Buch: „Der Bruder“
Autor: John Katzenbach
Verlag: Droemer Knaur
Ausgabe: Taschenbuch, 624 Seiten
Der Autor: John Katzenbach, geboren 1950, war ursprünglich Gerichtsreporter für den »Miami Herald« und die »Miami News«. Bei Droemer Knaur sind inzwischen zahlreiche Kriminalromane von ihm erschienen, darunter die Bestseller »Die Anstalt«, »Der Patient«, »Der Professor« und »Der Psychiater«. Zweimal war Katzenbach für den Edgar Award nominiert. Er lebt mit seiner Familie in Amherst im Westen des US-Bundesstaates Massachusetts. (Quelle: Droemer Knaur)
Das Buch: Für die junge Architektur-Studentin Sloane Connolly ist es ein schwerer Schlag, als ihre exzentrische Mutter spurlos verschwindet. Sloane hat sonst niemanden, ist fast völlig isoliert aufgewachsen.
Zur selben Zeit erhält sie über einen Anwalt ein merkwürdiges Angebot: Ein reicher Mäzen möchte, dass Sloane Denkmäler für sechs Personen, die in seinem Leben eine wichtige Rolle gespielt haben, entwirft. Allerdings sind alle sechs bereits verstorben, und das nicht an Altersschwäche. Sloane nimmt den Auftrag an, um sich von der Sorge um ihre Mutter abzulenken – und ahnt nicht, auf was für ein perfides Spiel sie sich einlässt … (Quelle: Droemer Knaur)
Fazit: Als langjähriger Katzenbach-Fan war es nur folgerichtig, dass ich mich so schnell als möglich mit seinem neuem Roman befasse, hat der Autor mir doch mit Büchern wie „Der Reporter“ oder insbesondere „Das Tribunal“ Leseerlebnisse geschenkt, an die ich heute noch gerne zurückdenke. Zugegeben, es hat in unserer Autor-Leser-Beziehung in den letzten Jahren ein bisschen gekriselt, weil mich Bücher wie „Der Wolf“ nicht mehr vollumfänglich, Thriller wie „Der Psychiater“ oder auch „Der Verfolger“ leider dann so gar nicht mehr überzeugt haben und das zufriedenstellendste Katzenbach-Leseerlebnis der letzten Jahre war mit „Die Grausamen“ ausgerechnet ein Buch, das sich von den Thrillern abwendet und einen Genreausflug hin zu den Krimis darstellt.
Aber all das bedeutet ja nicht unbedingt, dass mir Katzenbachs neuer Thriller noch doch gefallen könnte, weswegen ich mich motiviert an die Lektüre machte – nur um nach einiger Zeit festzustellen, dass ich auch mit „Der Bruder“ so meine Probleme habe, teilweise schwerwiegende.
Am wenigsten kann man John Katzenbach wohl im stilistischen Bereich vorwerfen, das konnte man aber eigentlich nie so wirklich. Und auch im vorliegenden Fall gelingt es ihm, tempo- und actionreich zu schreiben und mit gut gewählten Cliffhanger-Kapitelenden Spannung zu erzeugen. Zwar mag „Der Bruder“ nicht ganz auf dem Niveau des meiner Meinung nach stilistisch ganz hervorragend gelungenen „Der Reporter“ liegen, insgesamt geht das allerdings vollkommen in Ordnung. Irritierend fiel einzig auf, dass John Katzenbach wohl eher nur so ein rudimentäres Verständnis von moderner Technik zu haben scheint, als belanglosestes Beispiel dafür sei genannt, dass öfter die Bildschirmschoner von PCs, mit denen Sloane arbeitet, angesprochen werden, dabei sind diese Dinger eigentlich schon seit einer halben Ewigkeit obsolet und haben, wenn überhaupt, nur noch einen unterhaltenden Charakter. Und einen stromfressenden. Aber sei es drum.
Die Schwierigkeiten liegen auch eher woanders. Beispielsweise in den Figuren. So hat mich die Protagonistin Sloane nie so wirklich erreicht, wobei ich gern eingestehe, dass das ein vollkommen subjektiver Eindruck ist, und es sicherlich Leserinnen und Leser geben wird, denen das völlig anders geht. Für mich persönlich blieb Sloane aber schwer nachvollziehbar. Die junge Frau hat gerade ihre Mutter verloren, die in einen reißenden Fluss gesprungen ist, stürzt sich aber trotzdem Hals über Kopf in das – zugegebenermaßen äußerst lukrative – Angebot ihres Auftraggebers zur Errichtung eines Denkmals. Natürlich, diese Ausgangssituation braucht das Buch, denn hätte Sloane abgelehnt, wäre das Buch schnell beendet gewesen, dennoch blieb mir ihre Handlungsmotivation – abseits der guten Bezahlung – oft fremd.
Schwerwiegender als Sloane finde ich aber eindeutig ihren Antagonisten, denn dieser ist so absurd böse, eigentlich indiskutabel böse, dass es fast schon ein bisschen albern ist. Natürlich, die Antagonisten in Katzenbachs Büchern liefen noch nie so richtig rund und eine gewisse Portion Boshaftigkeit kann ein guter Antagonist schon gebrauchen, denn sonst wäre er kein Antagonist. Im vorliegenden Fall hat der Gutste allerdings mehr als nur eine Schraube locker, was in Summe ähnlich befremdlich wirkt wie die Protagonistin.
Wenn wir mal annehmen, dass man über die Charaktere hinwegsehen kann, oder man sie vielleicht als positiver empfindet und bewertet als ich das tue, dann bliebe da noch die Handlung, die im Grunde genommen wenig Anlass zur Kritik gibt. Zwar ist der Plot letztlich nicht hochkomplex, aber in sich stimmig und gut konstruiert. Hier kommt nur leider das mit Abstand größte Problem des Buches zum Tragen: Es ist zu lang!
Zu Beginn wird Sloane von einer ihr unbekannten Person durch deren Rechtsbeistand damit betraut, ein Denkmal für sechs Menschen zu erschaffen, die im Leben des Auftraggebers eine große Rolle gespielt haben. Nach kurzer Recherche zur ersten der sechs Personen stellt Sloane fest, dass dieser Mann bereits gestorben ist. Und zwar nicht eines natürlichen Todes. Ihre Recherchen zur zweiten Person ergeben, wenig überraschend, dass diese ebenfalls bereits verstorben ist und gewaltsam zu Tode kam. Ebenso bei der dritten Person. Und der vierten. Und so weiter. Sicherlich, die Geschichten, die dahinter stehen, sind immer andere, das ändert aber nichts daran, dass das Buch auf diese Weise zu Beginn eine bemerkenswerte Redundanz an den Tag legt, die nicht hätte sein müssen. Wenn man die Anzahl der Personen, die es mit dem Denkmal zu ehren gilt, ein wenig zusammengestrichen hätte, so wären dadurch nur unwesentliche Änderungen am Plot notwendig gewesen, man hätte sich aber einen immens langen Einstieg gespart. So nimmt die Handlung erst so etwa ab Seite 250 richtig Fahrt auf, was meines Erachtens für ein Buch mit gut 600 Seiten schlicht viel zu spät ist.
Ähnlich verhält es sich dann mit dem Schluss des Buches. Dort wird der Showdown derart überzogen ausgewälzt, dass der Eindruck eines Orchesters auf der verzweifelten Suche nach dem Schlussakkord entsteht.
In Summe wurde ich also mit diesem Katzenbach-Thriller nicht wirklich warm. Und nach der zweiten Katzenbach-Enttäuschung in Folge muss ich vielleicht generell unsere Autor-Leser-Beziehung nochmal überdenken.
Ich bedanke mich bei Droemer Knaur ganz herzlich für die freundliche Übersendung des Rezensionsexemplars. Die Tatsache, dass es sich um ein Rezensionsexemplar handelt, beeinflusst meine Meinung selbstredend nicht.
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Demnächst in diesem Blog: „Die Erfindung des Countdowns“ von Daniel Mellem.