Buch: „Helgoland“
Autor: Carlo Rovelli
Verlag: Rowohlt
Ausgabe: Hardcover, 208 Seiten
Der Autor: Carlo Rovelli, geboren 1956 in Verona, ist seit 2000 Professor für Physik an der Universität Marseille. Zuvor forschte und lehrte er unter anderem am Imperial College London, der Universität Rom, der Yale University, an der Universita dell‘ Aquila und an der University of Pittsburgh. 1998/99 war er Forschungsdirektor am Zentrum für Theoretische Physik (CPT) in Luminy. Er hat die italienische und die amerikanische Staatsbürgerschaft Zusammen mit Lee Smolin entwickelte er die Theorie der Schleifenquantengravitation, die international als verheißungsvollste Theorie zur Vereinigung von Einsteins Gravitationstheorie und der Quantentheorie gilt. (Quelle: Rowohlt)
Das Buch: Als der junge deutsche Physiker Werner Heisenberg 1925 auf Helgoland die mathematischen Grundlagen der Quantenmechanik schuf, setzte er einen Prozess in Gang, der Mikrokosmos und Makrokosmos voneinander trennte. Hundert Jahre später verdanken wir der Quantenphysik unser Wissen um die Grundlagen der Chemie, die Funktionsweise der Sonne oder auch unseres Gehirns, sie ist die Basis moderner Hochtechnologie vom Laser bis zum Computer. Und doch gibt sie der Forschung nach wie vor Rätsel über Rätsel auf. (Quelle: Rowohlt)
Fazit: Ich bin – das gebe ich gerne zu – ein in naturwissenschaftlich-mathematischer Hinsicht durchaus unterdurchschnittlich begabter Mensch. Dazu kommt noch, dass die Physik – eigentlich sehr zu meinem Unverständnis, wenn ich das Ganze rückblickend betrachte – die erste Naturwissenschaft war, derer ich mich zu Schulzeiten entledigt habe. Daher war die Lektüre von „Helgoland“ ein mit einer Menge Enthusiasmus, aber überschaubaren Fachkenntnissen angegangener Selbstversuch hinsichtlich der Frage, ob ich mich der Thematik gewachsen sehen würde. Die Antwort ist ein klares, definitives „jein“.
Rovelli skizziert zu Beginn die Situation in der Physik zum Zeitpunkt von Heisenbergs Helgoland-Aufenthalt. Berühmte Physiker wie Max Planck oder Albert Einstein hatten auf dem Gebiet der Quantenphysik bereits wertvolle Vorarbeit geleistet, als Niels Bohr im Jahr 1913 sein Atommodell entwarf. dem allerdings zu eigen war, dass für die darin agenommenen stabilen Kreisbahnen, die Elektronen um den Atomkern ziehen sollten, die Gültigkeit diverser Bereiche der klassischen Physik über Bord geworfen werden mussten.
Heisenberg nun warf seinerseits die stabilen Kreisbahnen über Bord und stützte seine Forschung nicht auf Annahmen, sondern ausschließlich auf Beobachtungen. Unter Zuhilfenahme von Matrizenrechnung gelingt es ihm schließlich, das Verhalten atomarer Bestandteile zuverlässig zu berechnen. In der Folge gelangt er unter anderem zu der Erkenntnis – später „Heisenbergsche Unschärfterelation“ genannt -, dass es nicht möglich ist, zwei Eigenschaften eines Elektrons gleichzeitig zuverlässig zu bestimmen. Man kann zwar beispielsweise entweder den Ort oder die Geschwindigkeit eines Elektrons im Detail berechnen, aber nicht beides gleichzeitig. Und es macht durchaus einen Unterschied, ob ich zuerst die Geschwindigkeit oder zuerst den Ort messen möchte, denn wenn ich zuerst die Geschwindigkeit bestimme, wird das Elektron sich bei der Messung des Orts eben schon an einem völlig anderen befinden, als wenn ich die Messreihenfolge umgedreht hätte.
Nun könnte ich noch auf Dinge wie Superpositionen eingehen, in denen sich etwas bis zum Zeitpunkt der Beobachtung theoretisch in zwei verschiedenen Zuständen befinden könnte – Schrödingers vielzitierte Katze ist hierzu ein populäres Beispiel -, auf Verschränkungen und vielerlei anderes – allerdings hat, wer bis hier gelesen hat, ohnehin schon meinen höchsten Respekt, weswegen ich guten Gewissens darauf verzichte.
Und auch der Autor selbst kommt irgendwann weg von den physikalischen Fakten und wendet sich eher philosophischen Fragen zu. Er thematisiert nicht nur das menschliche Bewusstsein, sondern insgesamt die Frage, ob wir hinsichtlich der Eigenschaften von Dingen überhaupt in irgendeiner Weise Gewissheit erlangen können, wenn etwas doch nur im Moment seiner Betrachtung – mehr noch: gerade durch die Betrachtung! – bestimmte Eigenschaften aufweist und ohnehin alles von Wechselwirkungen untereinander abhängig ist.
Insbesondere diese Unbestimmtheit der Quantenmechanik, in der es lediglich um Beobachtungen und Wahrscheinlichkeiten geht, war es angeblich auch, die den eingangs erwähnten Albert Einstein zu seinem Ausspruch animiert haben soll, dass Gott nicht würfele. Daraufhin erwiderte Niels Bohr übrigens seinerzeit: „Es kann doch nicht unsere Aufgabe sein, Gott vorzuschreiben, wie er die Welt regieren soll.“ Darin liegt viel Weisheit, wie ich finde.
Jahrzehnte später sagte Stephen Hawking zu Einsteins Ausspruch übrigens: „Gott würfelt doch, nur wirft er die Würfel mitunter dorthin, wo man sie nicht sehen kann.“
Und so hatte ich zum Ende des Buches den Eindruck, den einen oder anderen inhaltlichen Würfel, den Rovelli geworfen hat, nicht so ganz gefunden zu haben. Was aber letztlich bleibt, was aber unweigerlich im voranstehenden, trockenen Text so gar nicht transportiert werden konnte, ist, dass „Helgoland“ auch für Physik-Laien eine faszinierende Lektüre bietet, bei der es gar nicht so entscheidend ist, ob man die physikalischen Fakten nun bis ins Detail nachvollziehen kann, sondern die auch abseits davon faszinierende Denkanstöße bietet, die mich länger beschäftigen werden.
Dabei fällt mir gerade ein: Woher weiß ich eigentlich, dass voranstehender Text so trocken ist und dass keinerlei Faszination transportiert werden konnte? Genaugenommen gilt das nur für den Augenblick eurer Lektüre, für die Beobachtung des Textes also. Es mag sein, dass eine neuerliche Lektüre – morgen, übermorgen, am besten fürderhin einmal täglich für alle Zeiten – ein ganz anderes Ergebnis bringt!?
Ich danke dem Rowohlt Verlag für die freundliche Übersendung des Rezensionsexemplars. Die Tatsache, dass es sich um ein Rezensionsexemplar handelt, beeindlusst meine Meinung selbstredend nicht.
Demnächst in diesem Blog: „Amerikas Gotteskrieger“ von Annika Brockschmidt.