Buch: „Intrige“ (2013, Ausgabe 2015)
Autor: Robert Harris
Verlag: Heyne
Ausgabe: Taschenbuch, 622 Seiten
Der Autor: Robert Harris ist ein britischer Journalist, Sachbuchautor und Schriftsteller. Nach seinem Studium der englischen Literatur in Cambridge arbeitete er unter anderem für die Zeitungen „The Observer“ und „Daily Telegraph“. Darüber hinaus ist er Kolumnist der „Sunday Times“. Für seine Romane nimmt sich Harris häufig reale geschichtliche Ereignisse als Hintergrund, so zum Beispiel in seinem genialen Debütroman „Vaterland“ oder in dem nicht minder genialen „Aurora“ – beide sehr empfehlenswert und eine klare Kaufempfehlung für alle, die historisch interessiert sind. Neben einigen Sachbüchern hat Harris bislang 10 Romane veröffentlicht.
Das Buch: Frankreich, Ende des 19. Jahrhunderts: Dem französischen Geheimdienst wird ein Schriftstück, ein sogenanntes „Bordereau“, aus der deutschen Botschaft zugespielt, aus dem hervorgeht, dass sich ein deutscher Spion in Diensten der französischen Armee fleißig mehr oder weniger geheime Unterlagen organisiert und diese an die Deutschen weiterleitet. Sofort geht das große Rätselraten los: Wer kommt als Spion in Frage?
Nach Schriftvergleichen gerät sehr schnell Alfred Dreyfus in das Blickfeld der Ermittler. Dreyfus hat nach Meinung der Ermittler Zugang zu allen im Bordereau erwähnten Informationen Zugang gehabt. Darüber hinaus ist er Jude und deutscher Abstammung, er hat also in Zeiten des wieder mal aufkeimenden Antisemitismus und wenige Jahrzehnte nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 und der damit in Frankreich verbundenen Paranoia keine guten Karten. Daher wird er angeklagt und in einer nichtöffentlichen Gerichtsverhandlung verurteilt.
Mit Pauken und Trompeten, Protz und Pomp, Glanz und Gloria, wird Dreyfus im Rahmen einer öffentlichen Zeremonie vor Zehntausenden Zuschauern wegen Hochverrats für schuldig erklärt und degradiert. Zur Bestrafung wird er auf der vor der Küste Französisch-Guayanas gelegenen Teufelsinsel lebenslang inhaftiert.
Dem neuen leitenden Ermittler des Geheimdienstes, Marie-Georges Picquart, fallen allerdings zunehmend Ungereimtheiten auf. Anstelle Dreyfus´ gerät Ferdinand Walsin-Esterházy in den Fokus seiner Ermittlungen, ein notorischer Spieler in finanziellen Schwierigkeiten. Picquart versucht seine Vorgesetzten davon zu überzeugen, den Fall Dreyfus neu aufzurollen – und sieht sich mit einer Wand der Ablehnung konfrontiert, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Denn eines ist sicher: Alfred Dreyfus ist verurteilt und somit sicher schuldig! Oder?
Fazit: Wenn man ein Buch über reale geschichtliche Ereignisse liest, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder der Leser kennt sich mit der Thematik nicht aus – dann steht dem Lesevergnügen nichts entgegen. Oder aber, er kennt sich – wie ich in diesem speziellen Fall – ein wenig mit der Thematik aus. Dann liegt die schwere Aufgabe des Autors darin, den kundigen Leser trotzdem bei der Stange zu halten, schließlich weiß dieser ja, wie es ausgeht und es besteht somit die Gefahr, dass er sich langweilt.
Robert Harris schafft segenswerterweise das Kunststück, auch den besagten kundigen Leser bei der Stange zu halten. Detailliert schildert er den Skandal um den jüdischen Offizier, den NSA-Skandal des 19. Jahrhunderts, so möchte ich das mal formulieren. Auch wenn die USA mit diesem Fall zugegebenermaßen mal ausnahmsweise nichts zu tun haben. ;-) Dabei hält er sich, soweit ich das beurteilen kann, erfreulich dicht an die historischen Tatsachen. Nur wenn es absolut notwendig ist, werden die tatsächlichen Geschehnisse aus dramaturgischen Gründen etwas verändert.
Die Hauptperson Picquart erzählt die Begebenheiten aus der Ich-Perspektive. Dabei werden auch familiäre, persönliche Aspekte beleuchtet, die mir, mit Verlaub, schietegal waren. Ich wollte einfach nur wissen, wie es mit den Ermittlungen weitergeht. Und was bei diesen Ermittlungen herauskommt, lässt einen immer wieder die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.Offensichtliches Ignorieren gegensätzlicher Beweise, Erstellung gefälschter Beweise, und so weiter. Das alles nur, weil man den vermeintlich Schuldigen ja nun gefunden hat und man von dieser Meinung jetzt auch kein Jota abrücken darf, weil man sich um das Ansehen der Armee sorgt, für die ein Wiederaufnahmeverfahren ja nun mehr als peinlich wäre.
Stilistisch bewegt sich Harris in diesem Roman auf gewohnt guten Niveau, ich möchte den Stil mal als knapp und präzise bezeichnen, sehr passend. Sogar für das eine oder andere Lächeln konnte der Autor in dieser an sich ernsten Geschichte bei mir sorgen. So äußert Picquart des Öfteren seine Abneigung gegen den weitschweifigen Stil des Autors Émile Zola, jenes Émile Zola, der im Zuge des Skandals seinen an den Präsidenten gerichteten legendären, und diesmal äußerst knapp gehaltenen, offenen Brief „J´accuse“ („Ich klage an“) veröffentlicht.
Alles in allem hat Harris mich wieder mal nicht enttäuscht. Für Liebhaber historischer Romane ist „Intrige“, auch aufgrund seines auf realen Begebenheiten beruhenden Hintergrunds, eine erfreuliche Ausnahme neben diesen ganzen „Frau-im-Mittelalter-schneidet-sich-die-Haare-ab-hüllt-sich-in-Männergewänder-lehnt-sich-gegen-die-Konventionen-ihrer-Zeit-auf-und-rettet-ihr-Schicksal-und-nebenbei-die-ganze-Welt-obwohl-sie-realistisch-gesehen-schon-auf-Seite 7-gestorben-wäre“-Romanen, die man sonst so in diesem Genre mittlerweile findet.
Wertung: Handlung: 9 von 10 Punkten
Charaktere: 7,5 von 10 Punkten
Stil: 8,5 von 10 Punkten
Spannung: 8 von 10 Punkten
Gesamtwertung: 8,25 von 10 Punkten
Demnächst in diesem Blog: Da ich mich mal wieder nicht entscheiden konnte, entschied eine von mir überaus geschätzte Leserin meines Blogs vorhin für mich, dass ich „einen der beiden historischen“ Romane als Nächstes lesen soll. Deswegen gibt´s demnächst „Der Kinderpapst“ von Peter Prange.