Buch:“Engel des Todes“
Autor: Thomas Ziebula
Verlag: Wunderlich
Ausgabe: Hardcover, 384 Seiten
Der Autor: Thomas Ziebula ist freier Autor und schreibt vor allem Fantasy- und historische Romane. 2001 erhielt er den Deutschen Phantastik-Preis, 2020 den Goldenen Homer. Seine erste Krimireihe um Inspektor Paul Stainer vereint auf beeindruckende Weise Thomas Ziebulas Leidenschaft für deutsche Zeitgeschichte, spannende Kriminalfälle und seine Liebe zu Leipzig, das bis heute seine Lieblingsstadt in Deutschland ist. Der erste Band der Reihe um Inspektor Stainer, «Der rote Judas», stand auf der Shortlist für den Crime Cologne 2020. Der Autor lebt in der Nähe von Karlsruhe. (Quelle: Rowohlt)
Das Buch: Leipzig, März 1920: Der Kapp-Putsch bricht aus. Frustrierte Reichswehrsoldaten haben die Regierung in Berlin für abgesetzt erklärt. In Leipzig, wie in vielen deutschen Städten, kommt es zu blutigen Kämpfen zwischen Regierungstruppen und Putschisten. Die bürgerkriegsähnlichen Zustände halten Kriminalinspektor Stainer in Atem – auch innerhalb der «Wächterburg», da die völkisch-nationalen unter Stainers Kollegen die Weimarer Republik zur Hölle und die Putschisten an die Macht wünschen. Damit nicht genug, bemerkt Stainer unter den vielen Toten in den Straßen einzelne Opfer, die in auffälliger Manier erwürgt oder erstochen wurden. Jemand scheint die Gunst der Stunde zu nutzen, um seine Morde unter dem Deckmantel der Unruhen zu begehen. Hinweise der Straßenbahnfahrerin Josephine König und ihrer Tochter Mona, die es sich in den Kopf gesetzt hat, Polizistin zu werden, lotsen Stainer und Junghans ins Theatermilieu – wo jemand seinen ganz eigenen Rachefeldzug führt … (Quelle: Rowohlt)
Fazit: In regelmäßigen Abständen machen Menschen dieselben Fehler. Deswegen führt ein „lupenreiner Demokrat“ gerade eine militärische Spezialoperation einen Angriffskrieg auf einen souveränen Staat aus, selbstverfreilich nur, um die dort lebenden Menschen zu erretten und von den bösen, bösen Nazis zu befreien, was unweigerlich die Frage aufwirft, warum die derlei Erretteten dann nicht begeistert mit Blümchen und Fähnchen an der Straße stehen, um sich zu bedanken, sondern sich viel mehr mit Händen und Füßen wehren.
Dabei ließe sich doch gut aus der Historie lernen, denn schon vor etwa 100 Jahren wurde hierzulande deutlich, was passiert, wenn von sich selbst zu sehr überzeugte Einzelpersonen beschließen, für die Bevölkerung Antworten auf Fragen zu liefern, die diese niemals gestellt hat. Denn am 13. März 1920 brach hierzulande der Kapp-Lüttwitz-Putsch aus. Angehörige der Reichswehr sowie diverse Freikorps taten sich unter Führung verschiedener Militärs aus dem ultrarechten Spektrum zusammen, um gegen die Bestimmungen des Versailler Vertrags, somit gegen die Verkleinerung der Reichswehr auf 100.000 Mann und zusammenhängend damit gegen den Verlust ihrer Jobs, gegen die linke Reichsregierung und überhaupt gegen diese pöse, pöse neumodische Demokratie aufzumarschieren.
Neben diverser Unstimmigkeiten untereinander und hinsichtlich der eigentlichen Zielsetzung des Putsches, scheiterte selbiger in wenigen Tagen in erster Linie daran, dass die Bevölkerung sinngemäß sagte: „Könnt ihr gerne machen, aber bitte ohne uns!“, flächendeckend in einen Generalstreik trat und damit den Fantasien der Putschisten ein Ende bereitete. Denn „ohne uns“ geht es ja eben nicht. Was heutzutage gerne vergessen wird, wenn behauptet wird, Einzelne könnten ohnehin nichts ausrichten.
Einen blutigen Tribut forderte der nur etwa 100 Stunden dauernde Putsch dennoch – da ja eben Menschen in regelmäßigen Abständen dieselben Fehler machen.
In dieses Szenario wirft Thomas Ziebula nun seinen erst jüngst aus der Gefangenschaft zurückgekehrten Polizisten Paul Stainer. Dieser sieht sich mit einer Mordserie konfrontiert. Scheinbar nicht miteinander im Zusammenhang stehende Personen werden nicht nur ermordet, sondern anschließend auch geköpft. Im allgemeinen Trubel der Ereignisse scheint der Mörder seinem Treiben recht komplikationslos nachgehen zu können.
Auffällig hinsichtlich des Handlungsstrang der Mordermittlung, die üblicherweise ja eigentlich eine Art Kernelement eines Krimis ist, ist, dass diese eher so nebenbei stattfindet. Dabei werden die Ermittler auch vor vergleichsweise wenig Schwierigkeiten gestellt, bzw. und wenig gefordert. Zeugenaussagen und Indizien am Tatort führen vielmehr auf einem völlig logischen Weg von Ort zu Ort und Erkenntnis zu Erkenntnis. Inwieweit das dann zum gewünschten Ergebnis führt, wird hier natürlich nicht verraten.
Viel mehr stehen in Ziebulas Buch die Ereignisse in Leipzig rund um den Kapp-Lüttwitz-Putsch im Vordergrund. Das muss man mögen. Glücklicherweise mag ich das. Einmal, weil es Ziebula einmal mehr auf beneidenswert gute Art gelingt, Atmosphäre in seine Erzählung zu bringen, und zum zweiten, weil es heutzutage, zumindest in meiner Wahrnehmung, gut recherchierte und atmosphärische historische Romane in einem weitgehend verkitschten Genre kaum noch gibt. Hier hingegen verbinden sich im Kopf der Leserschaft Bilder aus „Babylon Berlin“ mit denen vom Reichstagssturm 2020 und bleiben nachhaltig dort.
Auf inhaltlicher und erzählerischer Ebene kann man Thomas Ziebula also wenig vorwerfen.
Wenn das doch nur auch für die Charaktere gelten würde! Von der Kritik ist Ziebulas Protagonist Paul Steiner ausdrücklich ausgenommen, die Schilderung der Dämonen, mit denen er zu kämpfen hat – von seinen Kriegserlebnissen, über diverse Schicksalsschläge der jüngeren Vergangenheit bis hin zu einem mittlerweile hart bekämpften Alkoholproblem – machen ihn zu einer recht menschlichen Figur.
Im Hinblick auf so manche Nebenfigur ist das allerdings anders. Da wären einerseits einzelne Figuren, über denen so deutlich das Schicksal eines Star-Trek-Redshirts prangt, dass ihre weitere Entwicklung eben oftmals auch keine Überraschung mehr darstellt. Das größte Ärgernis ist jedoch die Tänzerin Schwarz, liiert mit dem Oberstleutnant von Herzberg, der während der Unruhen in Leipzig alle Hände voll zu tun hat. Auch besagte Tänzerin gerät in das Visier des Mörders und mitmaßlich soll man sich als Leser nun also Sorgen um sie machen. Allerdings wird sie bis dahin schon durchgehend als so weltfremd-naive Person geschildert, dass sie und ihr Schicksal mir sehr zeitnah vollkommen egal war. In ihrem Oberstübchen scheint sich außer ihrer Leidenschaft für Tanz nicht viel zu tun, ein Verständnis für die Belange anderer Menschen ist ihr grundsätzlich fremd. Mehrmals scheint sie nicht nur regelrecht beleidigt, dass ihr Freund, Oberstleutnant von Herzberg, gerade damit beschäftigt ist, die Sicherheit der Stadt zu organisieren und diverse Schießereien zu unterbinden und ihr deswegen nicht pünktlich beim Tanzen in irgendwelchen Lokalen zusehen kann, sie ist es auch. Überspitzt gesagt: Würde Oberstleutnant von Herzberg ihr kundtun, er befinde ich gerade in den Schützengräben von Verdun, dann würde sie besorgt fragen, ob er denn auch ganz bestimmt daran denkt, auf dem Rückweg Brot mitzubringen.
Ich habe, man merkt das vielleicht, mich über die Personalie so echauffiert, dass es des Gesamtlesevergnügen nachhaltig beeinflusst. Weil sich mir diese Darstellung eben so gar nicht erschließt. Abseits einzelner, zu vernachlässigender Figuren hat Ziebula nämlich eigentlich schon ein recht gutes Händchen für Charaktere. Die Tänzerin Schwarz jedoch rangiert mit ihrer Persönlichkeit leider irgendwie zwischen Beatrix von Storch und Torf.
Wer darüber hinwegsehen kann und ein Herz für gut geschriebene, atmosphärische, historische Krimis, in denen der Fokus weniger auf akribischer Ermittlerarbeit, sondern eher auf dem Mörder, seiner Geschichte und Hintergrund, seiner Persönlichkeit und seiner Motivation liegen – ein Punkt der in meinem Text nun zu kurz gekommen, im Buch aber ebenfalls sehr gut gelungen ist -, der kann sich bedenkenlos an „Engel des Todes“ heranwagen. Allerdings rege ich vorher die Lektüre der ersten beiden Bände an, um alle Zusammenhänge nachvollziehen zu können.
Ich danke dem Rowohlt-Verlag für die freundliche Übersendung des kostenlosen Rezensionsexemplars. Die Tatsache, dass es sich um ein kostenloses Rezensionsexemplar handelt, beeinflusst meine Meinung selbstredend nicht.
Demnächst in diesem Blog: Entweder „Thronfall“ von Axel Simon oder „Der Mann, der zweimal starb“ von Richard Osman. Oder etwas anderes …