Buch: „Die Gestirne“
Autorin: Eleanor Catton
Verlag: btb
Ausgabe: Taschenbuch, 1038 Seiten
Die Autorin: Eleanor Catton ist eine 1985 in Kanada geborene neuseeländische Schriftstellerin. Sie studierte Englisch an der University of Canterbury und anschließend Kreatives Schreiben an der Victoria University of Wellington.
Im Jahr 2008 erschien mit „The Rehearsal“ ihr Romandebüt. Für die 2010 veröffentlichte deutsche Ausgabe übersetzte man den Titel völlig logisch mit „Die Anatomie des Erwachens“…
Für ihren im Jahr 2013 veröffentlichten zweiten Roman „Die Gestirne“ erhielt die junge Autorin den begehrten Booker Prize. Eleanor Catton lebt in Auckland und unterrichtet Kreatives Schreiben am Manukau Institute of Technology.
Das Buch: In einer Hafenstadt an der wilden Westküste Neuseelands gibt es ein Geheimnis. Und zwei Liebende, die einander umkreisen wie Sonne und Mond.
Als der Schotte Walter Moody im Jahr 1866 nach schwerer Überfahrt nachts in der Hafenstadt Hokitika anlandet, trifft er im Rauchzimmer des örtlichen Hotels auf eine Versammlung von zwölf Männern, die eine Serie ungelöster Verbrechen verhandeln. Und schon bald wird Moody hineingezogen in die rätselhaften Verstrickungen der kleinen Goldgräbergemeinde, in das schicksalhafte Netz, das so mysteriös ist wie der Nachthimmel selbst. (Quelle: btb)
Fazit: Ein diesem immerhin über 1.000 Seiten umfassenden Roman angemessenes Fazit würde meinen Blog nahe an die Grenzen seiner Speicherkapazität bringen. Daher bemühe ich mich um Kürze und darum, dennoch alles Wichtige zu erwähnen.
Der Einstieg in „Die Gestirne“ fiel mir, wie ich zugeben muss, etwas schwer. Cattons Schreibstil ist außerordentlich schön, manchmal aber eben auch etwas weitschweifig. So wird zu Beginn umfassend das emotionale Innenleben des Protagonisten Walter Moody beschrieben, und ich dachte mir nach ein einigen Seiten:“Ob das jetzt wohl immer so weiter geht…?“ Ja, das tut es, und auf diesen weitschweifigen Stil muss man sich einlassen. Wenn man das tut, steht einem großartigen Lesevergnügen aber nichts mehr im Wege.
Cattons Stil bietet, neben der sprachlichen Schönheit, durchaus auch weitere Vorteile. Die Geschehnisse rund um die ungelösten Verbrechen werden von einigen der o. g. zwölf Männer nacheinander erzählt. Die jeweiligen Schilderungen der Erzähler leitet Catton durch eine intensive Beschreibung der Charaktere, deren Wesen und Hintergrund ein. Die einzelnen Erzählungen lässt die Autorin auf schon fast filmische Art ineinander übergehen, indem sie sinngemäß schreibt „verlassen wird nun Charakter X und wenden uns Charakter Y zu, der zum selben Zeitpunkt, an dem X an den Klippen steht…“ usw. Ich für meinen Teil hatte in solchen Momenten schon fast „Star Wars“-ähnliche Szenenwechsel vor Augen.
Die Charakterisierung der einzelnen Personen findet, wie erwähnt, im Rahmen von deren Erzählungen statt. Das hat zwar den Vorteil, dass man gleich zu Beginn der jeweiligen Erzählung das Gefühl hat, den Charakter in- und auswendig zu kennen, im Laufe der Zeit bleibt allein durch diese komprimierte Art der Charakterisierung und den großen Umfang des Romans aber so einiges auf der Strecke. Trotzdem finde ich, dass man in diesem Bereich nicht vieles besser machen kann, als die Autorin es tut.
Nachdem Stil und Charaktere meine Zustimmung finden, bleibt die Handlung als solche. Und auch hier kann ich kaum etwas kritisieren. Zwar scheint die Autorin nach ihrem 400 Seiten starken Debüt den Gedanken gehabt zu haben: „Jetzt beweise ich den Leuten mal, dass ich auch so richtig umfangreich kann“, aber dennoch ist meiner Meinung nach keine dieser 1038 Seiten überflüssig, die Handlung bleibt durchgehend spannend und komplex. Man merkt der Autorin an, dass sie Spaß am Erzählen, am Fabulieren hat.
Der einzige wirkliche Kritikpunkt ist, dass sich mir die Namensgebung des Romans, die Fixierung auf Gestirne – in der Personenübersicht werden Charaktere mit Sternen, andere mit Planeten gleichgesetzt – nicht wirklich erschlossen hat. Gut, bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass die Kapitel in ihrer Länge abnehmen. Das zweite hat nur noch etwa die Hälfte des Umfangs des ersten, das dritte nur noch etwa die Hälfte des Umfangs des zweiten usw. Mit viel Wohlwollen kann man das ja mit Mondphasen gleichsetzen. Was das Ganze ansonsten mit Astronomie und Astrologie zu tun hat – keine Ahnung.
Dabei möchte ich es auch schon bewenden lassen, auch und weil ich vor Beginn meiner Rezension eine Rezension in der „Welt“ gelesen habe, die mich ein wenig demoralisiert hat. Einmal, weil sie ungleich besser geschrieben ist und zweitens, weil sie offensichtlich meine Begeisterung für „Die Gestirne“ nicht teilt. Und außerdem, weil dort ein Feuilletonist den Eindruck vermittelt, er halte sich für ganz was Dolles und müsse das jetzt mal beweisen, indem er einen preisgekrönten Roman schlecht schreibt. Aber das ist natürlich nur meine Eindruck. Wer sich also eine Gegenmeinung verschaffen möchte, der möge dort nachlesen.
Ich, für meinen Teil, bleibe bei meiner Meinung: „Die Gestirne“ ist eines der bisherigen Handvoll Lese-Highlights des Jahres. Es ist eindringlich, wunderbar geschrieben und in erzählerischer Hinsicht meisterhaft!
P.S. Bei solchen Wälzern, die auch in der deutschen Übersetzung sprachlich anspruchsvoll wirken, ist es angebracht, ein Wort über den Übersetzer – im vorliegenden Fall die Übersetzerin – zu verlieren: Melanie Walz hat einen hervorragenden Job gemacht! Ihre Art, „Die Gestirne“ zu übersetzen, erinnerte mich immer wieder dunkel an „Lemprières Wörterbuch“ – an dem ich, wie ich zugeben muss, auf ganzer Linie gescheitert bin, trotz mehrfacher Versuche. Und siehe da, später stellte sich heraus: Melanie Walz hat auch „Lemprières Wörterbuch“ übersetzt – ein Zeichen dafür, dass mein Sprachgefühl doch noch nicht ganz tot ist. :-)
Wertung
Handlung: 9 von 10 Punkten
Charaktere: 9,5 von 10 Punkten
Stil: 10 von 10 Punkten
Atmosphäre: 10 von 10 Punkten
Gesamtwertung: 9,625 von 10 Punkten
Demnächst in diesem Blog: „Der Sündenfall von Wilmslow“ von David Lagercrantz.