„Das Lied des Blutes – Rabenschatten 1“ von Anthony Ryan – Und wieder eine Trilogie…

Buch: „Das Lied des Blutes – Rabenschatten 1“

Autor: Anthony Ryan

Verlag: Klett-Cotta

Ausgabe: Gebunden, 774 Seiten

Der Autor: Anthony Ryan ist ein 1970 in Schottland geborener Autor. Er war lange Zeit im öffentlichen Dienst tätig, bevor er durch den Erfolg seines Buches „Das Lied des Blutes“ die Gelegenheit bekam, sich vollständig aufs Schreiben zu konzentrieren. Neben Fantasy-Romanen schreibt Ryan auch Science-Fiction-Bücher sowie Sachbücher.

Sehr viel mehr Informationen über den britischen Schriftsteller schein auch sein deutscher Verlag nicht zu haben. Wer sich intensiver mir Ryan und seinen Büchern auseinandersetzen möchte, dem sei seine Website empfohlen.

Das Buch: Vaelin Al Sorna ist der Sohn des Kriegsherrn seiner Majestät König Janus, Herrscher über die Vereinigten Königslande. Der König plant, ihn später mit seiner Tochter, Prinzessin Lyrna, zu verheiraten.

Doch Vaelins Vater, der Kriegsherr, hat andere Pläne. Im Alter von 10 Jahren wird der Junge in die Obhut des 6. Ordens übergeben. Während sich die anderen Orden z.B. mit der Heilkunst oder der Frage nach dem „Dunklen“ – andere würden es Magie nennen – beschäftigen, ist es die Aufgabe des 6. Ordens, die Königslande gegen die Feinde des Glaubens zu verteidigen.

Vaelin und seine „Brüder“ werden daher einer harten und entbehrungsreichen Ausbildung unterzogen, an dessen Ende sie alle zu fähigen Kämpfern geworden sein sollen – zumindest die, die diese Ausbildung überleben.

Nach seiner Ausbildung – Vaelin hat sich mittlerweile einen gewissen Ruhm im Umland erarbeitet – gelingt es König Janus dennoch, den Ordensbruder mittels umfangreicher Intrigen in seine Dienste zu bekommen. Vaelin wird geadelt, er wird ein „Schwert des Königs“, bekommt ein eigenes miltärisches Kommando und einen Auftrag: Er soll an einem großen Feldzug der Vereinigten Königslande gegen das Alpiranische Kaiserreich teilnehmen.

Dort bekommt er die Gelegenheit, sich intensiver mit dem „Lied des Blutes“ zu beschäftigen, eine Fähigkeit, mit der er schon zu Zeiten seiner Ausbildung erste Erfahrung gemacht hat und die man als eine Art übersinnlicher Wahrnehmung beschreiben könnte. Vaelin möchte die Ursache des Liedes erfahren. Ist vielleicht der geheimnisumwitterte 7. Orden dafür verantwortlich, der eigentlich bereits vor Jahrhunderten aufgelöst wurde, aber im Geheimen angeblich weiter existierte?

Vaelin Al Sorna versucht einerseits, Licht ins Dunkel rund um die Stimme des Blutes zu bekommen und andererseits, den Kampf gegen das übermächtige Heer des Kaiserreichs zu gewinnen – oder wenigstens zu überleben.

Fazit: Fantasy-Bücher haben in den allermeisten Fällen eine Gemeinsamkeit: Es gibt sie in mindestens 3 Teilen, manchmal auch in 4, 6, 9, 10 oder 12! Das birgt mindestens zwei Probleme. Das erste ist ganz banaler, weil finanzieller Natur: Sollte ich das Verlangen haben, mir alle 3 Teile von Anthony Ryans „Rabenschatten“-Trilogie in gebundener Version kaufen zu wollen – und sei es nur, weil es im Bücherregal so hübsch aussieht – dann kostet mich das satte 75,- €! Das finde ich dann schon ein bisschen happig! Dafür überlässt mir der Diogenes Verlag schon die Hälfte von Bernhard Schlinks Belletristik-Gesamtwerk in der Taschenbuchversion – was im Übrigen weder eine Werbung für den genannten Verlag noch den besagten Schriftsteller sein soll, sondern lediglich ein Beispiel. Tja, lesen als Hobby sollte keine Frage des Geldes sein, aber machen wir uns nichts vor: Manchmal ist es das doch!

Für mich als Rezensenten sorgt die Aufteilung in mehrere Teile aber noch für ein ganz anderes Problem. Wenn ich die gesamte Trilogie rezensiere, erzähle ich möglicherweise zuviel von der Handlung, rezensiere ich nur den ersten Teil, kann ich möglicherweise nicht genug von der Handlung erzählen, schließlich ist sie dann noch nicht abgeschlossen, klingt vielleicht langweilig und weist – wie im vorliegenden Fall – allerlei lose Fäden auf, die im nächsten Teil hoffentlich wieder aufgegriffen und weitergesponnen werden. Aber da niemand gesagt hat, dass das Leben als Rezensent ein einfaches wäre, versuche ich mich trotzdem mal an einer Beurteilung von Anthony Ryans Trilogie-Auftakt.

Die Handlung hat neben dem eingangs beschriebenen noch einige Nebenhandlungsstränge – die unvermeidliche Romanze habe ich z.B. einfach mal nicht erwähnt – und weiß von vorne bis hinten durchgehend zu unterhalten. Gut, zu Beginn des Buches wird recht ausführlich die Ausbildung Vaelins im Orden erläutert – was mich als Laien ohne diesbezügliche Kenntnisse ganz leicht an Harry Potter erinnerte. Nur ohne Quidditch und Muggels, dafür aber in brutal! Aber auch schon in diesem Teil des Buches weiß der Autor mit der einen oder anderen Idee zu überzeugen, die den Leser über das ganze Buch begleiten wird.

Und zum Ende des Buches wird das „Lied des Blutes“ thematisch wirklich ein wenig überstrapaziert. Ja, es ist für den ersten Teil auch namensgebend, aber trotzdem…

Die Charaktere in Ryans Erstling sind erfeulich gut gezeichnet. Vaelin ist zwar ein begnadeter und durch das Lied des Blutes nahezu unkaputtbarer Kämpfer, aber auch ihm gelingt nicht alles, auch er muss manchmal einsehen, nur Spielball der Mächtigen zu sein und seinem Schicksal nicht entfliehen zu können. Dazu kommen der ein oder andere Charakter, über den man seine Meinung im Laufe der Handlung gänzlich revidieren muss. Je weiter man allerdings in den Bereich der Nebencharaktere hineinkommt, umso schwieriger wird es. Während es bei Vaelins fünf Mitbrüdern noch relativ einfach fällt, sie auseinanderzuhalten, wird das bei einigen Adligen schon schwieriger. Des öfteren hatte ich ein Gefühl von „Wer-war-das-noch-gleich?“. Hätte ich den „Anhang I – dramatis personnae“ am Ende des Buches nicht erst ca. ab Seite 700 entdeckt, hätte ich damit weniger Schwierigkeiten gehabt… Aber ich habe halt die komische Angewohnheit, Bücher von vorne anzufangen, so! ;-)

Auch stilistisch kann man Ryan wenig vorwerfen. Mein Eindruck war, dass er sich anfangs noch zwischendurch Zeit für längere Sätze nimmt und gegen Ende, als die „Action“ deutlich anzieht und die Zeitsprünge zwischen den Kapiteln häufiger werden, auch den Stil anpasst. Sollte es tatsächlich so sein, ist ihm das gut gelungen. Sollte das nur mein persönliches Empfinden sein, gefällt es mit trotzdem. ;-)

Abschließend kann man sagen, dass mit „Das Lied des Blutes“ ein guter Einstieg in die „Rabenschatten-Trilogie“ gelungen ist und ich mich zeitnah aufmachen werde, um den zweiten Teil in meinen Besitz zu bringen. Im August erscheint dann Teil drei. Dann bin ich um eine hoffentlich gleichbleibend gute Trilogie, die sich super in meinem Bücherragel macht, reicher – und um ca. 75,- € ärmer…

Wertung:

Handlung: 8,5 von 10 Punkten

Stil: 8 ,5 von 10 Punkten

Charaktere: 8 von 10 Punkten

Atmosphäre: 9 von 10 Punkten

Gesamtwertung: 8,5 von 10 Punkten

Demnächst in diesem Blog: „Vergiftet“ von Thomas Enger. Ein norwegischer Krimi.

„Corpus Delicti“ von Juli Zeh – In 10 Schritten zur Dystopie

Buch: „Corpus Delicti“ (2010)

Autorin: Juli Zeh

Verlag: btb

Ausgabe: Taschenbuch, 264 Seiten

Die Autorin: Juli Zeh ist eine 1974 in Bonn geborene deutsche Juristin und Schriftstellerin. Sie studierte Jura sowie Europa- und Völkerrecht in Passau, Leipzig, Prag und New York.

Bereits mit ihrem Debütroman „Adler und Engel“ konnte sie die Leser begeistern. Dem Erstling folgten viele weitere Romane, Essays, Kinderbücher, Theaterstücke, Hörspiele und Kurzgeschichten. Ihre Werke wurden mittlerweile in über 35 Sprachen übersetzt.

Die Autorin ist neben ihrer literarischen Tätigkeit auch für ihr politisches Engagement bekannt. So äußerte sie sich öffentlich zur Einführung des biometrischen Reisepasses sowie der NSA-Affäre. Darüber hinaus verfasst sie in regelmäßigen Abständen Essays für „Die Zeit“ und die „FAZ“.

Zeh lebt im Landkreis Havelland in Brandenburg.

Das Buch: Deutschland in der Mitte des 21. Jahrhunderts. Die Menschen leben in einer Art Gesundheits-Diktatur, die sich die METHODE nennt. Alle Krankheiten sind vollständig ausgerottet, die Menschen leben in vollkommen keimfreien Häusern und meiden die freie Natur. Im Fokus der METHODE liegt das gesundheitliche Wohl des Einzelnen, woraus das Allgemeinwohl entstehen soll. Sie legitimiert sich durch den unbedingten Überlebenswillen jedes Einzelnen.

Diese Art des sorgenfreien Lebens hat allerdings seinen Preis: Der Staat führt peinlich genau Aufsicht über die Lebensweise seiner Einwohner. Die freie Wahl eines Lebenspartners ist illegal und gehört der Vergangenheit an, sie werden von der METHODE nach immunologischem Profil vorgeschlagen. Darüber hinaus sind die Menschen verpflichtet, sich sportlich zu betätigen, z.B. indem sie festgelegte Strecken auf dem Heimtrainer laufen. Sie müssen regelmäßig Schlaf- und Ernährungberichte abgeben sowie medizinische und hygienische Proben einreichen. Der Konsum von Zigaretten, Alkohol oder sonstigen gesundheitsschädlichen Substanzen ist verboten und wird von der METHODE juristisch verfolgt bzw. bestraft.

In dieser Welt lebt Mia Holl, Wissenschaftlerin und Vernunftmensch. Sie ordnet sich im System ein und hält es für gerecht, geradezu unfehlbar. Ihr Bruder Moritz sieht es ganz anders, er fühlt sich vom System eingeengt und wünscht sich die Freiheit, auch mal unvernünftige Dinge tun und Risiken eingehen zu dürfen.

Dann folgt der große Schock: Eine Frau wird umgebracht, die Behörden können am Mordopfer die DNA von Moritz Holl sicherstellen. Mia aber weiß intuitiv, dass ihr Bruder keinen Mord begangen haben kann, schließlich kennt sie ihn so gut wie niemanden sonst. Mia muss eine Entscheidung fällen: Entweder sie glaubt daran, dass ihr Bruder ein Mörder ist, oder aber die METHODE hat einen Fehler gemacht, somit ist sie nicht unfehlbar und das ganze System müsste hinterfragt werden.

An der Seite des Rechtsanwalts Rosentreter versucht Mia schließlich doch, die Unschuld ihres Bruders zu beweisen

Fazit: Auf dieses Buch aufmerksam geworden bin ich durch einen Kommentar von keinmenschenfeind. Vielen lieben Dank für die Anregung!

Trotz des überschaubaren Umfangs von 264 Seiten ist „Corpus Delicti“ kein Buch, das man mal eben so weglesen kann. Das Buch wehrt sich, es sperrt sich, ist schwer zugänglich. Diese Wirkung erreicht die Autorin durch die Wahl eines sehr charakteristischen Stils. Zeh erzählt die Geschichte in Zeitsprüngen zwischen Gegenwart und Vergangenheit und auf eine sehr nüchterne, fast steril wirkende Art und Weise. Das muss man nicht mögen! Und wäre mir dieser Stil in einem anderen Buch untergekommen, dann hätte ich es wahrscheinlich nach kurzer Zeit entnervt und befremdet weggelegt. Hier aber passt dieser Stil einfach unheimlich gut in den gewählten Handlungsrahmen, schließlich ist die beschriebene Welt in „Corpus Delicti“ eine ebenso sterile.

Auch die Dialoge lösten bei mir mal wieder eine „So-redet-doch-kein-Mensch“-Reaktion aus. Aber auch das finde ich unter Berücksichtigung des Handlungsrahmens – ich vermeide gerade erfolgreich den Anglizismus „Setting“ – irgendwie passend. Zur Mitte unseres Jahrhunderts reden die Menschen möglicherweise tatsächlich so oder ähnlich.

Die Charakterzeichnungen leiden ein wenig unter dem geringen Umfang von „Corpus Delicti“. Bis auf Mia haben alle Charaktere nur ein gewisses Grundmerkmal, dass sie ausmacht: Anwalt Rosentreter will das System aus persönlichen Gründen zu Fall bringen, der für die METHODE werbende Kramer fungiert als Bösewicht, Moritz zeichnet sich in erster Linie durch seine Freiheitsliebe und seine Unangepasstheit aus usw. Eine Wendung der Weltanschauungen oder sonstige Entwicklung der Charaktere im Laufe der Handlung findet nicht statt.

Im Fokus der Handlung steht bei Zeh kein sonderlich spektakulärer Spannungsbogen, schließlich ist das Buch kein Thriller. Die Autorin stellt im Rahmen der Handlung in erster Linie die Kritik am dargestellten System in den Fokus. Daher verzeihe ich ihr auch den Einfall zur Auflösung der Mordermittlung gegen Moritz Holl. Diesbezüglich kann und möchte ich natürlich nicht spoilern, muss aber mal eine mir nahestehende ganz zauberhafte Person, die in den Naturwissenschaften – speziell der Biologie – sehr bewandert ist, fragen, ob das alles so stimmen kann, was mir Frau Zeh da vorsetzt. Nun, jedenfalls regt die geäußerte Kritik am diktatorischen System und am gläsernen Menschen, die die Autorin über ihre Figuren äußert, wirklich zum Nachdenken an. Inwieweit haben wir es denn schon geschafft, die Weichen für ein solches System in naher oder ferner Zukunft zu stellen? Also denke ich jetzt mal nach:

Nehmen wir mal an, es wären wirklich 10 Schritte, die es bräuchte, um vom Ist-Zustand in die Dystopie der Autorin zu geraten… Dann haben wir Schritt 1 vielleicht schon damit gemacht, dass irgendwann mal „elektronische Gesundheitskarten“ eingeführt wurden, die in naher Zukunft sämtliche medizinischen Daten über den entsprechenden Patienten enthalten sollen, welche aber genialerweise nicht im System des behandelnden Hausarztes gespeichert werden, sondern irgendwo in der „Cloud“, um einem potentiellen Hacker die Arbeit zu erleichtern und ihn nicht zu überfordern.

Auch Schritt 2 haben wir bereits getan, indem wir – überspitzt gesagt – Facebook mehr persönliche Daten anvertrauen, als die Stasi je erspitzeln wollte und wir zusätzlich noch eine Unmenge weiterer Informationen über uns, unser Leben und unsere Lebensweisen unreflektiert ins Netz rausposaunen, einfach weil wir es können.

Schritt 3 haben wir hinter uns gebracht, als bei Umfragen die befragten Menschen in der großen Mehrzahl eine hohe Bereitschaft zu dem Vorschlag äußerten, Fitnessarmbänder zu tragen und die aufgezeichneten Daten über Blutdruck, Puls, gelaufene Kilometer und dergleichen mehr der Krankenkasse zu überlassen – und das einzig und allein für niedrigere Krankenkassenbeiträge.

Schritt Nummer 4 wurde gemacht, als die AfD sich öffentlich für das Lebensmodell der Familie als Basis des Staates stark machte und sich gleichzeitig gegen staatliche Förderung von „individuellen“ Lebensweisen wie z.B. des „selbstgewählten“ Lebensmodells der „Alleinerziehenden“ aussprach. Ich muss bei solchen Äußerungen immer arg würgen , aber irgendwie blieb dieser Vorschlag – in meiner Wahrnehmung – weitgehend unwidersprochen und niemand ging auf die Straße, um mit Fackeln und Forken für gesellschaftliche Errungenschaften zu kämpfen. Vielleicht waren Deutschlands Marktplätze gerade aber auch nur durch „Pegida“ besetzt…

Schritt 5 schließlich wurde gerade heute absolviert, und zwar mit der gesetzlichen Vorgabe, Zigarettenschachteln in Zukunft mit Schockbildern von Raucherlungen, Leichen und ähnlichem zu versehen. Wobei ich damit in keiner Weise den Tabakgenuss als solchen gut heißen möchte, ich bin lediglich der Meinung, dass es nicht die Aufgabe des Staates sein kann, die Menschen vor ihrer eigenen Dummheit zu beschützen! Außerdem müssten dann auch weitere Dinge mit Warnhinweisen versehen werden. Bierflaschen mit Bildern einer Säuferleber in den verschiedensten Stadien des Verfalls, Zapfsäulen an der Tankstelle mit Bildern von Unfallopfern und Chipstüten mit Bildern von verstopften Herzkranzgefäßen. Macht aber keiner! Warum nur?

Belassen wir es bei diesen schon getätigten 5 ersten Schritten hin zur Gesundheitsdiktatur. Diese Schritte wurden alle in einem überschaubaren Zeitraum innerhalb der letzten paar Jahre getätigt. Sollten die Schritte 6 bis 10 eine ähnlich kurze Dauer benötigen, dann ist „Corpus Delicti“ bald kein dystopischer Roman mehr, sondern ein Sachbuch. Oder verboten…

Edit 2020: Zu ihrem mittlerweile über ihren Roman veröffentlichten Buch „Fragen zu „Corpus Delicti““ gelangt man hier.

Wertung:

Handlung: 8,5 von 10 Punkten

Stil: 9 von 10 Punkten

Charaktere: 7 von 10 Punkten

Atmosphäre: 9 von 10 Punkten

Gesamtwertung: 8,375 von 10 Punkten

Demnächst in diesem Blog: Bald geht es mal wieder in das hier weiterhin unterrepräsentierte Fantasy-Genre. „Das Lied des Blutes“ von Anthony Ryan.

„Die Geschichte der Baltimores“ von Joel Dicker – Die Goldmann-Gang

Buch: Die Geschichte der Baltimores (2016)

Autor: Joel Dicker

Verlag: Piper

Ausgabe: Gebunden, 510 Seiten

Der Autor: Joel Dicker ist ein 1985 in Genf geborener Schweizer Autor. Nach einem einjährigen Schauspielstudium in Paris beschloss Dicker, in Genf ein Jurastudium zu beginnen, das er 2010 erfolgreich beenden konnte.

Nach einer Novelle und einem ersten Roman (beide nicht auf deutsch erschienen), wurde 2013 in Deutschland sein zweiter Roman „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ veröffentlicht. Dieses Buch erhielt zahlreiche Preise, wurde in über 30 Sprachen übersetzt und millionenfach verkauft.

Nach diesem Überrschungserfolg führt Dicker nun mit „Die Geschichte der Baltimores“ die Erlebnisse seines Protagonisten Marcus Goldmann fort. Ich wage einfach mal die Prognose, dass sich dieses Buch einer ähnlichen Beliebtheit bei der weltweiten Leserschaft erfreuen wird wie sein Vorgänger.

Das Buch: Marcus Goldmann ist ein erfolgreicher Schriftsteller. Um sein neuestes Buch in aller Ruhe und Abgeschiedenheit schreiben zu können, hat sich Goldmann ein Haus in Florida gekauft. Dann kommt jedoch alles anders.

Goldmann läuft ein Hund zu. Beim Versuch, die Besitzer des Tieres zu finden, stellt sich heraus, dass der Hund Alexandra Neville gehört, einem gefeierten Popstar – und bis vor acht Jahren Goldmanns Freundin.

Durch diese Begegnung erinnert sich der Schriftsteller an seine eigene Vergangenheit und an die der Familie Goldmann. Da gab es die Goldmanns aus Baltimore, bestehend aus Marcus´ Onkel Saul, seiner Tante Anita und seinen Cousins Hillel und Woody.  Die „Baltimores“ sind reich, berühmt und priviligiert.

Und da gab es die Goldmanns aus Montclair, bestehend aus Marcus und seinen Eltern. Die „Montclairs“ sind das genaue Gegenteil von reich, berühmt und priviligiert.

Inspiriert von der Begnung mit Alexandra, erzählt Goldmann die Geschichte der Baltimores und die der Montclairs – die eine glückliche sein könnte, gäbe es da nicht das Ereignis, dass das Schicksal der Familie für immer veränderte und von allen nur als „die Katastrophe“ bezeichnet wird…

Fazit: Im Jahr 2014 habe ich bereits Dickers ersten auf deutsch erschienenen Roman „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ gelesen und war davon ziemlich beeindruckt. Die Einschätzung meiner Buchhändlerin, dass besagtes Buch „schon so ein paar Längen“ gehabt habe, kann ich bis heute nicht nachvollziehen, weswegen ich seinerzeit wegen dieser Bemerkung auch fast bewusstlos vor Empörung geworden wäre.

Aber genug vom Vorgänger, kommen wir zu Dickers aktuellem Buch.

Dicker erzählt „Die Geschichte der Baltimores“ unter Verwendung vieler Zeitsprünge. Bereits zu Beginn des Buches erfährt der Leser von „der Katastrophe“ die über die Familie Goldmann hereingebrochen ist. Die damit aufgebaute Spannung behält Dicker auf den folgenden 500 Seiten durchgehend bei. Dabei führen die Zeitsprünge nicht etwa zur Verwirrung beim Leser – schließlich sind sie datiert – sondern eher dazu, dass sich das Gesamtbild um „die Katastrophe“ erst nach und nach erschließt. Erst zum Ende hin fügen sich dann die Einzelteile der Handlung puzzleartig zu einem beeindruckenden Ganzen zusammen.

Dieser Art des Erzählens bediente sich Dicker bereits bei „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“, was mir damals bereits sehr gut gefallen hat. Die Erzählweise führt dazu, dass man niemals schlauer ist als der Protagonist selbst. Dabei baut der Autor eine Vielzahl von dem ein, was man heute so fürchterlich „cliffhanger“ nennt, was es dem Leser wirklich schwer macht, an einer Stelle einfach aufzuhören.

Dickers Stil gefiel mir dabei in „Die Geschichte der Baltimores“ noch besser als im Vorgänger. Ich hatte das Gefühl, dass wirklich jeder Satz und jedes Wort genau da steht, wo er hingehört und man auch nichts hätte entfernen können, ohne das große Ganze zu beschädigen. Großes Kino!

Die Handlung selbst kommt dabei unaufgeregter, ruhiger und nichtsdestotrotz durchgehend spannend daher. Anfangs beschreibt Dicker Marcus´ Kindheit, die dieser zum großen Teil mit und bei seinen Cousins Hillel und Woody – später gehört auch Alexandra dazu – verbracht hat. Dabei verströmt dieser Teil des Buches die angenehme Wohlfühl-Atmosphäre der 80/90er-Jahre-Serie „Wunderbare Jahre“. (Dabei fällt mir ein, was macht eigentlich Danica McKellar heute? Hach, was fand ich die in besagter Serie toll!)

Erst im Laufe der Zeit merkt man, wie langsam der Schatten „der Katastrophe“ auf die Handlung fällt. Und auch wenn man als Leser befürchtet, dass das alles unmöglich ein gutes Ende nehmen kann – man liest trotzdem weiter, weil man es wissen will!

Auch die Charaktere sind Dicker hervorragend gelungen, auch wenn dieser Bereich der einzige wäre, in dem man möglicherweise Kritik anbringen könnte – was ich aber nicht will! Würde ich etwas an den Charakteren kritisieren wollen, dann dass der Unterschied zwischen den Baltimores und den Montclairs schon sehr schwarz-weiß gezeichnet wird. Und dass die Charaktere in der Mehrzahl schon wirklich unwirklich erfolgreich sind: Onkel Saul ist berühmter Anwalt, Tante Anita eine geachtete und kompetente Ärztin, Hillel ist hochbegabt, Woody hat eine glanzvolle Sportlerkarriere in der NFL vor sich, Alexandra ist Popstar und Marcus ein gefeierter Besteller-Autor. Das ist in der Menge dann doch schon ein bisschen dolle viel aufgetragen! Das alles würde ich kritisieren, wenn es mich stören würde. Was es nicht tut, deswegen tue ich´s nicht! ;-)

Insgesamt ist „Die Geschichte der Baltimores“ ein wirklich wunderbarer und unterhaltsamer Roman, der meinetwegen gerne die doppelte Seitenzahl hätte haben dürfen. Auch wenn er dann vielleicht „schon so ein paar Längen“ gehabt hätte…

Wenn nichts außergewöhnliches mehr passiert, ist „Die Geschichte der Baltimores“ mein persönliches „Buch des Jahres“ und eine unbedingte Leseempfehlung!

Wertung:

Handlung: 10 von 10 Punkten

Stil: 10 von 10 Punkten

Charaktere: 10 von 10 Punkten

Atmosphäre: 10 von 10 Punkten

Gesamtwertung: Unfassbare 10 von 10 Punkten!

Demnächst in diesem Blog: „Corpus Delicti“ von Juli Zeh

 

„Die Unglückseligen“ – von Thea Dorn – Das Leben ist der Güter höchstes nicht

Buch: „Die Unglückseligen“ (2016)

Autorin: Thea Dorn

Verlag: Knaus

Ausgabe: Gebunden, 552 Seiten

Die Autorin: Theo Dorn, 1970 in Offenbach geboren, ist eine deutsche Autorin und Fernsehmoderatorin. Nach ihrem Abitur in Frankfurt folgte ein Studium der Philosophie und Theaterwissenschaft in Frankfurt, Wien und Berlin. Nach ihrem Magister in Philosophie wurde sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der FU Berlin bevor sie am Schauspielhaus Hannover tätig war.

Neben ihrer literarischen Karriere arbeitet Dorn auch für das Fernsehen und ist seit 2003 regelmäßig als Moderatorin zu sehen, so unter anderem in der Sendung „Literatur im Foyer“.

Neben Krimis gehören auch Essays, Sachbücher, Theaterstücke und Drehbücher zu ihren Werken.

Das Buch: Johanna Mawet ist Molekularbiologin und befasst sich beruflich mit der Erforschung der Unsterblichkeit von Zellen. Aufgrund der diesbezüglichen gesetzlichen Einschränkungen in Deutschland, forscht Johanna mehrere Monate im Jahr an einem Institut in den USA.

Bei einem dieser Aufenthalte lernt sie einen seltsamen Mann unbestimmbaren Alters kennen. Dieser Mann behauptet von sich, der Pysiker Johann Wilhelm Ritter zu sein. Das einzige Problem an dieser Behauptung: Der Physiker Ritter wurde im Jahre 1776 geboren und starb bereits 1810! Doch nimmer nicht sei er tot, behauptet der seltsame Mann. Seit 240 Jahren wandele er auf Gottes weiter Erde.

Johanna tut all das als Spinnerei ab. Letztlich mehren sich aber die Hinweise, dass Ritters Äußerungen vielleicht doch nicht ganz aus der Luft gegriffen sind. Sie lässt Ritters DNA untersuchen. Und das Ergebnis verschlägt ihr die Sprache. Mit dieser DNA-Analyse und Ritters Hilfe will sie der Unsterblichkeit des Physikers auf den Grund gehen.

Fazit: Wohlan nun, und nimmer nicht verzagt, itzo gilt´s, zu schreiben ein paar Zeilen zu diesem veritablen Stück Literatur!

Einige Zeit ist´s her, seit ich in einem Geräte, das vielerorts TV genannt, der Autorin Thea Dorn angesichtig wurde, die mit einem gewissen Herrn Denis Scheck auf´s Angenehmste über ihr neuestes Werk parlierte.Welch glücklich Fügung!  Gewiss war´s von da an, dass auch ich früher oder später dieses Buch musst lesen!

Frau Dorns dramatis personae erzählen die Handlung aus dreierlei unterschiedlicher Sicht in dreierlei unterschiedlichen Idiomen. Zum Einen das der Johanna Mawet, das wohl heut´gen Gepflogenheit angepasst. Zum Anderen das des Johann Wilhelm Ritter, welches ans 18. Jahrhundert eher gemahnt, und dessen Verwendung ich mich in diesen Zeilen so unvollkommen zu befleißigen versuche. Frau Dorn möge mir die ungeheure Anmaßung – die keine sein soll – verzeihen. Lediglich versuche ich auf diese – wiewohl verglichen unbeholfene – Art, dem Leser aufzuzeigen, dass „Die Ünglückseligen“ nichts für ihn, wenn er oder sie sich schon sieht außerstand, auch nur den meinen Zeilen zu folgen! Wenn dem so sei, geneigter Leser, dann lass umgehend ab von diesem Werke. So Du aber gewillt sein solltest, Frau Dorn, Johanna Mawet und dem Ritter durch diese Sprachlandschaft zu folgen, so sei willkommen, es wird Dein Schaden nicht sein!

Dem kund´gen Leser nicht verborgen ward geblieben, dass oben angeführte Handlung an das Werk „Faust“ des großen Goethen gemahnt. So fügt sich denn auch erwähntes drittes Idiom ein: die diesbezügliche Person beliebt, sich einer Art Versmaß zu bedienen, welches teils nah an dem verwendeten des großen Frankfurters bzw. Weimarers.

Doch noch immer ist nimmer nicht genug gesagt über die Sprache, derer sich Thea Dorn auf so virtuose Art bedient. Nimmer gab´s derart´ge Vielfalt der Sprache denn in diesem Buch. Der englischen Sprache gar muss der Leser kundig sein, auch Latein zu beherrschen, würde sein Schaden nicht sein. Ebenso der bayerischen sowie pfälzischen Mundart Kenntnisse sind vonnöten, möchte man der Handlung vollumfänglich folgen. Ich, als Leser, wage das auf bescheid´ne Art zu kritisieren, dürfte das Beschriebene in summa doch weite Teile der Leserschaft eher von der Lektüre abhalten.

Nun, werte Leserschaft, verlassen wir das weite Feld der Sprache. Wenden wir unseren Blick auf Johanna und ihren Ritter und dieser beiden Glückes Geschick. Johanna sucht, was Ritter längst gefunden, doch schon lange Zeit verflucht. Durch beider unterschiedlicher Ansicht zum Tode ergeben sich gar zu erquickliche Dispute philosphischer Natur, deren genaue Betrachtung Freude macht. Aus dem Blicke ihrer unterschiedlichen Ansichten ward ein jeder einer persönlichen Entwicklung unterworfen, die dem kund´gen Leser nicht vollkommen überraschend ankommt, wiewohl sie dadurch aber zu großen Teilen nachvollziehbar bleibt. Lediglich des Ritters deutlich hervortretende Weltfremdheit erscheint verfehlt, wird doch ein Mensch der seit 240 Jahren auf Gottes weiter Erde wandelt – so abgeschieden er das auch tun mag – doch sicherlich Kunde davon haben, was es mit den Geräten mit dem angebiss´nen Apfel auf sich hat.

Wenden wir uns abschließend den Geschehnissen um Johanna und ihren Ritter zu. Des großen Goethen „Faust“-Thema nimmt sich Frau Dorn auf gar liebevolle Art an, sodass sie immer wieder den Leser zu überraschen vermag, wiewohl die Richtung, wie das Ganze vermöcht verlaufen, eigentlich doch recht klar sein mag. „Die Unglückseligen“ dürft auch Leser moderner  Zeiten gar nimmer nicht langweilen!

Mit dieser Erkenntnis verlasse ich das sprachliche Dickicht, in das ich mich unbedachterweise begeben und verfalle wieder in gewöhnlichere Töne!

Also, in der Kurzversion könnte man sagen, dass Thea Dorn einen sprachlich höchst anspruchsvollen, virtuos formulierten Roman geschrieben hat – ich hoffe, ich konnte das schon bis hierhin irgendwie deutlich machen, sonst war die ganze Mühe umsonst -, der der Frage nach der möglichen Unsterblichkeit, des Sinns oder Unsinns der Existenz des Todes nachgeht. Die beiden Protagonisten disputieren über dieses Thema häufiger, dabei fällt auf, dass Frau Dorn sich einer eigenen Meinung enthält. Die erwähnten Streitgespräche gewinnt also niemand, sie dienen lediglich als Meinungsaustausch.

Wer sich letztlich an der gewählten Sprache nicht stört, dem kann ich „Die Unglückseligen“ nur empfehlen. Bezüglich der besagten gewählten Sprache gebührt Frau Dorn übrigens mein größter Respekt. Sobald man versucht, ähnlich zu formulieren, stellt man fest: Das ist erstens gar nicht so einfach, und mir deshalb zweitens – verglichen mit meinem eigenen Anspruch – auch nur unbefriedigend gelungen! Chapeau, Frau Dorn!:-)

Bei diesem Buch bietet es sich wie sonst nur selten an, die Rezension mit meinem Lieblingszitat zu beschließen, in dem Ritter sagt:

„Wie wollt ihr je lieben“, fragte er so leise, dass Johanna ihn kaum hören konnte. „Wie wollt ihr je lieben, wenn ihr ewiglich an euch selbst genug habt?“

Wertung

Handlung: 9,0 von 10 Punkten

Stil: 10 von 10 Punkten

Charaktere: 9,0 von 10 Punkten

Spannung: 8 von 10 Punkten

Gesamtwerung: 9 von 10 Punkten

Demnächst in diesem Blog: „Die Geschichte der Baltimores“ von Joel Dicker.

„Dark Zero“ von Douglas Preston – Auf der Suche nach den Spuren von Stanley Kubrick

Buch: „Dark Zero“ (2015)

Autor: Douglas Preston

Verlag: Knaur

Ausgabe: Taschenbuch, 475 Seiten

Der Autor: Douglas Preston, geboren 1956 in Cambridge, Massachusetts, ist ein amerikanischer Autor. Vor seinem Studium der englischen Literatur studierte er in Kalifornien bereits Astronomie, Geologie, Chemie, Anthropologie, Physik, Biologie und Mathematik. Nun ja…

Neben einer Anstellung in einem Museum übte Preston eine Lehrtätigkeit in Princeton aus. In besagtem Museum lernte er Lincoln Child kennen. Seither sind die beiden als Autorenduo weltbekannt und haben zusammen über 20 Bücher verfasst, weitere 12 verfasste Preston allein.

Das Buch: Die NASA plant eine Mission zum Saturnmond Titan. Dort soll eine Raumsonde zur Erkundung des Trabanten eingesetzt werden. Das KI-Programm zur Steuerung der Sonde wurde von einem vielköpfigen Progammierer-Team unter der Leitung von Melissa Shepard erstellt. Melissa nennt das Programm liebevoll „Dorothy“. Bei „Dorothy“ handelt es sich um eine sogenannte „starke KI“, die selbständig in der Lage ist zu lernen, Situationen zu erfassen und so etwas wie Emotionen zu entwickeln.

Bei einem abschließenden Test der mit „Dorothy“ ausgestatteten Raumsonde kommt es jedoch zu einem folgenschweren Unfall: Als die Sonde durch einen Greifarm aus dem mit flüssigem Methan gefüllten Testbehälter entfernt werden soll, fasst die KI das als Angriff auf, schaltet in den Verteidigungsmodus, und die Sonde versucht, sich aus dem Behälter zu schneiden. Das Ergebnis ist eine gigantische Explosion, bei der sieben NASA-Mitarbeiter zu Tode kommen.

Für „Dorothy“ bedeutet es jedoch nicht das Ende. Die KI hat sich unmittelbar vor der Katastrophe ins Internet gerettet. Und von dort aus macht sie Jagd auf ihre Schöpferin Melissa.

Fazit: Im englischen Original heißt das Buch „The Kraken Project“. Was lag da näher, als es für die deutsche Übersetzung mit einem vollkommen schwachsinnigen und dazu noch englischen Alternativtitel auszustatten!? Aber über Übersetzungen von Buchtiteln aus dem Englischen habe ich mich schon so oft aufgeregt, dass ich das an dieser Stelle einfach mal sein lasse.

Ich habe schon andere Bücher von Douglas Preston gelesen, was mich zu der Vermutung brachte, ich könne mit „Dark Zero“ nichts falsch machen. Ich konnte, denn zu viele Dinge in diesem Buch wirken einfach nicht „rund“.

Am wenigsten auszusetzen habe ich noch am Stil des Buches, der eher einfach gehalten ist. Bei einem Actionthriller erwarte ich allerdings auch nichts anderes. Bei „Terminator“ reicht schließlich auch: „I´ll be back!“,  da erwarte ich von einem KI-Programm wie „Dorothy“ jetzt auch nicht, dass es darüber sinniert „obs edler im Gemüt, die Pfeil und Schleudern des wütenden Geschicks erdulden, oder sich waffnend gegen eine Seele von Plagen , durch Widerstand sie enden?“ – Obwohl das auf eine merkwürdige Art passend gewesen wäre, wie mir gerade auffällt…

Bei den Charakteren jedoch, da überfällt mich dann schon eher das große Gruseln. Melissa Shepards persönlicher Hintergrund wird nur kurz beleuchtet. Ganze 15 Zeilen liegen zwischen der Information, dass sie in ihrer Jugend „Autoradios geklaut“ hatte, „um Drogen zu kaufen“ und  ihrem „Magister in Computerwissenschaft am Cornell-College“. Das muss als Beschreibung reichen. Dazu sieht sie auch noch umwerfend aus, kann reiten, Tiere erlegen, ist Bergsteigerin und was nicht sonst noch alles. Absolut glaubhaft!

Wyman Ford, ihr Begleiter – und eigentlich von der Regierung beauftragt, die auf der Flucht vor „Dorothy“ befindliche Melissa wieder einzufangen – passt sehr gut zu ihr. Auch er ist ohne Fehl und Tadel, und auch über ihn erfährt man praktisch nichts.

Dazu kommt noch der vierzehnjährige Jakob, der einfach nur fürchterlich nervig ist und der der Handlung einen Schuss „E.T.“ verleiht, den diese weder gebraucht, noch irgendwie vedient hätte.

Eine Beschreibung der pösen, pösen Antagonisten würde nicht besser klingen, also lasse ich die einfach mal weg.

Auch die Handlung hat Schwächen und/oder Logiklücken. Ich bin im Informatikbereich wahrlich nicht besonders bewandert. Aber ein paar mehr Informationen, wie Melissa es nun geschafft hat, diese „starke KI“ zu programmieren, hätte der Glaubwürdigkeit der Handlung wirklich geholfen. Frank Schätzing hätte sich dazu etwas einfallen lassen. Gut, auf 400 zusätzlichen Seiten, aber er hätte sich etwas einfallen lassen. Zugegeben, auch Preston verrät irgendwann Melissas Programmiertrick, die aus einem instabilen Programm die Software „Dorothy“ werden ließ. Aber auch diese Erklärung ist dermaßen kurz und hanebüchen, dass man sie sich dann doch eher getrost ganz hätte sparen können.

Was man sich aber tatsächlich gespart hat, ist die Spannung. Dabei hätte die Ausgangssituation einer durchdrehenden KI im Internet – die gerade mal 2 GB groß ist, auf allen Plattformen lauffähig und jede Firewall überwinden kann – doch durchaus Potential für das eine oder andere Weltuntergangsszenario gehabt. Wer aber nun glaubt, Dorothy würde sich im Verlauf der Handlung damit beschäftigen, den DAX, Dow Jones, Nikkei und Hang Seng ins Bodenlose stürzen zu lassen, nordkoreanische Atomraketen nun doch zum Erstschlag auf die USA abzuschießen oder wenigstens, sich ins Sicherheitssystem des Hauses von Horst Seehofer einzuschleusen, damit dieses Sicherheitssystem den bayerischen Ministerpräsidenten zu unser Aller Wohl einschließt, nein, „Dorothy“ tut nichts dergleichen. „Dorothy“ ist immer nur auf der Flucht. Und Melissa auch. Und Wyman mit ihr. Und Jakob auch irgendwann.

Eine durchdrehende KI lässt Gedanken an Stanley Kubricks Film „2001-Odyssee im Weltraum“ aufkommen. Leider ist „Dark Zero“ vom berühmten Vorbild etwa soweit entfernt wie das Kennedy Space Center vom Saturn. Schade!

Wertung:

Handlung: 4,5 von 10 Punkten

Stil: 7 von 10 Punkten

Charaktere: 3 von 10 Punkten

Spannung: 4 von 10 Punkten

Gesamtwertung: 4,625 von 10 Punkten

Demnächst in diesem Blog: „Die Unglücksseligen“ von Thea Dorn.