„Kafka und der Tote am Seil“ von Jon Steinhagen

Buch: „Kafka und der Tote am Seil“

Autor: Jon Steinhagen

Verlag: Penhaligon

Ausgabe: Paperback, 432 Seiten

Der Autor: Jon Steinhagen schreibt Drehbücher, Musicals und preisgekrönte Theaterstücke. Gelegentlich sieht man ihn auch vor der Kamera und auf der Bühne. Er liebt seine Heimatstadt Chicago, alte Schwarz-Weiß-Filme mit Cary Grant und sein hundert Jahre altes Klavier. »Kafka und der Tote am Seil« ist sein erster Roman.(Quelle: Random House)

Das Buch: Was wäre, wenn Franz Kafka nicht mit 40 Jahren an Tuberkulose verstorben wäre? Wenn er stattdessen am Tag nach seinem vermeintlichen Tod die Augen aufgeschlagen und sich an seinem Krankenbett eine ungewöhnlich große, ungewöhnlich eloquente Kakerlake als Pflegekraft befunden hätte? Die ihm noch dazu ungewöhnlich bekannt vorkäme? Schon bald werden Kafka und Gregor Samsa von einer geheimnisvollen Agentur als Privatermittler engagiert, denn im Wien des Jahres 1924 kommt es zu einer ebenso mysteriösen wie bizarren Mordserie – und des Rätsels Lösung ist absurder als alles, was Kafka sich jemals selbst hätte ausdenken können … (Quelle: Random House)

Fazit: In „Prozesse. Über Franz Kafka“ hat der Literaturnobelpreisträger Elias Canetti mal geschrieben: „Unter allen Dichtern ist Kafka der größte Experte der Macht. Er hat sie in jedem ihrer Aspekte erlebt und gestaltet.“ In Jon Steinhagens Debütroman „Kafka und der Tote am Seil“ ist das ganz anders, zumindest, wenn es darum geht, Macht selbst zu gestalten. Eher muss sich der Protagonist Franz Kafka darin ganz entschieden fühlen, wie eine Romanfigur aus einem seiner Werke.

Denn es ist schon ziemlich ungewöhnlich, dass Kafka eines Morgens im Sanatorium, in das er sich zur Behandlung seiner Erkrankung und in vollem Bewusstsein, selbiges nicht mehr lebend zu verlassen, zurückgezogen hat, pumperlgesund und mit gesegnetem Appetit ausgestattet, aufwacht. Nicht minder seltsam ist, dass die Pflegefachkraft an seinem Bett augenscheinlich ein außerordentlich großes Insekt, mutmaßlich eine Kakerlake, ist, welches sich kurz darauf – wenig überraschend – als Gregor Samsa, hemimetaboler Protagonist aus der Familie der Blattodea aus Kafkas „Die Verwandlung“, vorstellt.

Der offensichtlich mit einem analytischen Verstand ausgestattete Kafka beurteilt seine Lage recht nüchtern und realistisch und kommt zu dem nur zu verständlichen Schluss, ganz offensichtlich den Verstand verloren zu haben. Diese Einschätzung wird zusätzlich dadurch unterstützt, dass kurz darauf ein vollkommen Fremder das Krankenzimmer betritt, sich als „Inspektor Beide“ vorstellt, der einer Kafka völlig unbekannten Ermittlungsbehörde zugehörig ist, und der Kafka bittet, ihn bei den Ermittlungen zu einer Mordserie zu unterstützen. Dass Inspektor Beide zudem seinem Namen alle Ehre macht, indem er bzw. sie in der Lage ist, mal in männlicher, mal in weiblicher Gestalt aufzutreten, verwundert den nun offensichtlich wunderlich im Oberstübchen gewordenen Kafka kaum noch.

In Ermangelung einer besseren Idee hinsichtlich der Frage, was Kafka mit der ihm überraschend zugebilligten Zeit anfangen soll, sagt er Inspektor Beide die Hilfe zu, und macht sich an der Seite Gregors auf, Licht ins Dunkel einer Mordserie rund um den sogenannten „Hängekünstler“ zu bringen. Dieser macht seinem Namen ebenfalls alle Ehre, denn sein Beitrag zur Kunst- und Kulturszene Österreichs besteht darin, sich auf den Bühne verschiedener Theater und Varietés aufzuhängen. Also, viel mehr: Zu erhängen. Also, so richtig eben. Überraschenderweise steht der Hängekünstler trotz des vermeintlichen realen Bühnentodes am nächsten Abend wieder auf selbiger Bühne, um sein Kunststück zu wiederholen.

Nun könnte man derlei Tun wahlweise mit Faszination oder Achselzucken begegnen und früher oder später zur Tagesordnung übergehen. Wären da nicht die zahlreichen Todesopfer in Wien und Umgebung, die man seit Beginn der Auftritte tot aufgefunden hat und die ebenfalls erhängt wurden. Mutmaßlich aber von fremder Hand, denn das, sagen wir: Tatwerkzeug, ein Strick oder ähnliches, wurde bei keinem Opfer vor Ort gefunden. Nur zu logisch, dass der naheliegendste Verdacht auf den Hängekünstler fällt.

Ob Kafkas Ermittlungen letztlich zum Erfolg führen, soll an dieser Stelle natürlich nicht erwähnt werden. Erwähnt werden soll vielmehr, dass in Jon Steinhagens Debütroman das Absurde, eben das „Kafkaeske“, aber eben auch das Humorige dominiert. Kafka und sein Mitstreiter Gregor liefern sich äußerst unterhaltsame Wortgefechte, die einem etwas fehlen, als Gregor zwischenzeitlich ein wenig in den Hintergrund tritt und Inspektor Beide dafür mehr Aufmerksamkeit bekommt, der bzw. die die schlagfertige, sprechende Blatta orientalis an Kafkas Seite leider nicht gleichwertig ersetzen kann.

Auf der anderen Seite gewinnt der charmante Humor des Buches auch nicht zu sehr die Oberhand. Steinhagen präsentiert der Leserschaft daher glücklicherweise nicht auf jeder Seite kalauernde Schenkelklopfer, sondern gibt auch der Krimihandlung des Buches genügend Zeit, sich entsprechend zu entfalten. Das Gute an der dieser Krimihandlung – jedenfalls ist das meine ganz subjektive Leseerfahrung – ist: Durch den ziemlich absurden Einstieg bekommt man als Leser den Eindruck, dass sich die Skurrilität sicherlich auch im Bereich der eigentlichen Krimihandlung fortsetzt, es mithin überhaupt keinen Sinn ergibt, sich diesbezüglich eigene Gedanken zu machen, weil man sowieso nicht auf die Lösung kommt. Daher habe ich das auch gar nicht versucht und konnte mich stattdessen vollkommen unvoreingenommen auf das einlassen, was mir Steinhagen da erzählen wollte.

Wer also sowohl Bücher mit einem angenehm humorigen Unterton, als auch in sich stimmige Krimihandlungen mag, kommt mit „Kafka und der Tote am Seil“ sicherlich auf seine Kosten.

Und für Kafka-Fans, der ich vielleicht mal einer zu werden gedenke, worauf jedenfalls die Anwesenheit seines Gesamtwerks auf meinen Stapeln ungelesener Bücher hindeutet, welches – das Gesamtwerk also – ich vor einiger Zeit in einem Anfall geistiger Umnachtung und daraus resultierend zerebral nur auf drei Pötten laufend als das Gesamtwerk Rilkes in der Erinnerung hatte, was an dieser Stelle jetzt aber nicht weiter diskutiert werden soll … „ich bitte, wieder ansetzen zu dürfen“, um mal Thomas Mann zu zitieren:

Kafka-Fans also kommen mit dem Buch vermutlich – sofern sie ein wenig Spaß verstehen – erst recht auf ihre Kosten. Der Konflikt mit dem Vater wird thematisiert, der Vater selbst taucht in seiner herrischen Art auf, man trifft Wegbegleiter Kafkas wie Jizchak Löwy, Kafka sinniert über sein intensives Vertrauen in seinen Freund Max Brod. Diesen hatte Kafka vor seinem Tod gebeten: Liebster Max, meine letzte Bitte: alles was sich in meinem Nachlass (also im Bücherkasten, Wäscheschrank, Schreibtisch zuhause und im Bureau, oder wohin sonst irgendetwas vertragen worden sein sollte und Dir auffällt) an Tagebüchern, Manuscripten, Briefen, fremden und eigenen, Gezeichnetem u.s.w. findet restlos und ungelesen zu verbrennen, ebenso alles Geschriebene oder Gezeichnete, das Du oder andere, die Du in meinem Namen darum bitten sollst, haben. Briefe, die man Dir nicht übergeben will, soll man wenigstens selbst zu verbrennen sich verpflichten.

Von diesem Wunsch nahm er nur fünf Bücher aus, allerdings meinte er „(…) damit nicht, dass ich den Wunsch habe, sie mögen neu gedruckt und künftigen Zeiten überliefert werden, im Gegenteil, sollten sie ganz verloren gehn, entspricht dieses meinem eigentlichen Wunsch.(…) (Quelle: franzkafka.de)

Wie wir nun alle wissen, kam Brod dieser Aufforderung nicht nach. Hätte er es getan, hätten wir diesen Roman hier vielleicht nie lesen können. Und das wäre sehr schade.

Ich danke dem Penhaligon Verlag und dem Bloggerportal für die freundliche Übersendung des kostenlosen Rezensionsexemplars. Die Tatsache, dass es sich um ein Rezensionsexemplar handelt, beeinflusst meine Meinung selbstredend nicht.

Weitere Rezensionen: „Schreiblust Leselust„, „Aig an taigh„, „Kriminetz„,“books-and-cats„,

Demnächst in diesem Blog: „The Shards“ von Bret Easton Ellis oder „Königsmörder“ von Robert Harris.

Werbung

„Die Markierung“ von Frída Ísberg

Buch: „Die Markierung“

Autorin: Frída Ísberg

Verlag: Hoffmann und Campe

Ausgabe: Hardcover, 288 Seiten

Die Autorin: Fríða Ísberg, geboren 1992, ist eine isländische Lyrikerin und Prosaautorin. Ihre Lyrikbände und die Kurzgeschichtensammlung „Kláði“ waren für alle wichtigen isländischen Literaturpreise nominiert, „Kláði“ u.a. für den Literaturpreis des Nordischen Rates 2020. Für ihren ersten Roman „Die Markierung“ erhielt Fríða Ísberg den Literaturpreis des isländischen Buchhandels sowie den Per-Olov-Enquist-Preis 2022. (Quelle: Hoffmann und Campe).

Das Buch: Island in naher Zukunft. Um die öffentliche Sicherheit zu erhöhen, sind bestimmte Wohngebiete nur noch für sogenannte markierte Menschen zugänglich, deren moralische Vertrauenswürdigkeit durch einen Empathie-Test nachgewiesen wurde. Bei den anstehenden Wahlen wird sich entscheiden, ob die allgemeine Markierungspflicht gesetzlich verankert wird. Ob die skeptische Lehrerin Vetur, der einflussreiche Psychologe Óli, die Geschäftsfrau Eyja oder der Schulabbrecher Tristan: Egal welchen Hintergrund sie mitbringen und egal, ob sie die gesellschaftlichen Veränderungen befürworten, hinnehmen oder aktiv gegen sie angehen – sie alle geraten in den Strudel der Verwerfungen einer Gesellschaft, deren neue Spielregeln explosive Folgen haben. (Quelle: Hoffmann & Campe)

Fazit: Das beschauliche Island in einer nicht allzu fernen Zukunft. Im Bestreben, das Land sicherer zu gestalten, werden Empathie-Tests entwickelt, deren Sinn darin liegt, durch Bestehen desselben zu verdeutlichen, dass man ein vollkommen integrer Mensch ist, von dem keinerlei Gefahr ausgeht. Zu Beginn sind diese Tests freiwillig und insbesondere Politikerinnen und Politiker unterziehen sich ihnen, um ihre Vertrauenswürdigkeit und ihre Eignung für politische Ämter zu beweisen.

Wer diesen Test besteht, kann sich in entsprechenden Registern „markieren“ lassen. Das Konzept der Markierung greift ebenso wie der Empathie-Test selbst in der Folge immer weiter um sich. Ganze Stadtteile werden markiert, Personen, die den Test nicht bestanden oder sich diesem gar nicht erst unterzogen haben, haben dort keinen Zutritt mehr. Gleiches gilt in ähnlicher Form für weite Teile der Arbeitswelt sowie natürlich eine politische Karriere. Kredite, Gesundheitsversorgung – immer mehr hängt davon ab, ob man markiert ist oder nicht. Schließlich werden die Empathie-Tests sogar bereits an Schulen eingeführt, um ggf. rechtzeitig zu bemerken, falls etwas mit einzelnen Schülerinnen und Schülern nicht stimmt, um somit rechtzeitig eingreifen zu können.

Tests und Markierungen haben anfänglich, in einer ohnehin durch immer weiter um sich greifende gegenseitige Rücksichtnahme  und sogenannte „political correctness“ geprägten Atmosphäre, durchaus den gewünschten Erfolg, die Kriminalitätsrate sinkt stetig. Schließlich zeigen sich aber auch die negativen Auswirkungen dieser Entwicklung: Diejenigen, die den Test nicht bestehen, haben eigentlich nur die Möglichkeit, sich einer von staatlicher Seite verordneten Zwangstherapie zu unterziehen, bis man eben den Test besteht. Andernfalls winken Ausgrenzung aus der Gesellschaft, Chancenlosigkeit am Arbeitsmarkt, Perspektivlosigkeit – insbesondere für junge Männer, die den Test eben vergleichsweise häufig nicht bestehen. Es häufen sich letztlich Drogenprobleme und Selbstmorde unter den Unmarkierten.

Als letzter Mosaikstein der Markierungsentwicklung steht nun eine Gesetzesinitiative vor einer Volksabstimmung, die vorsieht, die Empathie-Tests für alle Bürgerinnen und Bürger verpflichtend zu machen.

In dieser Ausgangssituation setzt Fríða Ísberg ihre Protagonisten aus. Wir begegnen hier der Lehrerin Vetur, dem Psychologen Ólafur, der Geschäftsfrau Eyja sowie dem jungen Tristan. Alle haben aufgrund ihrer Erfahrungen und ihres Lebenslaufs unterschiedliche Einstellungen zur Gesetzesinitiative und dem Prinzip der Markierung. So leidet Vetur sehr unter ihrem Ex-Freund, der sich, trotz zwischenzeitlich erwirkter Gerichtsurteile und entsprechender Abstandsreglungen, weiterhin unermüdlich als Stalker betätigt. Vor diesem Hintergrund wird nicht überraschen, dass es ihr am liebsten wäre, dass nicht nur ihr Stadtteil, sondern auch ihre Wohnung markiert wäre, um ihrem Ex dadurch den Zutritt unmöglich zu machen und ein größeres Sicherheitsgefühl zu haben.

Ähnlich sieht das auch der Psychologe Ólafur, der die Tests als sinnvolles Mittel zu einer friedlicheren Gesellschaft sieht, der überdies aber auch ein Auge auf Vetur geworfen hat, und dementsprechend wohl gewillt wäre, alles nachzuplappern und abzunicken, was sein Objekt der Begierde als richtig erachtet.

Eyja wiederum macht in ihrer Firma die Erfahrung, dass unmarkierte Kollegen plötzlich aus dem Betrieb entfernt werden, hat selbst noch keinen Test absolviert und dementsprechende Sorgen.

Den Test aus voller Überzeugung verweigert hat auch der junge Tristan, der sich dabei gegen dessen Willen an seinem großen Bruder orientiert, letztlich die Schule schmeißt, mit seiner restlichen Familie weitgehend bricht, Geld mit Einbrüchen und anderen illegalen Aktivitäten verdient und in die Drogensucht abrutscht.

Stetig zwischen diesen Erzählperspektiven wechselnd – unterbrochen nur durch einen gelegentlichen Briefwechsel zweier langjähriger Freundinnen, der wohl dazu dient, die Pro- und Contra-Positionen nochmals zu verdeutlichen, der aus meiner Sicht aber vergleichsweise unnötig daherkommt – schildert uns Fríða Ísberg, wie es Ihren Hauptfiguren auf dem Weg zur Abstimmung ergeht.

Dabei ist die eigentliche Handlung oberflächlich betrachtet nicht sonderlich dramatisch und Beziehungen der vier Charaktere untereinander erschließen sich erst relativ spät. Der Star des Buches ist eben eindeutig sein Setting, das durch Präsentation zahlreicher Für-und-Wider-Argumentationen zum Denken anregt. Mag man Ísbergs Setting der immer weiter um sich greifenden Rücksichtnahme und „political correctness“ und der sich daraus wiederum als Folge der Tests ergebenden massiven Rechtbeschränkungen für einige, nur weil die Mehrheit diese offenbar gutheißt, für realitätsfern halten. Sehr schnell stellt man sich – also, ich tat das zumindest – aber dann die Frage, ob dieses Setting angesichts einer in immer mehr Kleinstgruppen zerbröselnden Gesellschaft, die aber bitte alle für sich in Anspruch nehmen, über die gleichen Rechte zu verfügen, angesichts einer Atmosphäre, in der man sich zuweilen fragt, ob es noch statthaft, wenigstens aber angemessen ist, Witze zu erzählen, weil diese ja eine Diskriminierung der Humorlosen darstellen könnten, und angesichts zahlreicher massiver Grundrechtseinschränkungen in den vergangenen Jahren, die von vielen – mich eingeschlossen – mitgetragen wurden, weil man – mich eingeschlossen – sie für richtig hielt, angesichts all dessen also, stellt man sich schon die Frage, ob Ísbergs Setting wirklich so realitätsfern ist.

Und damit hat das Buch wohl schon alles erreicht, was es vermutlich wollte, nämlich zum Nachdenken anregen. Beispielsweise darüber, ob „gut gemeint“ wirklich auch immer „gut gemacht“ bedeutet und ob nicht auch aus den hehrsten Beweggründen kontraproduktive Entscheidungen getroffen werden können.

Klare Leseempfehlung!

Demnächst in diesem Blog: „Kafka und der Tote am Seil“ von Jon Steinhagen. Zumindest dann, wenn man mich mal endlich wieder lesen lässt …

„Der ewige Krieg“ von Joe Haldeman

Buch: „Der ewige Krieg“

Autor: Joe Haldeman

Verlag: Heyne

Ausgabe: Taschenbuch, 336

Der Autor: Joe Haldeman, 1943 in Oklahoma City geboren, studierte Physik, Astronomie, Mathematik und Informatik an den Universitäten von Maryland und Iowa. 1967 wurde er zum Militär eingezogen und nach Vietnam geschickt. Die schrecklichen Erlebnisse in diesem Krieg, aus dem er schwer verwundet zurückkehrte, haben ihn zutiefst geprägt und sein Schreiben maßgeblich beeinflusst. Mit zahlreichen preisgekrönten Romanen und Erzählungen hat er sich als einer der bekanntesten SF-Autoren unserer Zeit etabliert, der wesentlich an der Renaissance der naturwissenschaftlich-technisch orientierten Science Fiction mitwirkte. Darüber hinaus hat er sich als Bühnenautor einen Namen gemacht. Joe Haldeman lebt mit seiner Frau Gay in Ormond Beach, Florida. (Quelle: Random House)

Das Buch: Krieg. In gigantischen Raumschiffen werden die Soldaten mit Lichtgeschwindigkeit von einem Gefecht zu anderen befördert. Doch während es für sie immer nur einige Monate dauert, vergehen auf der Erde Jahrhunderte. (Quelle: Random House)

Fazit: Die Science-Fiction führt, zumindest in meiner Wahrnehmung, bis heute eine Art Nischendasein. Und wenn dann doch mal ein Vertreter des Genres die Aufmerksamkeit der breiten Masse erfährt, handelt es sich dabei selten um tatsächliche Science-Fiction, sondern eher um Space-Opera-Filmreihen, die beharrlich nicht enden wollen, gleich, wie oft sie sich inhaltlich selbst wiederkäuen. Sei´s drum. Insgesamt hat das Genre aber mehr Aufmerksamkeit verdient. Insbesondere dann, wenn es sich um so lesenswerte Klassiker handelt wie „Der ewige Krieg“.

Zu Beginn präsentiert uns Haldeman seinen Protagonisten, den Soldaten William Mandella, und führt uns Stück für Stück in sein Setting ein. Wir befinden uns in einer fernen Zukunft, die Erde wiederum befindet sich in einem interstellaren Krieg gegen die außerirdischen Taurier. Die klügsten und begabtesten Menschen werden zum Militärdienst eingezogen, gedrillt und dann in den Krieg geschickt, um auf verschiedensten Planeten in den Kampf gegen die Taurier zu ziehen.

Schon zu Beginn wird jedoch deutlich, dass „Der ewige Krieg“ nicht als gewaltverherrlichendes Action-Feuerwerk gedacht ist, sondern als ein Buch, das die gesamte Sinnlosigkeit von Krieg darstellt. So werden den angehenden Soldaten eingangs in einer Schulung zahlreiche Methoden aufgezeigt, die feindlichen taurischen Kämpfer nur mit einem Spaten bewaffnet zu töten, was bei besagten Soldaten selbst die berechtigten Fragen aufwirft, wann man denn wohl in die Situation kommen könnte, keine Wumme, dafür aber einen Spaten zur Hand zu haben und zudem, woher die Ausbilder ihre Information zur taurischen Anatomie bezogen haben, denn zu diesem Zeitpunkt hat noch kein Mensch einen lebendigen Taurier wirklich gesehen. Aber Krieg führen kann man ja schon mal …

Nach Abschluss der Ausbildung durch eine Art simulierten Kampfeinsatz – der zudem unter äußeren Bedingungen stattfindet, unter denen die Soldaten später nie wirklich kämpfen müssen, aber mit Sinnhaftigkeit hat man es in den Streitkräften ja nicht so, wie wir im letzten Absatz gelernt haben – werden die Soldaten von Planet zu Planet gekarrt, um vor Ort blutige Schlachten gegen die Besatzung kleiner Außenposten zu führen, deren Sinn – der der Außenposten – in erster Linie eigentlich darin liegt, einfach da zu sein, idealerweise vor den anderen, die von der Militärführung aber offensichtlich als strategisch relevant eingestuft werden. So ähnlich wie die Schlacht um Hügel 881 …

Die Zeit dazwischen nutzt der Autor, um uns die Gegebenheiten und Gepflogenheiten im Militär näherzubringen. Dass die Soldatinnen und Soldaten sich untereinander in sexuellen Ausschweifungen in verschiedenster Konstellation ergehen, muss zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung des Buches 1977 noch für Aufsehen gesorgt haben, heute eher für Befremden, in erster Linie bei mir. Wobei eine in jeder Hinsicht hedonistische Lebensweise im Angesicht der bevorstehenden Todes, denn die Wahrscheinlichkeit für das längerfristige Überleben eines Soldaten liegt in sehr überschaubarem Bereich – statistisch in etwa so, als würde man vier von sechs Kammern einen Revolvers mit Patronen füllen und dann zwanzigmal erfolgreich russisches Roulette spielen -, vielleicht doch irgendwie nachvollziehbar ist. Dass die Soldatinnen und Soldaten unter Hypnose darauf konditioniert werden, dass sie ein entsprechender Satz des Kommandanten in Kampfmaschinen ohne Rücksicht auf Verluste verwandelt, wirkt dagegen schon sehr viel realistischer. Ähnlich wie die Tatsache, dass die Streitkräfte durch ihre Vorgesetzten zu regelmäßigem Medikamenten- bzw. Drogenkonsum ermuntert werden. Da werden unangenehme Erinnerungen an „Panzerschokolade“ wach.

Aber auch abseits des eigentlichen Militärs überzeugt der Roman durch einen bemerkenswerten Ideenreichtum. Zu den wichtigsten Aspekten gehört hierbei, dass die Reisen zu Lichtjahren entfernten Planeten unter physikalisch korrekten Bedingungen bzw. mit den korrekten sich daraus ergebenden Folgen vonstatten gehen. In Haldemans Universum sagt niemand „Energie“, woraufhin es „wuuusch!“ macht, einen Lichtblitz gibt, und das Raumschiff befindet sich wie von Zauberhand am Zielort. Nein, hier gehen die Schiffe in eine teils Wochen dauernde Beschleunigungs- bzw. Bremsphase, in der die Soldaten Kräfte bis zu 25 G aushalten müssen. Und weil das nicht so einfach ist – Kampfjetpiloten müssen meines Wissens kurzzeitig 9 G aushalten, und schon das dürfte nicht wirklich witzig sein -, müssen sich die Streitkräfte beispielsweise in dafür vorgesehene Räume bzw. Raumanzüge begeben, die dann geflutet werden. Haldeman schreibt hier also keine magische „A wizard did it!“-Science-Fiction, sondern hält sich streng an die physikalischen Gesetzmäßigkeiten, mit den daraus eben resultierenden Folgen.

Ein weiterer, für den Roman immens wichtiger, Nebeneffekt dieser Art zu reisen, ist, dass die Soldatinnen und Soldaten auf ihren Kampfeinsätzen subjektiv oft nur einige Monate, maximal aber eine Handvoll Jahren unterwegs sind, dass währenddessen auf der Erde jedoch zwischenzeitlich wesentlich längere Zeiträume, teils hunderte von Jahren, vergangen sind. Wegen der Zeitdilatation eben. Einstein, Lichtuhren, ihr wisst schon. Die zurückkehrenden Soldatinnen und Soldaten finden sich auf der für sie vollkommen veränderten Erde nur schwer zurecht, was wohl nur so semi-subtil einen Vergleich zu Vietnamkrieg-Rückkehrern, von denen Haldeman einer ist, darstellen soll, die sich in der Heimat, trotz Ausbleiben eines Zeitsprungs, nur wenig willkommen und zu Hause gefühlt haben. Fragt John Rambo.

Auf Joe Haldemans Erde der Zukunft lässt es sich zugegebenermaßen aber wohl auch recht schwierig aushalten. Die Bevölkerung pendelte sich irgendwo beim Spitzenwert von 9 Milliarden ein – optimistische Schätzung, wie wir schon heute wissen -, die Weltwirtschaft produziert primär nur noch für den seit Jahrhunderten dauernden Krieg und würde bei einem Friedensschluss sofort zusammenbrechen. Man zahlt nicht mehr in Geld, sondern in „Kalorien“ und einer Art Berechtigungsscheine. Bei manchen von Haldemans Einfällen wird allerdings deutlich, dass der Roman eben ein Kind seiner Zeit ist. Wenn beispielsweise geschildert wird, die Staaten der Welt würden aus Gründen der Eingrenzung des Bevölkerungswachstums die Homosexualität „fördern“, so als wäre die sexuelle Orientierung eine Frage der persönlichen Entscheidung und etwas, das man dementsprechend „fördern“ könnte, dann wirkt das zutiefst befremdlich. Darüber muss man dann eben hinweglesen, sofern einem das möglich erscheint.

Ähnlich befremdlich ist verschiedenstes auch für William Mandella, der mittlerweile mehrfach befördert wurde und als einer der wenigen Soldaten aus der Anfangszeit des Krieges Jahrhunderte später noch am Leben ist und sich – überfordert von der permanent veränderten Situation auf der Erde – fragt, was genau er denn nun daraus machen soll. Wie er sich entscheidet, bzw. was genau ihn im weiteren Verlauf des Romans erwartet, darüber schweige ich mich aus, denn zu viel vorwegnehmen möchte ich nun auch nicht …

Wer also im weitesten Sinne ein Faible für „Hard Science-Fiction“ hat, sich vorstellen könnte, etwas zu lesen, das wie das literarische Kind von „Der Marsianer“ und „Im Westen nichts Neues“ daherkommt, wer dazu zusätzlich mit phasenweise ruppigem Erzählton inklusive expliziter Gewaltdarstellung zurechtkommt, dem sei die Lektüre wärmstens angeraten. Ganz klare Leseempfehlung!

Demnächst in diesem Blog: „Die Markierung“ von Fríða Ísberg

„Sternenfinsternis“ von David Seinsche

Buch: „Sternenfinsternis“

Autor: David Seinsche

Verlag: Atlantis

Ausgabe: Taschenbuch, 240 Seiten

Der Autor: David Seinsche ist ein 1982 geborener Autor, der sich vorrangig dem Thriller-Genre verschrieben hat. Der Autor mit einem Hang zur finnischen Wildnis war dereinst für eine Kunst- und Kulturzeitung tätig, wechselte dann zur Tageszeitung und entwickelte währenddessen den Wunsch, eigene Bücher zu schreiben. (Autorenhomepage)

Das Buch: Die Menschheit hat den Sprung zu den Sternen geschafft. Trotz vieler Widrigkeiten hat sie ihren Platz in der Galaxis behauptet und neue Völker entdeckt. Doch jeder Frieden ist brüchig, und als eine fremde Rasse in den bekannten Weltraum eindringt, sieht sich die Menschheit einem Feind gegenüber, der nur ein Ziel kennt: Die vollkommene Auslöschung allen Lebens! Mittendrin steht die Crew der TAS Bengalore in ihrem verzweifelten Versuch, den Untergang abzuwenden. Doch welchen Preis sind die tapferen Männer und Frauen bereit, zu bezahlen? (Quelle: Atlantis)

Fazit: Die Geschichte dieser Rezension ist eine eher ungewöhnliche und basiert darauf, dass sich Autor und Rezensent in den im Vergleich zivilisierteren Gegenden des Internets mehr oder minder zufällig über den Weg laufen und man sich dort über Bücher austauscht. Und dann ergab eben eins das andere. Hach, ein Satz, den ich immer schon mal sagen wollte. Gleich nach „Es ist nicht das, wonach es aussieht!“. Sei´s drum. Flugs wurde danach vereinbart, dem Rezensenten zwei kostenlose Rezensionsexemplare (über das zweite Buch wird beizeiten auch zu reden sein) zukommen zu lassen, die – natürlich – meine Meinung wie immer nicht beeinflussen und für die David an dieser Stelle mein herzlichster Dank gilt, und schon konnte es losgehen.

Zu Beginn findet sich die Leserschaft an Bord der TAS Bengalore unter dem Befehl von Commander William Bronson wieder. Unversehens gerät das Schiff in Kontakt mit einer bislang unbekannten außerirdischen Lebensform, über die ziemlich schnell eigentlich nur eine Sache wirklich klar ist: Diese Aliens kommen nicht in Frieden! Bronson und seine Crew machen sich auf, Unterstützung für ihre Auseinandersetzung mit den Außerirdischen zu sammeln, da die Menschheit alleine militärisch wenig dagegenzusetzen hat.

Dabei vermittelt die Handlung zunächst schnell den Eindruck, so eine Art Science-Fiction-Version von „Dragon Age: Origins“ zu sein, also – um es für Nicht-PC-Spieler zu verdeutlichen – im Kern eben daraus bestehen, dass sich die Menschen Unterstützung anderer Fraktionen und Lebensformen holen, um dann am Ende in einer finalen Schlacht gemeinschaftlich gegen eine dunkle Bedrohung usw. – glücklicherweise geht die Handlung weit über dieses rudimentäre Gerüst hinaus. Man trifft im Verlauf des Romans auf Intrigen, Verschwörungen und Größenwahn und eine abwechslungs-, tempo- und actionreich erzählte Geschichte.

Dass die Story über das erwähnte Gerüst hinausgeht, ist für den Roman allerdings Fluch und Segen gleichermaßen. Denn allen angesprochenen Handlungselementen kann „Sternenfinsternis“ aus meiner Sicht ob seiner Kürze gar nicht vollumfänglich gerecht werden. Viele Ideen wirken zwar schlüssig ins Gesamtkonzept eingearbeitet, andererseits wirken sie oft auch nur wie nebenbei angerissen, obwohl vieles davon einen deutlich größeren Fokus verdient hätte. Das gilt beispielsweise für die Hintergrundgeschichte der Außerirdischen ebenso wie für die im Roman zeitweilig verfolgte Frage, ob man auf Seiten der Menschen einen „Maulwurf“ hat, der relevante Infos an den Feind verrät oder für die Intrigen und Verschwörungen. Nun ist die Frage des Umfangs natürlich immer auch eine Frage der persönlichen Ressourcen. Während die Herren Brandhorst, Eschbach oder Hillenbrand aus „Sternenfinsternis“ daher vielleicht einen Mehrteiler gemacht hätten, in dem sie einen ganzen Band nur der erwähnten Hintergrundgeschichte der Aliens gewidmet hätten, kann und will ich an dieser Stelle gar kein Werk mit dem Umfang von „Krieg und Frieden“ erwarten. Dennoch gilt: Einige Seiten mehr hätten dem Roman deutlich gutgetan.

Das gilt umso mehr, als die Handlung und die erzählerische Atmosphäre eigentlich die Stars des Buches sind. Für die Charaktere gilt das nämlich weniger. Zwar bemüht sich das Autor, die wichtigsten seiner Figuren – allen voran Commander Bronson – auch mit einem entsprechenden Hintergrund und einer Persönlichkeit auszustatten, dennoch bleiben mir die meisten Figuren eher fremd. Das liegt sicherlich auch an deren oftmals betont kühlem Auftreten. Die TAS Bengalore kann noch so oft in Schwierigkeiten geraten und persönliche Verluste erleiden, immer sagt man sich an Bord sinngemäß, dass für Trauer angesichts der im Kampf Verstorbenen auch später noch Zeit sei. Natürlich, die TAS Bengalore ist primär ein Kriegsschiff, und an Bord eines solchen kann man nicht dauernd in tagelange Lethargie verfallen, wenn es im Roman wenigstens zuweilen etwas mehr „gemenschelt“ hätte, wäre das aber trotzdem schön gewesen.

Auf der anderen Seite vermittelt der Roman durch die oftmals distanzierte Erzählweise ein angenehmes Star-Trek-TNG-Feeling, inklusive des mehrmaligen an Picard gemahnenden Glattziehens der Uniform von Commander Bronson. Insgesamt kann man ohnehin sagen, dass es in stilistischer Hinsicht wenig bis nichts zu bemängeln gilt. Man bewegt sich hier in sprachlicher Hinsicht durchweg auf gutem Niveau, zudem überzeugt der Autor mit einem offenkundigen Händchen für Atmosphäre und insbesondere für Dialoge.

In Summe bleibt also ein Roman, der zwar ein wenig unter seinem überschaubaren Umfang leidet und dessen Figurenensemble einen nicht unbedingt mitreißt, der aber eine gelungene, kreative und spannende Geschichte erzählt. Wer dem in der öffentlichen Wahrnehmung aus meiner Sicht oftmals unterrepräsentiertem Science-Fiction-Genre mal wieder einen Besuch abstatten möchte, kann das guten Gewissens mit „Sternenfinsternis“ tun.

Demnächst in diesem Blog: „Der ewige Krieg“ von Joe Haldeman.

„Noosphäre“ von Peter Georgas-Frey

Buch: „Noosphäre“

Autor: Peter Georgas-Frey

Verlag: Selbstverlag

Ausgabe: Taschenbuch

Der Autor: Peter Georgas-Frey ist ein 1970 geborener Autor, der seit 1999 am schönen Bodensee lebt. Er veröffentlichte bereits Erzählungen und Gedichte wie „Als Paolos Hände reden lernten“, „Soantà“ und „Zeitspuren“, den Roman „Die Revolte“ sowie eine Trilogie rund um die außerirdischen Aurumer, bestehend aus „Die Heimkehr“, „Die Rückkehr“ und „Projekt Epilog“. Zuletzt erschien der Thriller „Alphavirus“, sowie die mit „Der Älteste“, „Äquinoktium“ und „Gestra“ betitelten ersten Teile der „Grenzlandgeschichten“ rund um den Bountyhunter Joe.

Das Buch: Eigentlich scheint der Abend verführerisch zu verlaufen. Aber ehe Joe bei der Blondine an der Theke den nächsten Schritt gehen kann, erhält er eine Nachricht von Crunchy. Der besitzt Hinweise, die Joe trotz beachtlicher Mengen Alkohol und Testosteron schlagartig ernüchtern.
Er stimmt zu, seinen Freund am nächsten Tag zu treffen. Rasend schnell wird Joe mit einer technologischen Entwicklung konfrontiert, welche die ganze Welt unaufhaltsam zu verschlingen droht. Aber das ist nicht alles. Es steht ein Wiedersehen bevor, welches Joe an eine alte Sehnsucht erinnert. (Klappentext)

Fazit: Während die bisherigen „Grenzlandgeschichten“ bislang eigentlich eigenständige, separate Geschichten erzählten, die sehr gut für sich allein gelesen werden können, handelt es sich bei „Noosphäre“ um die inhaltliche Fortsetzung von „Äquinoktium“, dem zweiten Teil der Reihe. Ich persönlich halte eine vorherige Lektüre von „Äquinoktium“ daher für angeraten. Dass man in „Noosphäre“ auf altbekannte Figuren trifft, ist dabei weniger das Problem, denn die Charaktere erschließen sich auch ohne Vorkenntnisse. Der Handlungsebene kann man aber vermutlich nur dann wirklich vollumfänglich folgen, wenn man die Geschehnisse des Vorgängers kennt, auch weil aufgrund der Kürze des Buches die Gelegenheit fehlt, vorangegangene Ereignisse ausreichend zu rekapitulieren.

Besagter Vorgänger war bislang eigentlich mein Lieblingsteil der „Grenzlandgeschichten“, der wird aber von „Noosphäre“ noch in den Schatten gestellt, denn mit Joes neuestem Abenteuer hat Peter Georgas-Frey, so viel sei schon eingangs verraten, den nunmehr besten Teil der Reihe veröffentlicht.

Das liegt zum einen am Figurenensemble. Ja, ich habe nach wie vor meine Probleme mit Joe. Er ist ein faktisch alkoholkranker, zuweilen latent sexistischer Drecksack mit gelegentlichem Hang zu Selbstmitleid und stellt einen Typus dar, mit dem ich persönlich sicherlich kein Bier trinken gehen würde. Aber als literarische Figur funktioniert Joe von Teil zu Teil besser. Je länger die Wegstrecke ist, die ich mit ihm verbringe, desto mehr Interesse bringe ich an ihm auf, desto mehr stellt sich mir die Frage, ob er es nicht vielleicht doch noch schafft, seinen Lebenswandel zu ändern – oder ob er irgendwann mit Heiner Brüderle Herrenwitze in der Betty-Ford-Klinik austauscht. Mögen jedoch werde ich ihn vermutlich nie.

Muss ich aber auch nicht, denn fürs mögen sind andere Figuren da. Joes Kumpel Crunchy beispielsweise. Und natürlich Beth. Denn hey: Beth ist wieder da! Wenn es dem Autor jetzt noch gelingt, irgendwann im Laufe der Reihe noch Lily aus dem ersten Teil wieder reinzuschreiben, gebe ich ihm einen aus! Bis dahin müssen aber die genannten Personen als Sympathieträger reichen, und diese Aufgabe erfüllen sie außerordentlich gut. Gleiches gilt übrigens für den Antagonisten Mercer. Der erinnert in seiner Art und Weise zwar zuweilen an Bond-Bösewichte, nur ohne weiße Katze, und seine Angewohnheit, vor versammelter Mannschaft seine diabolischen Pläne auszuplaudern, hat was von Abschlussszenen in Hercule-Poirot-Romanen, in denen der belgische Detektiv ebenfalls vor versammelter Mannschaft den Täter entlarvt, nur im vorliegenden Fall halt irgendwie … umgekehrt. In Summe wirkt Mercer aber völlig überzeugend und seine plakative Zuschaustellung seiner Pläne hin zu einer – aus seiner Sicht – besseren Gesellschaft, ergibt vor dem Hintergrund der Figurenkonstellation und Handlung absolut Sinn.

Apropos Handlung: Hier legt der Autor nochmal in jeder Hinsicht eine Schippe drauf. „Noosphäre“ ist actionreich, spannend, äußerst kurzweilig gestaltet und regt zum Nachdenken an. Insbesondere was Letzteres angeht, kann ich leider nicht ins Detail gehen, weil das elementare Handlungsbestandteile vorwegnehmen würde, insofern muss man sich hier einfach mal auf mein Urteil verlassen.

Und das fällt auch in sprachlicher und stilistischer Hinsicht ausgesprochen positiv aus. „Noosphäre“ hat den zuweilen etwas flapsigen Ton der Anfangsteile hinter sich gelassen, das Lektorat hat ebenfalls einen guten Job gemacht und insgesamt kann man sich hier überhaupt nicht beklagen. Zwar tauchen mehrfach von mir erwähnte Stilblüten immer noch auf, ich beschließe jetzt aber einfach, dass das so sein soll und ich keine Ahnung habe. :-)

Abschließend bleibt mir nichts anderes zu sagen, als dass „Noosphäre“, wie schon eingangs erwähnt, ein absolutes Lesevergnügen darstellt, und ich mit gewisser Vorfreude auf weitere Geschichten von Joe warte.

Ich bedanke mich bei Peter höchstselbst für die freundliche Übersendung des kostenlosen Rezensionsexemplars. Die Tatsache, dass es sich um ein kostenloses Rezensionsexemplar handelte, beeinflusst meine Meinung selbstredend nicht.

Demnächst in diesem Blog: „Sternenfinsternis“ von David Seinsche.