„Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque

Buch: „Im Westen nichts Neues“

Autor: Erich Maria Remarque

Verlag: Kiepenheuer & Witsch

Ausgabe: Taschenbuch, 325 Seiten

Der Autor: Erich Maria Remarque, 1898 in Osnabrück geboren, besuchte das katholische Lehrerseminar. 1916 als Soldat eingezogen, wurde er nach dem Krieg zunächst Aushilfslehrer, später Gelegenheitsarbeiter, schließlich Redakteur in Hannover und Berlin. 1932 verließ Remarque Deutschland und lebte zunächst im Tessin/Schweiz. Seine Bücher »Im Westen nichts Neues« und »Der Weg zurück« wurden 1933 von den Nazis verbrannt, er selber wurde 1938 ausgebürgert. Ab 1939 lebte Remarque in den USA und erlangte 1947 die amerikanische Staatsbürgerschaft. 1970 starb er in seiner Wahlheimat Tessin. (Quelle: Kiepenheuer & Witsch)

Das Buch: Die Geschichte des neunzehnjährigen Paul Bäumer, der als ahnungsloser Kriegsfreiwilliger von der Schulbank an die Front kommt, ist inzwischen Allgemeingut – und doch bei jeder Lektüre aufs Neue erschütternd: Wie Bäumer statt der erhofften Kriegsbegeisterung und eines kurzen Abenteuers die ganze Brutalität des Gemetzels und das sinnlose Sterben seiner Kameraden erlebt, ist anrührend und empörend. (Quelle: Klappentext)

Fazit: Mit Klassikern verbindet mich eine lange, schwierige Geschichte voller Missverständnisse. Zumeist führen Klassiker und ich eine Art friedlicher Koexistenz. Das hat im Wesentlichen zwei Gründe. Zum Einen den, dass ich mir ziemlich sicher bin, den Werken mit dem was ich schreibe nur selten gerecht werden zu können. Zum Anderen aber auch den, dass über diese Bücher eigentlich schon alles gesagt ist, nur noch nicht von jedem.

So kam es denn auch, dass ich mir seinerzeit anlässlich des 100. Jahrestags des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs erschienene Ausgabe frohen Mutes gekauft, dann aber nie gelesen habe. Bis jetzt jedenfalls. Und es hat sich durchaus gelohnt, denn „anrührend und empörend“ trifft die Wirkung dieses Werkes schon ganz gut.

Nach einer kurzen Einführung der wichtigsten Figuren wendet sich der Autor gleich der in der deutschen Heimat augenscheinlich vorherrschenden Kriegsbegeisterung  zu, namentlich in Form von Bäumers Lehrer Kantorek, der die komplette Klasse die er unterrichtet davon überzeugen kann, sich spontan freiwillig zu melden. Und dieser Glaube an eine vermeintlich allgemein vorherrschende Kriegsbegeisterung hat sich lange gehalten, wird aber mittlerweile immer mehr in Zweifel gezogen. Und auch Remarque könnte man, angesichts der Tatsache, dass er die Begeisterung lediglich durch eine Figur beschreibt, so eine Art anekdotischer Evidenz vorwerfen. Tatsächlich allerdings stellt er die Tatsachen offensichtlich vollkommen richtig dar. Denn begeistert war damals in erster Linie das Bildungsbürgertum – hier durch Kantorek repräsentiert -, während beispielsweise die SPD Anti-Kriegs-Demonstrationen mit über 100.000 Teilnehmern organisierte. Folgerichtig schreibt Remarque dann auch „Am vernünftigsten waren eigentlich die armen und einfachen Leute; sie hielten den Krieg gleich für ein Unglück, während die bessergestellten vor Freude nicht aus noch ein wußten, obschon sie sich über die Folgen viel eher hätten klar werden können.“ (S. 16).

Dieses Thema taucht später dann während Bäumers Heimaturlaub nochmals auf. Wildfremde Menschen geben ihm für seinen Dienst am Vaterland ein Bier aus und diskutieren voller Inbrunst darüber, welche Gebiete Deutschland annektieren sollte und fordern: „Nun macht mal ein wenig vorwärts da draußen mit eurem ewigen Stellungskrieg. Schmeißt die Kerle raus, dann gibt es auch Frieden.“ (S. 150) Und das alles ohne jegliche Kenntnis der tatsächlichen Gegebenheiten an der Front, woher sollten sie diese auch haben!? Bäumer fühlt sich unverstanden, sehnt sich schließlich schon fast nach seinen Kameraden und kehrt letztlich desillusioniert an die Front zurück.

Den Löwenanteil des Buches machen die Schilderung vom grausame Alltäglichkeit gewordenen Leben und Sterben an der Front aus. Tage, an denen die Soldaten tagelang nichts tun außer Karten spielen, wechseln sich ab mit sinnlosen Angriffen und Gegenangriffen mit zahlreichen Todesopfern, woraufhin beide Seiten zumeist doch wieder nur dort landen, wo sie vorher waren. Und die Schilderung dieser Angriffe kann man gut und gerne als schonungslos bezeichnen, für Zartbesaitete ist das eher nichts.

Was Remarques Figurenensemble angeht, so lohnt sich hier insbesondere natürlich ein Blick auf den Protagonisten, der auch als Erzähler fungiert. Und Remarque gibt nicht nur Einblicke in das, was mit und um seinen Protagonisten herum passiert, sondern oftmals auch in das, was in ihm vorgeht. Zumeist ist das vergleichsweise monothematisch, die meisten Gedanken Bäumers sind auf den Krieg ausgelegt, darauf, was dieser Krieg mit ihm gemacht und was er ihm und seinen Altergenossen genommen hat. Und wie sollte ein so junger Mann, der Ewigkeiten in den Schützengräben der Westfront überleben muss, auch an andere Dinge denken, die nichts mit dem Krieg zu tun haben!?

Der Ton in Remarque Roman ist zumeist angemessen ernst, nur ganz selten mal blitzt so etwas wie Humor hervor. Beispielsweise in der Szene, in der einer von Bäumers Kameraden sinniert, zukünftig mögen doch bitte die Leute einen Krieg ausfechten, die ihn begonnen haben. Namentlich also Staats- und Regierungschefs sowie Generäle. In der Vorstellung dieses Soldaten würde dieses „Event“, so würde man das wohl heute nennen, in einer Art Arena stattfinden, man könnte Eintrittskarten dafür sowie vor Ort dann Speisen und Getränke erwerben und dann würden sich Regierende und Generäle der Kriegsparteien in der Arena so lange mit Knüppeln verdreschen, bis nur noch einer steht. Und der hat dann gewonnen. Ich finde, diese Idee hat ihren Charme, man sollte versuchen, sie in der Charta der Vereinten Nationen unterzubringen. Wobei – darin heißt es in den Ziffern 3 und 4 des Artikels 2 ohnehin schon:

3. Alle Mitglieder legen ihre internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel so bei, daß der Weltfriede, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden.

4. Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.

Hm – funktionert super …

In stilistischer Hinsicht mag Remarques Roman zuweilen etwas antiquiert klingen, aber insgesamt lässt er sich gut lesen und punktet, zumindest bei mir, damit, dass er in einer Sprache bzw. Rechtschreibung gehalten ist, die unreformiertreformiertreformiert, ungegendert und unanglizis … unanglim … die ohne unnötige Anglizismen auskommt, wiewohl man augenscheinlich schon zu Zeiten von Remarques Roman „ausgepowert“ sein könnte, was mich zugegebenermaßen etwas wundert.

Über dem Inhalt des Buches, seinem Stil und seinen Figuren steht im vorliegenden Fall natürlich die Botschaft, die Remarque mit seinem Roman verbreiten wollte. Diese sollte man nicht nur auf „Krieg ist beschissen!“ herunterbrechen, denn das versteht sich von selbst. Der Autor richtet seinen Fokus dagegen oft eher auf die Frage, was ein solcher Krieg mit einer ganzen Generation junger Menschen anstellt, die frisch von der Schulbank weg und ohne jegliche Ahnung vom Leben und ohne Vorstellung dessen, was sie erwartet, sich plötzlich an der Westfront wiederfindet. Und die dann später traumatisiert und ohne Perspektive zurückkehrt. Falls sie zurückkehrt.

Nach der Lektüre dachte ich spontan daran, dass Remarques Roman, zumindest in der Oberstufe, Schullektüre sein sollte. Mir würden da so ein, zwei wirklich unlesbare Bücher meiner Oberstufenzeit einfallen, die ich gerne gegen diesen Roman getauscht hätte. Aber offensichtlich ist der Roman vereinzelt bereits Schullektüre. Denn es gibt dazu doch tatsächlich Interpretationshilfen. Nu ja, wer´s braucht …

Zumindest in der Ausgabe von Kiepenheuer & Witsch befinden sich am Ende des Buches Anmerkungen sowie ein erläuternder Text zur erstmaligen Veröffentlichung des Romans. Und dieser war sehr interessant zu lesen – da bricht der halbstudierte Literaturwissenschaftler wieder aus mir heraus – und brachte erhellende Erkenntnisse. So fällt bei der Lektüre von „Im Westen nichts Neues“ durchaus auf, dass das Buch abseits seiner Botschaft vergleichsweise unpolitisch ist, also nicht versucht, die Schuld am Krieg Monarchisten, Demokraten oder irgendwelchen Parteien in die Schuhe zu schieben. In früheren Versionen des Romans war das wohl deutlich anders. Aber das würde jetzt wirklich zu weit führen.

An wem dieser Klassiker der Weltliteratur vorbeigegangen ist, dem kann ich ihn wärmstens empfehlen, auch wenn man dafür, wie bereits erwähnt, nicht zu zartbesaitet sein sollte.

Wertung:

9 von 10 Punkten

Demnächst in diesem Blog: „Der Beginn“ von Carl Frode Tiller.

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3 Kommentare zu „„Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque

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