik des Mittelalters. Der Roman ›Der Name der Rose‹ (dt.1982) machte Eco weltberühmt, viele weitere Romane folgten und wurden Bestseller. Er war einer der bedeutendsten Schriftsteller und Wissenschaftler unserer Zeit. Für sein Werk wurde er mit nicht weniger als neunundvierzig Ehrendoktorwürden aus aller Welt geehrt. (Quelle: dtv)

Das Buch: Italien, 1327. In einem abgeschiedenen Benediktinerkloster kommt es innerhalb kürzester Zeit zu unheimlichen Todesfällen: Ein Mönch ertrinkt im Schweineblutbbottich, ein anderer springt aus dem Fenster und ein dritter liegt tot im Badehaus. Der Abt bittet den für seinen Scharfsinn weithin bekannten William von Baskerville um Hilfe. Bei seinen Nachforschungen schafft sich der ehemalige Inquisitor einen ebenso gnadenlosen wie mächtigen Feind. Die Spuren führen William und seinen jungen Adlatus in die labyrinthische Klosterbibliothek, über die der blinde Jorge von Burgos wacht … (Quelle: dtv)

Fazit: Unlängst stand ich in der Buchhandlung meines Vertrauens und sagte zum dazu passenden Buchhändler meines Vertrauens sinngemäß: „Falls Sie übrigens mal wissen wollen, was aus dem Genre des historischen Romans geworden ist: DAS DA!“ Nur um dabei mit dem anklagenden Zeigefinger verächtlich auf die lange Reihe mutmaßlich kitschiger Machwerke zu deuten, auf deren in Fluchtreflexe auslösenden Pastellfarben gehaltenen Covern immer und ausschließlich eine Frau in vorsintflutlicher Kleidung inklusive Reifrock abgebildet ist, die sich in malerischer Umgebung befindet, wozu zwingend eine Burg oder aber ein Bau aus der Romantik im Hintergrund gehört, während besagte Frau beispielsweise in einem Mohnfeld steht, mutmaßlich weil sie in dreiundzwanzigster Generation eine gutgehende Opiumhandel-Dynastie leitet.

Denn sie ist augenscheinlich vorbei, die Zeit gut recherchierter und spannend geschriebener, aber eben nicht überromantisierter historischer Romane, die Zeit also von Büchern wie „Das Halsband der Taube“ von E.W. Heine, Tanja Kinkels „Unter dem Zwillingsstern“ oder meinetwegen dem allgegenwärtigen „Die Säulen der Erde“ von Ken Follett. Und sie wurde ersetzt durch eine Zeit von „Die Wanderhure und die Nonne“, „Die Entführung der Wanderapothekerin“, „Ein Schatten von Verrat und Liebe“ oder ähnlichen Werken, was ich ganz wertfrei meine, weil offensichtlich alles irgendwie seine Daseinsberechtigung hat. Haben soll …

Mit dieser Entwicklung konfrontiert, bleibt einem eigentlich passionierten Leser historischer Romane also vermutlich kaum ein gangbarer Ausweg, als sein Hauptaugenmerk auf ältere Werke zu richten. Und so fügte es sich ganz gut, dass ich – ich erwähne das gelegentlich – eine ganz zauberhafte Person, die sich an dieser Stelle herzlich gegrüßt fühlen darf,  davon überzeugen konnte, mir mehrmals im Jahr anlassbedingt Bücher aus der Abteilung „Klassiker“ zukommen zu lassen, zu der Ecos Buch zweifelsohne zählt.

Wobei es keine Selbstverständlichkeit war, dass ich mich mit „Der Name der Rose“ nochmal beschäftigen würde, denn meine bisherige Auseinandersetzung mit Ecos Bücher verlief nicht gänzlich ohne Komplikationen. Eigentlich hatte ich ja vergleichsweise viel Freude mit Büchern wie „Baudolino“, „Der Friedhof in Prag“ oder auch „Nullnummer“, da war aber immer noch mein bis heute andauerndes Scheitern an „Das Foucaultsche Pendel“ – und von der legendären Verfilmung von 1986, die ich einige Jahre nach ihrem Kinostart gesehen habe, ist in meinem damaligen jugendlichen Ich in erster Linie die halbnackige Valentina Vargas hängengeblieben.

Nach einem weiteren Blick auf die oben genannten Pastellalbträume stand mein Entschluss jedoch unwiderruflich fest … Und bereut habe ich diesen Entschluss nicht, “ Der Name der Rose“ reiht sich nahtlos ein in die Reihe überzeugender Eco-Leserfahrungen. Auch und gerade weil er so viel mehr darstellt, als „nur“ einen Krimi im historischen Gewand.

Als Erzähler fungiert Adson von Melk, der als Adlatus an der Seite des britischen Franziskanermönchs William von Baskerville im Jahr 1327 in einer Abtei im Appenin ankommt. Ursprünglich hat William dort den Auftrag, ein Treffen zwischen Vertretern des Papstes, des Kaisers und des Franziskanerordens zur grundsätzlichen Klärung einiger theologischer Fragen organisieren. Zum Zeitpunkt der Ankunft ist in der Abtei jedoch bereits ein Mord geschehen und Abt Abbo beauftragt William mit den Ermittlungen. In der Folge entwickelt sich unter anderem durch die Abgeschiedenheit der Abtei ein Art Whodunit-Krimi, der in seiner Komplexität seinesgleichen sucht, zumindest wenn man heutige Genrevertreter als Vergleich heranzieht. In sieben Kapiteln, die einen Zeitraum von sieben Tagen abdecken und ihrerseits nach dem Stundenbuch in Abschnitte von Prim bis Matutin eingeteilt sind führt der Autor seine Leserschaft über eine Vielzahl von falschen Fährten und zahlreichen Verdächtigen hin zu einem furiosen Finale in einer labyrinthisch angelegten Bibliothek.

„Der Name der Rose“ beschränkt sich aber nicht nur auf seine Krimihandlung, die ich als solches bereits als völlig ausreichend empfinden würde. Es ist darüber hinaus eben auch ein Sittengemälde zumindest des religiösen Elfenbeinturms vergangener Zeiten sowie ein Buch, das sich ausufernd mit philosphischen und theologischen Fragestellungen beschäftigt. Das muss man mögen und wer keinen Bezug dazu und kein Interesse daran hat, sondern sich stattdessen einfach „nur“ einen historischen Krimi wünscht, wird mit weiten Teilen des Buches keine Freude haben. Ich allerdings hatte sie, weil in meiner Wahrnehmung eben die Passagen der oben genannten Fragestellungen ausgesprochen viel zur Atmosphäre des Buches beitrugen.

Das tun ihrerseits auch die Charaktere im Rahmen ihrer Möglichkeiten, bei denen ich mich der Einfachheit halber auf die beiden Protagonisten beschränke. Adson von Melk liefert hierbei, auch in erzählerischer Hinsicht, einen überzeugenden Adlatus ab. Er weiß sehr genau, wo sein Platz ist, erlaubt sich aber im Laufe der Zeit mit zunehmendem Vertrauen zu William immer häufiger kritische Nachfragen. William wiederum ist der alles übertrahlende Protagonist dieser Erzählung. Ein ehemals für die Inquisition tätiger, sehr scharfsinniger Mann, der gerne diskutiert. Mit zunehmender Dauer des Romans fällt William mir allerdings immer wieder mit schon auffällig progressiven Meinungen auf, die zum Teil eher heutiger Zeit zuzuordnen wären und die als solche irgendwie deplaziert bis anachronistisch wirken. Zugunsten des Autors vermute ich aber einfach mal, dass das so sein soll. Grundsätzlich sei jedenfalls gesagt, dass Ecos überraschend zahlreiches Figurenensemble keine Wünsche offen lässt.

Wünschen werden sich Teile der Leserschaft allerdings vielleicht, dass Eco seinen Roman phasenweise in sprachlicher Hinsicht etwas zugänglicher gestaltet hätte. Gerade in den Passagen, in denen philosophische oder theologische Themen und Grundsatzfragen diskutiert werden, neigt der Autor ein wenig zur sprachlichen Weitschweifigkeit. Aber auch abseits dieser Passagen ist „Der Name der Rose“ ein Buch, dass seine Leserschaft durchaus fordert, ohne sie allerdings so wirlich zu überfordern. Ich persönlich mag so etwas ja, weswegen ich den Roman in Summe für ein hervorragend geschriebenes Buch halte.

Wer also wie ich die eine oder andere literarische Kenntnislücke aufweist oder auch nur genervt von den Pastellcovern ist, dem kann man die Lektüre nur wärmstens empfehlen.

Demnächst in diesem Blog: „Die Entdeckung des Unendlichen – Georg Cantor und die Welt der Mathematik“ von David Foster Wallace. Eine Geschichte des Scheiterns. Und zwar meines eigenen …

„Die Eroberung Amerikas“ von Franzobel

Buch: „Die Eroberung Amerikas“

Autor: Franzobel

Verlag: Zsolnay

Ausgabe: Hardcover, 544 Seiten

Der Autor: Franzobel, geboren 1967 in Vöcklabruck, erhielt u. a. den Ingeborg-Bachmann-Preis (1995), den Arthur-Schnitzler-Preis (2002) und den Nicolas-Born-Preis (2017). Bei Zsolnay erschienen zuletzt die Krimis „Wiener Wunder“ (2014), „Groschens Grab“ (2015) und „Rechtswalzer“ (2019) sowie 2017 der Roman „Das Floß der Medusa“, für den er auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis stand und mit dem Bayerischen Buchpreis ausgezeichnet wurde. Zuletzt erschien 2021 der Roman „Die Eroberung Amerikas“.  (Quelle: Hanser)

Das Buch: Ferdinand Desoto hatte Pizarro nach Peru begleitet, dem Inkakönig Schach und Spanisch beigebracht, dessen Schwester geschwängert und mit dem Sklavenhandel ein Vermögen gemacht. Er war bereits berühmt, als er 1538 eine große Expedition nach Florida startete, die eine einzige Spur der Verwüstung durch den Süden Amerikas zog. Knapp 500 Jahre später klagt ein New Yorker Anwalt im Namen aller indigenen Stämme auf Rückgabe der gesamten USA an die Ureinwohner. (Quelle: Hanser)

Fazit: Erwartungshaltungen und daraus resultierende Enttäuschungen sind ein weites Feld, wie Effi Briests Vater vielleicht gesagt hätte. Wäre ich beispielweise mit der unrealistischen Erwartung in diesen Tag gestartet, zu Hause bleiben und den Radiosender meines Vertrauens irgendwie davon überzeugen zu können, weiter „Alter Bridge“ zu spielen, so wäre ich nahezu unausweichlich sehr enttäuscht worden.

Und unter anderem eine unrealistische Erwartungshaltung war es eben auch, an der Franzobels neuer Roman bei mir gescheitert ist. So ging ich in meiner grenzenlosen Unkenntnis davon aus, dass sich der Autor in seinem Buch inhaltlich mehr mit der Klage des New Yorker Anwalts beschäftigen würde. Vor dem Hintergrund, dass sich beispielsweise mittlerweile diverse US-amerikanische Sportteams aus NFL und MLB der schon gefühlte Ewigkeiten bestehenden Forderung amerikanischer Ureinwohner nach einer Änderung ihrer Teamnamen berechtigterweise gebeugt haben, hätte dieser thematische Ansatz mit einer gewissen Aktualität punkten und viele relevante Fragestellungen behandeln können. Tatsächlich macht dieser Handlungsstrang allerdings nur einen minimalen Anteil des Buches aus.

Stattdessen hat Franzobel im Kern einen historischen Roman geschrieben, der sich inhaltlich detailliert mit der Expedition Ferdinand Desotos nach Florida beschäftigt, was ja nun per se nichts Schlechtes sein muss, zumal ich historische Romane mag. Ich beschloss also, mich von meiner enttäuschten Erwartungshaltung nicht weiter beeinflussen zu lassen, sondern mich vielmehr auf das einzulassen, was da denn nun kommen sollte.

Aber auch im weiteren Verlauf wollte „Die Eroberung Amerikas“ bei mir irgendwie nicht zünden. Und das wundert mich rückblickend schon, denn realistisch betrachtet macht Franzobel hier wenig anders als beispielsweise in seinem Roman „Das Floß der Medusa“, welches ich seinerzeit mit großer Begeisterung gelesen habe. Aber alles was dort in erzählerischer Hinsicht funktioniert hat, funktioniert für mich in seinem neuen Roman eben nicht.

Schon in „Das Floß der Medusa“ hat der Autor erzählerisch durchblicken lassen,  dass er eher einen Tatsachenbericht aus heutiger Sicht als einen reinen historischen Roman geschrieben hat. Ausmachen ließ sich das an allerlei anachronistischen Motiven, die an diversen Stellen mehr oder weniger beiläufig eingestreut wurden. Und auch in „Der Eroberung Amerikas“ verhält es sich ganz ähnlich. Es wirkt aus meiner Sicht nur leider vollkommen deplaziert.

Im Laufe der Handlung wird das Verhalten der Konquistadoren gegenüber den Ureinwohnern immer rauer und gipfelt schließlich in diversen Massakern, die explizit, blutig und schonungslos dargestellt werden. Anstatt es nun bei diesen Fakten zu belassen und sich tatsächlich eher im Bereich des Tatsachenberichts zu bewegen und die Ereignisse entsprechend auf die Leserschaft wirken zu lassen, versucht der Autor augenscheinlich, das Geschilderte ein bisschen aufzulockern, „die Grausamkeit erträglich“ zu machen, wie die Frankfurter Rundschau in ihrer Rezension schreibt. Nur: Hier gibt es nichts erträglich zu machen! Durch Franzobels durchweg humoristischen Ansatz – er dichtet der Expedition unter anderem die Urheberschaft für Fritten, Hamburger, Football und Personenkontrollen an Flughäfen an – verkommt das Geschilderte zur Farce und sein Roman zur Groteske. Und ja, im Grunde war der Ansatz in „Das Floß der Medusa“ ähnlich und in dort ging es immerhin um Themen wie Kannibalismus. Im vorliegenden Fall halte ich persönlich den humoristischen Ansatz – der im Übrigen, auch wenn man ihn schätzen würde, ohnehin nur mäßig unterhaltsam ist und eine überschaubare Halbwertzeit hat – nur leider für gänzlich unangemessen. So wirkt das Ganze nicht wie ein adäquater Umgang mit den Ereignissen, sondern eher wie „Kick-Ass“. Schade.

Eine rühmliche Ausnahme von dieser Kritik stellt lediglich der Notar Turtle Julius dar, der im Verlaufe der Handlung einiges durchmachen muss und irgendwie an Monty Pythons „Schwarzen Ritter“ erinnert. Der ist wirklich komisch – und hätte als humoristisches Element des Buches vollkommen ausgereicht.

Ein weiteres Ärgernis stellen die Charaktere des Buches dar. Während sie in Franzobels letztem Buch bereits guten Gewissens als etwas überzeichnet durchgehen dürften, gilt hier das ziemliche Gegenteil. Empfand ich den Protagonisten selbst noch als recht vielschichtige Figur, als einen aus reiner Zweckmäßigkeit mit einer ungeliebten Frau verheirateten, vom Erfolgshunger getriebenen und  von der Angst vor der Bedeutungslosigkeit verfolgten Mann, ist es dem Autor nicht gelungen, seinen Nebenfiguren ausreichend Profil zu verleihen, um sie als Leser auch nur halbwegs sicher auseinanderhalten zu können. Das ist selbstverständlich ein äußerst subjektiver Eindruck, aber ich zumindest habe es irgendwann aufgegeben, zwischen den überdies sehr skurrilen Figuren unterscheiden zu wollen und sie der Einfachheit halber für mich zu einer Art Personen-Pool zusammengefasst.

In Summe entsteht der letztlich Eindruck, als habe ich sich der Autor an seinem letzten Roman orientieren und in jeglicher Hinsicht noch eines draufsetzen wollen. Nur manchmal ist weniger halt eben doch mehr.

Nun mag man angesichts der Tatsache, dass „Die Eroberung Amerikas“ auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2021 steht, und auch die Pressestimmen, zumindest in meiner Wahrnehmung, mehrheitlich positiv waren, den Schluss ableiten, dass ich keine Ahnung habe, und das mag vielleicht so sein. Die genannten Punkten wiegen für mich allerdings zu schwer, als dass ich mit Franzobels neuestem Werk so richtig glücklich geworden wäre. Und das ist für mich ebenso überraschend wie schade.

Demnächst in diesem Blog: „Der Name der Rose“ von Umberto Eco.

 

 

„Der Donnerstagsmordclub“ von Richard Osman

Buch: „Der Donnerstagsmordclub“

Autor: Richard Osman

Verlag: List

Ausgabe: Taschenbuch, 464 Seiten

Der Autor: Richard Osman ist Autor, Fernsehmoderator und Produzent. Sein Debüt, Der Donnerstagsmordclub, war ein internationaler Riesenerfolg. Der Mann, der zweimal starb ist sein zweiter, gleichwohl erstbester Roman. Er lebt in London.

Richard Osman ist ein englischer Fernsehmoderator, Produzent und seit Neuestem auch Autor. Die Idee für seinen Krimi kam ihm, als er eine Verwandte in einer luxuriösen Seniorenresidenz besucht hat und ihm das Schlimmste zugestoßen ist, was einem modernen Menschen widerfahren kann: Er hatte keinen Handyempfang. Wer denkt da nicht sofort an Mord und Totschlag? »Der Donnerstagsmordclub« ist sein erster und bisher bester Roman. (Quelle: Ullstein Buchverlage)

Das Buch: Man möchte meinen, so eine luxuriöse Seniorenresidenz in der idyllischen Grafschaft Kent sei ein friedlicher Ort. Das dachte auch die fast achtzigjährige Joyce, als sie in Coopers Chase einzog. Bis sie Elizabeth, Ron und Ibrahim kennenlernt oder, anders gesagt, eine ehemalige Geheimagentin, einen ehemaligen Gewerkschaftsführer und einen ehemaligen Psychiater. Sie wird Teil ihres Clubs, der sich immer donnerstags im Puzzlezimmer trifft, um ungelöste Kriminalfälle aufzuklären. Als dann direkt vor ihrer Haustür ein Mord verübt wird, ist der Ermittlungseifer der vier Senioren natürlich geweckt, und selbst der Chefinspektor der lokalen Polizeidienststelle kann nur über ihren Scharfsinn staunen. (Quelle: Ullstein Buchverlage)

Fazit: Wenn eine britische Zeitung über Osmans Debüt schreibt, es sei „witzig, warmherzig und weise“, und sie damit vollumfänglich recht hat, dann könnte es sich der Rezensent, der ohnehin noch nicht so genau weiß, wie er seine Begeisterung in Worte fassen soll, einfach machen und es lediglich bei der Einlassung belassen, dass oben genannter Einschätzung besagter Zeitung ohnehin nichts hinzuzufügen sei. Ganz so einfach mache ich es mir dann aber doch nicht und versuche stattdessen, mal detaillierter zu beschreiben, warum „Der Donnerstagsmordclub“ für mich eines der Bücher des Jahres 2021 war.

Dabei standen die Voraussetzungen für diesen Eindruck eigentlich denkbar schlecht: Mit vergleichsweise schlechter Laune und auch ansonsten mit der Gesamtsituation gerade vehement unzufrieden, stand ich in der Buchhandlung meines Vertrauens und griff in einer Art Übersprungshandlung zu Osmans Buch, mit dem Ziel, dass eben dieses Buch doch nun bitte meine Laune positiv beeinflussen möge, in vollem Bewusstsein der Tatsache, dass das bei mir nur selten funktioniert. Und die ersten beiden Leseversuche wurden dann nach wenigen Seiten auch wieder abgebrochen, weil der vorurteilsbehaftete Teil von mir den Kauf bereits bereute und sicher war, es hier mit etwas Grenzkitschigem zu tun zu haben.

Weit gefehlt.

Richard Osman präsentiert uns das Geschehen über zwei unterschiedliche Erzählperspektiven. Der Großteil der Ereignisse wird von einem auktorialen Erzähler geschildert, zwischendrin werden diese Passagen von Tagebucheinträgen aus der Feder von Joyce unterbochen. Diese Art des Erzählens funktioniert auch deswegen besonders gut, weil die Tagebucheinträge das Ganze auf gelungene Weise auflockern. Auch und gerade, weil sie in sprachlich-stilistischer Hinsicht an einen „Mein schönstes Ferienerlebnis“-Aufsatz erinnern, mit der überdies Joyce´ Persönlichkeit wunderbar abgebildet wird, aber dazu später mehr.

Was das Erzählerische zudem ausmacht, ist die emotionale Klaviatur, auf der Osman in beeindruckender Weise zu spielen vermag. Da wäre zum einen der teils großzügig eingesetzte, aber immer subtil daherkommende, zuweilen recht britische Humor. Humor in  Büchern funktioniert bei mir in den meisten Fällen nur bedingt, und die Ursache hierfür wäre mal zu ergründen, liegt sie doch mitnichten darin, dass ich ein humorloser Mensch wäre. „Der Donnerstagsmordclub“ allerdings versetzte mich vergleichsweise häufig in mal infantiles, mal unerwartetes Kichern.

Zum anderen spart der Autor aber eben auch die unschönen Dinge des Lebens nicht aus. Die Hauptfiguren werden naturgemäß auch mit den negativen Aspekten des Alterns konfrontiert, sei es beispielsweise ein dementer Ehemann, sei es der Verlust geliebter Menschen.

Trotzdem gelingt es Osman, die Balance zu halten und den Roman weder in seinen komischen Momenten ins Alberne noch in seinen ernsten Momenten ins Rührselige oder gar Kitschige kippen zu lassen.

Neben dem erzählerischen Aspekt sind es insbesondere die Hauptfiguren, die diesen in höchstem Maße sympathischen Krimi tragen. Da wäre die bereits kurz angesprochene Joyce, ihres Zeichens ehemalige Krankenschwester. Eine Person, über die man allgemein sagen würde, dass sie kein Wässerchen trüben könnte, die auch zuweilen etwas naiv daherkommen mag. Eine Person, die sich dieses Eindrucks aber eben auch bewusst ist und die sich selbst als „harmlos“ beschreibt.

Da wäre überdies der ehemalige Gewerkschaftsführer Ron, der, durch unzählige Arbeitskämpfe gestählt, immer ein wenig auf Krawall gebürstet ist und sich völlig in seinem Protestler-Element wiederfindet, als die betagten Bewohnerinnen und Bewohner der Seniorenanlage aus Widerstand gegen die geplante Bebauung eines Friedhofs einen spontanen Sitzstreik organisieren.

Ihm immer zur Seite steht der ehemalige Psychologe Ibrahim, ein analytisch denkender Mensch, der zwischendurch aber immer auch durch kalenderspruchartige Weisheiten wie „Normalität ist eine hypthetische Größe!“ auffällt.

Das organisatorische Mastermind hinterallem ist die ehemalige Geheimdienstlerin Elizabeth, die irgendwie als „M“, „Q“ und „Miss Moneypenny“ in Personalunion erscheint. Braucht man gerade Kontakte nach Zypern, kann man sichergehen, dass Elizabeth dort noch jemanden kennt, ist gerade ein Forensiker vonnöten, dann gibt es sicherlich noch jemanden, der Elizabeth einen Gefallen schuldet …

Diese Figuren und ihr Zusammenspiel machen einen Großteil des Charmes von „Der Donnerstagsmordclub“ aus, zudem ergänzt der Autor sein Figurenensemble durch ebenso gelungenen Nebenfiguren, als Beispiel sei hier mal der Betreiber der Seniorenwohnanlage, Ian Ventham, genannt. Ein Typ, der so von sich und der Welt überzeugt ist, dass er sich überhaupt nicht vorstellen kann, warum es Menschen geben sollte, die ihn nicht für Gottes größtes Geschenk an die Menschheit halten sollten.

Man mag einwenden, dass die Charaktere alle ein bisschen überzeichnet wirken könnten, und das mag bei Lichte betrachtet sogar stimmen. Ich bin allerdings davon überzeugt: Das soll so!

Wenn man einen Krimi schreibt, der eine eindeutig gefühligere Komponente aufweist als andere Genrevertreter, man sich mithin also im Bereich der „Cosy-Crime“ befindet, wie Nachfolgegenerationen wohl sagen würden, dann – so ist jedenfalls mein Eindruck – bleibt die Krimihandlung selbst oftmals ein wenig auf der Strecke bzw. wird etwas stiefmütterlich behandelt. Hier ist das anders, der eigentliche Kriminalfall ist vergleichsweise komplex, auch wenn einzelne Handlungselemente für den aufmerksamen Teil der Leserschaft vielleicht auf der Hand liegen und wenig überraschend sein mögen.

Was ich also versuche, hier auf so ungelenke Art zu vermitteln, ist, dass man sich „Der Donnerstagsmordclub“ nicht entgehen lassen sollte, insbesondere dann nicht, wenn man mal wieder ein bisschen Wohlfühlliteratur braucht, die dennoch nicht gänzlich spannungsbefreit daherkommt. Die Tatsache jedenfalls, dass Osman insgesamt drei Romane rund um das hochbetagte Ermittlerteam veröffentlichen will und dass der zweite Teil mit dem Titel „Der Mann, der zweimal starb“ im Januar 2022 erscheinen wird, lässt mich mit einer Menge Vorfreude zurück.

Ganz klare Leseempfehlung!

Demnächst in diesem Blog: „Die Eroberung Amerikas“ von Franzobel

„Imperator“ von Kai Meyer und Lisanne Surborg

Buch: „Imperator“

Autoren: Kai Meyer, Lisanne Surborg

Verlag: Droemer Knaur

Ausgabe: Taschenbuch, 397 Seiten

Die Autoren:

Kai Meyer ist ein 1969 in Lübeck geborener Autor. Nach einem Studium – Film, Theater und Philosophie – arbeitete Meyer als Volontär bei einer Tageszeitung und schrieb während dieser Zeit an seinem ersten Buch. „Der Kreuzworträtsel-Mörder“ erschien dann 1993.Der Durchbruch gelang Meyer im Jahr 1994 mit seinem Roman „Die Geisterseher“ und vor allen Dingen mit „Die Alchimistin“. International erfolgreich war der Autor erstmals mit „Die fließende Königin“, dem ersten Teil der Merle-Trilogie.

Meyers Romane haben mittlerweile Millionen-Auflagen erreicht und erscheinen in über 30 Sprachen.

Der Autor lebt mit seiner Familie am Rande der Eifel.

Lisanne Surborg wurde 1993 in Gifhorn geboren. Sie studierte Kommunikations- und Medienwissenschaft und arbeitet nebenbei beim Lokalradio mephisto 97.6 der Universität Leipzig. (Quelle: Thalia)

Das Buch: Rom in den Swinging Sixties – eine Stadt der Filmstars und Verbrecher, der Starlets und Geisterbeschwörer, des alten Adels und der korrupten Politik.

Die Studentin Anna schließt sich einer Gruppe Paparazzi an, um inkognito den Mörder ihrer Mutter zu jagen. Zugleich soll der Privatdetektiv Gennaro Palladino den Tod eines wahnsinnigen Malers aufklären.
Die Suche nach der Wahrheit führt Anna zusammen mit dem jungen Fotografen Spartaco durch Paläste und verlassene Villen, durch Filmstudios und verruchte Jazzclubs – und immer wieder auf die legendäre Via Veneto, den Brennpunkt des Dolce Vita. Während die High Society im Champagner badet und Regierungsgegner die Revolution planen, ziehen finstere Mächte die Fäden. Sie wollen die Auferstehung des antiken Rom – koste es, was es wolle. (Droemer Knaur)

Fazit: Ich meine, mich erinnern zu können, dass Kai Meyer im Vor- oder Nachwort einer limitierten und signierten Ausgabe seines Romans „Das Haus des Dädalus“ – welche hier zugegebenermaßen auch Erwähnung findet, damit ich explizit darauf hinweisen kann, ein Exemplar davon zu besitzen – mal erwähnt hat, dass er schon seit geraumer Zeit einen großen Hang zur Ewigen Stadt hat. Daher verwundert es nicht, dass es ihn, diesmal in Kooperation mit Lisanne Surborg, früher oder später wieder in literarischer Hinsicht dorthin zurückführt.

Viel mehr verwundert es – in erster Linie mich persönlich -, dass es sich bei „Imperator“ um ein Buch handelt, zu dem ich eigentlich gar nicht so viel sagen kann. Wer seit einiger Zeit über Bücher schreibt, wird dieses Phänomen kennen und es ist immer wieder ein eher unangenehmes Gefühl, wenn es auftaucht. Zumal es in der Vergangenheit Bücher von Kai Meyer gab, über die ich ganze Lobeshymnen hätten verfassen können, auch wenn die Mehrzahl davon bereits länger zurückliegt.

Und eigentlich macht das Autorenduo auch viel richtig.

Der stilistische Bereich ist ein Beispiel dafür, aber eben auch ein Beispiel für die Elemente, über die ich halt nicht viel sagen kann, außer: Surborg und Meyer gelingt es, eine gemeinsame Erzählerstimme zu finden, die zumindest mich persönlich voll und ganz überzeugt.

Auch hinsichtlich meines Eindrucks zu den Charakteren tue ich mich schwer. Anfangs dachte ich noch, der Privatdetektiv Gennaro Palladino könnte sich zu einer Figur entwickeln, für deren Schicksal ich ein verstärktes Interesse mitbringen könnte. Das macht er aber irgendwann selbst zunichte und in Sekundenbruchteilen entsteht der Eindruck eines doch eher gefühllosen, kaltblütigen Spinners, mit dem ich nicht mehr als unbedingt notwendig zu tun haben wollen würde.

Positiv hervorheben muss man in diesem Bereich dagegen den Fotografen Spartaco. Eigentlich ein Adelsspross, hauptsächlich allerdings als Freizeitrevoluzzer unterwegs, weiß man bei ihm nie so ganz genau, ob er seine revolutionären Ideen nun deshalb in die Welt hinausträgt, weil er wirklich von ihen überzeugt ist oder doch nur, um seinen Vater zu ärgern. Tatsächlich ist Spartaco die einzige der Hauptfiguren, an deren Schicksal über das Buch hinaus ich gesteigertes Interesse hätte.

Denn seine Mitstreiterin Anna bleibt im Vergleich zu ihm wiederum eher blass, tragischerweise ohne jetzt konkret festmachen zu können, woran das liegt. Vielleicht daran, dass sie in ihrer Handlungsmotivation zu eindimensional ausgelegt ist bzw. dargestellt wird.

Alles andere als eindimensional ist allerdings die Handlung selbst. Die Story rund um die Nachwehen der Mussolini-Ära und die augenscheinliche mangelnde Aufarbeitung selbiger hat etwas und bietet mehr als nur ein gutes Grundgerüst für die Fortsetzungen zu sein, denn „Imperator“ ist ja „nur“ ein Reihenauftakt. Das einzige, was mich massiv gestört hat, waren ausgerechnet die phantastischen Elemente, in denen die Figuren mit ihrer Kindheit konfrontiert werden. Ich fand schon Pennywise in Stephen Kings „Es“ irgendwie albern und hier verhält es sich nicht wesentlich anders, was die Wirkung der besagten phantastischen Elemente auf mich angeht. Selbstredend ist das ein sehr subjektives Problem und für andere Teile der Leserschaft kann dieser Teil des Buches das Grauen persönlich darstellen, für mich war es leider nichts.

Das große Highlight des Buches liegt dagegen in seinem unverbrauchten Setting. Nun kann ich wegen der Gnade der späten Geburt und allgemein mangelnder entsprechender Ortskenntnis nicht beurteilen, ob das Autorenduo das Flair von Ort und Zeit wirklich adäquat eingefangen haben, aber die erzeugte Stimmung ist jedenfalls mehr als überzeugend. Das Umfeld abgehalfterter, amerikanischer Schauspieler, die sich in Italien niederlassen, um dort in Serie fragwürdige B-Movies zur Sicherung ihres Status zu drehen, das hat halt einfach was.

Deswegen habe ich mich letztlich ganz gerne in der Welt von „Imperator“ aufgehalten, ob ich den Fortgang der Reihe weiter verfolgen werde, weiß ich allerdings noch nicht so genau. Vielleicht, wenn ich irgendwann mehr über den Reihenauftakt sagen kann.

Meyer- bzw. Surborg-Fans können sicherlich bedenkenlos zugreifen, für alle anderen ist die Lektüre ein wohlwollendes „Kann“ aber kein ultimatives „Muss“.

Ich danke dem Droemer Knaur Verlag für die freundliche Übersendung des kostenlosen Rezensionsexemplars. Die Tatsache, dass es sich um ein kostenloses Rezensionsexemplar handelt, beeinflusst meine Meinung selbstredend nicht.

Demnächst in diesem Blog: „Der Donnerstagsmordclub“ von Richard Osman. Ich stelle eine ultimative Lobhudelei in Aussicht.

„Behemoth“ von T.S. Orgel

Buch: „Behemoth“

Autoren: T.S. Orgel

Verlag: Heyne

Ausgabe: Taschenbuch, 576 Seiten

Die Autoren: Hinter dem Pseudonym T. S. Orgel stehen die beiden Brüder Tom und Stephan Orgel. In einem anderen Leben sind sie als Grafikdesigner und Werbetexter beziehungsweise Verlagskaufmann beschäftigt, doch wenn beide zur Feder greifen, geht es in fantastische Welten. Nach einer Reihe von Kurzgeschichten und elektronischen Veröffentlichungen erschien 2012 ihr erster gemeinsamer Roman »Orks vs. Zwerge«, für den sie im Oktober 2013 den Deutschen Phantastik Preis für das beste deutschsprachige Debüt erhielten. (Quelle: Random House)

Das Buch: Die Erde ist in ferner Zukunft unbewohnbar geworden. Die einzige Hoffnung der Menschheit sind drei riesige Generationenschiffe, die sich ein kosmisches Rennen zum nächsten habitablen Planeten liefern. Im Laufe der langen Reise haben sich die Besatzungen immer weiter auseinander entwickelt. Als sie plötzlich auf ein Raumschiffwrack treffen, entbrennt ein Konflikt zwischen den drei Schiffen, denn wer die Ressourcen des Wracks kontrolliert, kann das Rennen zur neuen Erde gewinnen. Aber niemand ahnt, was es mit dem toten Schiff wirklich auf sich hat … (Quelle: Random House)

Fazit: Ich glaube, die Bücher der Gebrüder Orgel gehören in die Kategorie der Bücher, die man entweder mag oder mit denen man halt gar nichts anfangen kann. Kurioserweise trifft auf mich persönlich irgendwie beides zu. So habe ich das Debüt der Autoren „Orks vs. Zwerge“ guten Gewissens verpasst, weil ich mit den ganzen „X vs. Y“-Romanen aus dem Fantasybereich, die eine Zeit lang en vogue waren, ebenso wenig anfangen kann, wie mit den in selber Zeit populären Büchern über bestimmte Fantasywesen, sei es „Die Orks“, „Die Drachen“ oder „Die Trolle“ – Markus Heitz´ „Zwerge“ mal ausgenommen. Es hat ja sogar mal jemand ein Buch über Goblins geschrieben …

Eingestiegen bin ich erst bei „Die Blausteinkriege“, ein Fantasy-Dreiteiler, den ich durchgehend ziemlich gut bis großartig fand und den ich allen ansatzweise fantasybegeisterten Leserinnen und Lesern nach wie vor wärmstens empfehlen kann.

Bei „TERRA“ war ich dann wieder draußen, weil ich gerade keine Lust auf Science-Fiction hatte, dafür arbeitete ich mich im Anschluss – und tue es noch – seit gefühlten Jahrhunderten durch „Das Haus der tausend Welten“, das bei mir so gar nicht zünden will.

Dem Gesetz der ansatzweisen Serie nach hätte ich mit „Behemoth“ also eigentlich wieder Glück haben müssen. Aber auch hier gilt vermutlich: Man mag es oder man kann damit gar nichts anfangen.

Zu Beginn des Buches bringen die Autoren der Leserschaft erst mal ihr Setting nahe: Nach Funden von außerirdischen Artefakten – hier könnten die Autoren bei „Mass Effect“ geklaut haben, ist aber nicht schlimm – macht die Menschheit einen bemerkenswerten Technologiesprung, der aufgrund der Tatsache, dass weite Teile der Erde mittlerweile unbewohnbar geworden sind, deren Rettung bedeuten könnte. Die FDP wäre begeistert. Mithilfe der neu erworbenen Technologie entwickeln alle drei mittlerweile besiedelten Himmelskörper – die Erde, der Mond, der Mars – jeweils ein Generationsraumschiff, um sich auf den Weg zu einer neuen bewohnbaren Heimat zu machen.

Die Erde – unter Federführung des asiatischen Raums – geht mit der „Zheng He“ ins Rennen, der Mond schickt die „Tereschkowa“ auf die Reise und für den Mars startet die „Venta Chitru“. So wie unterschiedliche Länder oder Kontinente auf der Erde auch, verfolgen auch die drei Raumschiffe unterschiedlichen Ansätze und Lebensweisen. An Bord der „Zheng He“ ist alles bis ins kleinste Detail optimiert – unklusive der Menschen, in genetischer Hinsicht -, man lebt in einer Art Kastensystem und an und für sich recht basisdiktatorisch. Die Reisenden der „Tereschkowa“ sind gezwungenermaßen eher Bastler und Organisationstalente, die sich gegenseitig größtmöglich unterstützen. Die Passagiere der „Venta Chitru“ sind wiederum einerseits smombieartige Technikhörige, darüber hinaus aber eben auch in großer Anzahl kryostatisch eingefroren, weswegen man von ihnen im Buch auch eigentlich am wenigsten mitbekommt.

Der sich daraus entwickelnde Plot – zu dem komme ich später – hat durchaus seinen Reiz, seine spannendsten Momente hat „Behemoth“ aber aus meiner Sicht, wenn es sich mit über den Plot hinausgehenden Fragen zum Wesen des Menschen an sich beschäftigt. Das passiert selten und wenn, dann sicherlich nicht hochphilosophisch sondern eher oberflächlich, aber immer dann hat mir der Roman am besten gefallen, auch weil sich derartige Fragestellungen vor dem Hintergrund der inhaltlichen Ausgangssituation halt einfach anbieten.

Die Handlung kommt mit dem Fund des Raumschiffwracks erst so richtig in Fahrt, Konflikte tun sich auf, es wird über weite Strecken action- und abwechslungsreich. Im späteren Verlauf kommt noch eine im Ansatz gruselige „Alien“-Komponente dazu. Zumindest hatte ich persönlich diese Assoziation, je länger die Lektüre andauerte, desto öfter hatte ich die junge Sigourney Weaver im Hinterkopf, keine Ahnung, was mit mir nicht stimmt. Grundsätzlich jedenfalls gibt es inhaltlich an „Behemoth“ wenig auszusetzen.

In stilistischer Hinsicht bewegen sich die Gebrüder Orgel auf gewohntem Terrain. Damit will ich sagen, dass die Lektüre einerseits niemanden sprachlich überfordern sollte, andererseits, wie in anderen Büchern der Autoren auch, sich den aufmerksamen nerdlastigen Teilen der Leserschaft wiederum eine Reihe von Reminiszenzen an Genreklassiker von „Star Wars“ bis „Firefly“ offenbaren dürfte.

Kritik muss einzig und allein, dafür aber ausgiebigst, an den Charakteren geäußert werden, die mich teilweise so enorm geärgert haben, dass es sich auf den Gesamteindruck des Buches ausgewirkt hat. Und da das für so ziemlich alle gilt, brauche ich keine Figur exemplarisch herausgreifen. Die Kritik wiederum liegt nicht darin begründet, dass die Figuren nicht nachvollziehbar gestaltet wären, ich an ihrer Entwicklung etwas auszusetzen hätte oder ähnliches, sondern schlicht und ergreifend an ihrem obercoolen Actionfilm-Babo-Gehabe, das mir fürchterlich auf den Zeiger ging. Mag die Situation auch noch so bedrohlich sein, die Charaktere der Orgels haben mit Sicherheit noch einen lässigen Spruch auf den Lippen, während sich der Normalsterbliche schon längst in Fötushaltung hinter dem Replikator verkrochen und laut nach der interstellaren GSG 9 gerufen hätte.

Natürlich, „Behemoth“ ist in gewisser Hinsicht die literarische Variante des Popcorn-Kinos und sollte beispielsweise irgendwann tatsächlich mal „Lethal Weapon 5“ ins Kino kommen – der Streifen soll ja angeblich tatsächlich gedreht werden – dann weiß ich ja auch, dass die Protagonisten darin nicht bei einem Glas Château Margaux über Sarte reden werden, sondern dass es explodieren und knallen und phasenweise albern sein wird und dass früher oder später jemand sagen wird, dass er zu alt für diesen Scheiß ist, mit anderen Worten: Grundsätzlich ist an einer eher humorvollen Herangehensweise auf Actionfilm-Niveau ja nicht wirklich etwas einzuwenden, ein bisschen ernsthafter darf es beim nächsten Mal aber doch gerne zugehen.

In Summe bleibt ein unterhaltsamer, actionreicher Sci-Fi-Roman, der eigentlich beste Sommerlektüre darstellen würde, wenn besager Sommer nicht angeblich schon vorbei wäre.

Demnächst in diesem Blog: „Imperator“ von Kai Meyer und Lisanne Surborg