Buch: Auris
Autor: Vincent Kliesch
Verlag: Droemer Knaur
Ausgabe: Taschenbuch, 352 Seiten
Der Autor: Vincent Kliesch wurde in Berlin-Zehlendorf geboren, wo er bis heute lebt. Im Jahre 2010 startete er mit dem Bestseller »Die Reinheit des Todes« seine erste erfolgreiche Thriller-Serie, weitere folgten. Mit »Auris« schrieb er den Roman zu einer Hörspiel-Idee seines Freundes Sebastian Fitzek. (Quelle: Droemer Knaur)
Das Buch: Matthias Hegel, genannt „Auris“ (= lat.: das Ohr), ist ein akustischer Profiler. Die Stimme eines Täters genügt ihm. um Herkunft, Aussehen und Psyche zu ermitteln – und um Wahrheit von Lüge zu unterscheiden. Zahlreiche Kriminelle konnten mit seiner Hilfe überführt werden. Doch nun sitzt der rennomierte Professor wegen eines Mordes in Haft, den er selbst gestanden hat.
Die junge True-Crime-Podcasterin Julia Ansorge hat ernste Zweifel an seiner Schuld und will einen Justizirrtum aufklären. Doch als sie zu tief in Hegels rätselthaftem Fall gräbt, bringt sie nicht nur sich selbst in Todesgefahr, sondern auch den Menschen, der ihr am wichtigsten ist …
Fazit: Reden wir mal über Marketing und Klappentexte: Hätten auf Klieschs Thriller nicht die Worte „nach einer Idee von Sebastian Fitzek“ gestanden, dann hätte ich es mir wohl kaum gekauft. Insofern hatten diese Worte genau den Effekt, den sie haben sollten, schließlich habe ich „Auris“ ja gekauft.
Sie hatten aber noch eine ganz andere Wirkung auf mich. „Nach einer Idee von Sebastian Fitzek“ ließ in mir nämlich die Vermutung reifen, dass es sich dabei um eine Idee handelt, die Herr Fitzek selbst als zu schwach empfindet, als dass sie eine gesamte Handlung tragen könnte, sonst hätte er das Buch wohl schon längst selbst geschrieben. Ein bisschen erinnerte mich das an neue Musikalben längst verstorbener Musiker, die nur zustande kommen, weil raffgierige Erben in den Schubladen des Verstorbenen noch musikalische Versatzstücke, sowie Songs finden, die der Künstler eigentlich als nicht gut genug aussortiert hat, und diese dann irgendwie zu einem Album zusammengeschustert werden.
Glücklicherweise begegnet Herr Fitzek diesen Gedanken bereits in einem Vorwort, in der er sich zur Entstehungsgeschichte von „Auris“ äußert, welches übrigens mit dem Satz „Der Tag, an dem er zweimal starb, hatte gerade erst begonnen.“ anfängt – einem Satz, der nicht das Geringste mit der Handlung zu tun hat, sondern nur die Funktion hatte, Aufmerksamkeit zu erzeugen – ebenso wie der Aufdruck „nach einer Idee usw.“.
Eine eigenlich charmante Idee, so ein Vorwortbeginn, zumal mich der eigentliche Buchtext tatsächlich schon beinahe mit dem ersten Satz verloren hätte:
„Das Sonnenlicht fiel aus einem kinderbuchblauen Himmel auf die Ziegeldächer der Spandauer Neubausiedlung und ließ die Tragödie, die sich im Inneren des Einfamilienhauses abspielte, noch schrecklicher erscheinen. (S.9)
Kinderbuchblau? Ernsthaft?
In der Folge spart sich Vincent Kliesch derartige stilistische Unnötigkeiten allerdings glücklicherweise. Insgesamt fällt „Auris“ stilistisch an keiner weiteren Stelle negativ auf. Dass ich mit seinem Thriller nicht wirklich warm wurde, hat in erster Linie andere Gründe.
Da wären beispielsweise die Charaktere. Keinem der beiden Protagonisten, weder Matthias Hegel noch Jula Ansorge, gelingt es, mich wirklich zu erreichen. Wenigstens erinnert Hegel als jemand, der vom Knast heraus Tipps an Jula gibt, auf lässige Art an Hannibal Lector, wenn man sich den Serienmörder-Aspekt wegdenkt.
Insgesamt wirkt Hegel aber viel zu undurchsichtig, als dass man groß mit ihm mitfühlen kann. Und später, wenn man ein wenig seiner Lebensgeschichte und Hintergründe kennt, da ist es dann zu spät, da ist er mir bereits egal.
Außerdem habe ich – und das ist ganz allein mein Problem, andere mögen das anders sehen – schon ein Problem mit seinem beruflichen Hintergrund als „akustischer Profiler“. Das mag es geben, auf intensive Recherche habe ich verzichtet, und glaube daher den Autoren und nehme es als gegeben an, dennoch wirken die Beispiele, in denen Hegel sein Können zeigt, auf mich irgendwie albern. Dass Hegel nicht auch die Sockenfarbe von Verdächtigen an deren Stimme erraten kann, wundert mich. Überspitzt – und etwas unfair – formuliert könnte ich sagen, Hegel erinnerte mich immer ein bisschen an eine Mischung aus Winnetou und Lassie und man wartet förmlich darauf, dass er das Ohr auf den Boden legt, um die Ankunft der Postkutsche anzukündigen. Nichts für ungut, Herr Kliesch! Oder „No offense!“, wie meine Nachfolgegneration sagen würde.
Jula Ansorge ist mir als Person etwas weniger egal, allerdings nur unwesentlich. Ihre Beharrlichkeit hinsichtlich der Recherche im Fall Hegel imponiert, ihre Motive diesbezüglich kann man allerdings hinterfragen, was schon mal dazu führt, dass Jula Ansorge eine spannende Figur sein könnte. Könnte, denn Klieschs Protagonistin leidet in erster Linie unter einem Problem, nämlich, dass man als Leser im Laufe der Handlung Dinge über sich ergehen lassen und als gegeben ansehen muss, die man einfach nicht unwidersprochen lassen kann, wenn man auch nur halbwegs mit Aufmerksamkeit und Nutzung seines Hirns liest.
Nun findet einiges von dem, was ich inhaltlich zu kritisieren hätte, so etwa gegen bzw. kurz nach Seite 40 statt, insofern könnten Informationen dazu bereits als Spoiler gelten, weswegen ich mich dazu schweren Herzens ausschweige. Nur so viel sei gesagt: Ich bin nicht gerade zartbesaitet, halte unter anderem auch Triggerwarnungen – ohne darüber eine Grundsatzdiskussion starten zu wollen – für ziemlichen Unfug, aber: Eine Vergewaltigung als Aufhänger für eine Geschichte halte ich für gänzlich unnötig, wenn diese Geschichte sich nicht ausgiebig damit beschäftigt, sondern sie eben nur den Ursprung für weitere Ereignisse darstellt. Das hätte man klüger lösen können, nein, müssen.
In der Folge verhält sich Jula dermaßen irrational – übrigens auch diverse Nebencharaktere wie beispielsweise ein Polizist, sowie Julas Programmchefin des Radiosenders, für den sie arbeitet -, dass sie so um Seite 40 bereits dermaßen viel an Glaubwürdigkeit eingebüßt hat, was auf so wenigen Seiten eine Leistung ist, dass sie mir als Person auch nicht wirklich nahekommt.
Diese Dinge, die Interaktion der Charaktere untereinander, beispielweise eben zwischen Jula und den erwähnten Nebencharakteren, ist so fernab jeglicher Realität, dass es als Leser schwerfällt, das einfach unwidersprochen hinzunehmen. Dazu kommt noch der eigentliche Handlungsrahmen, der zwar ansprechend konstruiert, allerdings eine Nummer obendrüber ist, sprich schon zu konstruiert wirkt.
Und dann, nach etwa 350 Seiten gesteht man sich ein, dass man schon bessere – allerdings natürlich auch schon viel schlechtere – Bücher gelesen hat, fragt sich aber schon, ob da nicht noch ein Handlungsstrang offen war, nur um dann in die Mutter aller Cliffhanger zu fallen. Natürlich, das passiert nur unaufmerksamen Leuten wie mir, die den Klappentext nicht ordentlich gelesen habe, denn dort waren vermeintlich nur Informationen über die Protagonisten festgehalten, die ich nun auf den folgenden gut 350 Seiten ja ohnehin kennenzulernen glaubte, weshalb ich diesen Text ignoriert habe. Hätte ich das mal nicht getan, denn ganz unten steht dort: „Der Auftakt zu einer neuen Bestseller-Reihe (…)“
Mal ganz davon abgesehen, dass es schon recht mutig ist, bei der Erstauflage des ersten Buches eines Mehrteilers von einer „Bestseller-Reihe“ zu sprechen: Hätte man diese Information nicht vorne auf das Cover tackern können? Vielleicht so etwas unterhalb von „nach einer Idee von Sebastian Fitzek“? Platz wäre da nämlich gewesen! Und da ich verhältnismäßig wenige Mehrteiler lese, hätte ich es mir vielleicht ja doch nochmal überlegt, mit dem Kauf des Buches …
Wertung:
Handlung: 6 von 10 Punkten
Charaktere: 5 von 10 Punkten
Stil: 8 von 10 Punkten
Spannung: 6 von 10 Punkten
Gesamtwertung: 6,25 von 10 Punkten
Demnächst in diesem Blog: „Krokodilwächter“ von Katrine Engberg.
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