abc.Etüden KW 43 2022 I

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

die zauberhafte Christiane hat wieder zu einer weiteren Etüdenrunde aufgerufen, diesmal zu einer Wortspende von Monika und ihrem Blog „Allerlei Gedanken“, und es wird Zeit, dass ich mich an besagter Runde beteilige. Auf gehts!

 

„Na, worüber reden wir? Den Twitter-Deal?“

„Nein. Zugegeben, mir wäre lieber gewesen, Musk hätte sich ein Hobby gesucht – Modellbau, Billard, Laubsägearbeiten vielleicht – anstatt Kurznachrichtendienste zu kaufen. Aber nein, heute kein Twitter.

„Sondern?“

„In einer Doku wurde kürzlich die Frage aufgeworfen, ob die Menschen immer dümmer werden. Und falls ja, woran das liegt.“

„Nun ja, Handy, Social Media, ständiges Berieseln mit irgendwas?“

„Mag sein. Aber wenn du mich fragst: Es ist die Werbung!“

„Die Werbung?“

„Exakt. Vieles davon ist so hirnerweichend, dass vorher Warnhinweise eingeblendet werden sollten. Beispiel: Kinder-Pingui! Ist dir aufgefallen, dass im Kinder-Pingui-Spot NUR Kinderpingui in diesem riesigen Kühlschrank liegt?“

„Und Butter!“

„Meinetwegen. Kinder-Pingui und Butter, die Ernährung der Träume für alle Heranwachsenden … Oder diese ganzen Firmen, die mir erklären wollen, dass es eine gute Idee ist, mal eben beim Pasta kochen einen Kreditvertrag abzuschließen. Subtile Kritik an Lebensmittelpreisen? … Oder die Firmen, die Neologismen wie „Kreditrakete“ erfinden oder mir weißmachen, mehr Geld bei der Kfz-Steuer zu sparen, als die meisten dafür überhaupt zahlen, oder dass es eine gute Idee ist, seine Kreditrückzahlung auszusetzen – für ein gottverfluchtes Pony.! Ach, gäbe es doch nur ein beitragsfinanziertes System, das diesen Blödsinn obsolet machen würde …“

„Ruuuhig, Brauner!“

„Na, ist doch so! Könnte man alles anders gestalten. Und dann erst die Sprache! Eine Fastfoodkette will mir gepresstes Huhn mit „Spice wie du ihn likst“ andienen. Alter, was!? Zunächst mal ist „Spice“ ein illegales Cannabisersatzprodukt, aber das werden sie nicht gemeint haben. Hoffe ich. Nein, wenn ich „Spice wie du ihn likst“ höre, möchte ich um 5 Uhr 45 McDonalds-Filialen mit Whoppern aus der T-Shirt-Kanone beschießen.“

„Warum denn so martialisch? Meinst du nicht, wir leben aktuell schon in ausreichend kriegerischen Zeiten?“

„Warum denn so empfindlich? Meinst du nicht, wir leben aktuell schon ausreichend ausgeprägten Mimimi-Zeiten?“

„Mit dir kann man heute nicht reden …“

„DU hast angefangen!“

 

300 Worte.

„Die Leuchtturmwärter“ von Emma Stonex

Buch: „Die Leuchtturmwärter“

Autorin: Emma Stonex

Verlag: Fischer

Ausgabe: Taschenbuch, 432 Seiten

Die Autorin: Emma Stonex, 1983 in Northamptonshire in England geboren und aufgewachsen, begann ihre Karriere als Lektorin. Mehrere Jahre arbeitete sie erfolgreich in einem großen Verlagshaus, bevor sie ihrem Traum vom Schreiben folgte. Schon immer fasziniert von Leuchttürmen, inspirierte sie nicht zuletzt das mysteriöse Verschwinden dreier Leuchtturmwärter auf den Flannan Isles zu ihrem Roman. Stonex lebt heute in Bristol. (Quelle: Fischer)

Das Buch: In der Silvesternacht verschwinden vor der Küste Cornwalls drei Männer spurlos von einem Leuchtturm. Die Tür ist von innen verschlossen. Der zum Abendessen gedeckte Tisch unberührt. Die Uhren sind stehen geblieben. Zurück bleiben drei Frauen, die auch zwei Jahrzehnte später von dem rätselhaften Geschehen verfolgt werden. Die Tragödie hätte Helen, Jenny und Michelle zusammenbringen sollen, hat sie aber auseinandergerissen. Als sie zum ersten Mal ihre Seite der Geschichte erzählen, kommt ein Leben voller Entbehrungen zutage – des monatelangen Getrenntseins, des Sehnens und Hoffens. Und je tiefer sie hinabtauchen, desto dichter wird das Geflecht aus Geheimnissen und Lügen, Realität und Einbildung. (Quelle: Fischer)

Fazit: Im Jahr 1900 verschwinden drei Leuchtturmwärter vom Flannan-Isles-Leuchtturm auf der den Äußeren Hebriden zugehörigen Insel Eilean Mòr. Das Schicksal der drei Männer ist bis heute ungeklärt. Angelehnt an dieses historische Ereignis entwirft Emma Stonex in ihrem Roman „Die Leuchtturmwärter“ ihre eigene Version der Geschehnisse.

Darin verschwinden im Jahr 1972 die drei Leuchtturmwärter Arthur Black, Bill Walker und Vincent Bourne vom „Maiden“ genannten Leuchtturm vor der Küste Cornwalls. Als das Versorgungsschiff turnusmäßig am Leuchtturm ankommt, um wie gewöhnlich einen der drei Leuchtturmwärter auszutauschen, ist dort niemand mehr anzutreffen. Die Besatzung durchsucht den Turm von oben bis unten, aber die Männer bleiben unauffindbar. Und Dinge wie die von innen verschlossene Eingangstür, ein gedeckter Esstisch oder auch zwei Wanduhren, die beide um Viertel vor neun stehengeblieben sind, stellen die Seeleute vor Rätsel.

Umgehend springt die Gerüchteküche im kleinen Heimatort der Leuchtturmwärter an. So wird beispielsweise gemutmaßt, die Männer hätten sich in die Südsee abgesetzt, seien von Außerirdischen entführt worden oder hätten sich gar gegenseitig umgebracht. Die Betreibergesellschaft kann den Vorfall jedoch offensichtlich gar nicht früh genug unter den Teppich kehren und versucht, die Ehefrauen der Wärter mit mehr oder weniger großzügigen Zahlungen ruhigzustellen und dazu zu verpflichten, nicht mehr über die Geschehnisse zu sprechen.

20 Jahre später jedoch unternimmt ein renommierter Autor von Seefahrtsromanen den Versuch, dem Verschwinden der drei Männer auf den Grund zu gehen und nimmt dementsprechend auch Kontakt zu den Ehefrauen auf, die letztlich beschließen, ihr Schweigen zu brechen.

Schnell wird dabei deutlich, wie unterschiedlich die drei Frauen mit ihrem Schicksal umgehen. Während Helen Black, Arthurs Ehefrau, versucht, mit der Angelegenheit abzuschließen und akzeptiert hat, ihren Mann niemals wieder zu sehen und vergleichsweise fest im Leben steht, ist Jennifer Walker, Ehefrau von Bill, die Unsicherheit und Unselbständigkeit in Person, die immer noch hofft, irgendwann etwas von Bill zu hören und die einfach nicht akzeptieren kann oder will, dass es Dinge gibt, die sich nicht ändern lassen. Michelle dagegen, Freundin von Vincent, versucht so weiterzuleben, als sei nichts passiert, stürzt sich in eine letztlich unglückliche Ehe und will von all dem eigentlich nichts mehr wissen.

Schon hier, noch recht zu Beginn, wird die überzeugende Figurenzeichnung deutlich, die Emma Stonex gelungen ist. In mehreren langen Monologen, die die Frauen jeweils mit dem Schriftsteller führen, ohne dass dieser über eine sehr lange Zeit des Romans auch nur einmal eine Sprechrolle bekäme, machen die Zurückgelassenen ihre Sicht der Dinge ebenso deutlich, wie aus ihren Äußerungen hervorgeht, wie es hinsichtlich ihrer Persönlichkeit so aussieht.

Und in ganz ähnlicher Form gilt das auch für die drei Leuchtturmwärter, denen sich die Autorin etwas später zuwendet, und aus deren Sicht die Geschehnisse im „Maiden“ dann beschrieben werden. Geschickt gelingt es der Autorin, alle drei zu Verdächtigen zu machen, denen man maximal so weit vertraut, wie man sie werfen könnte. Sei es nun der Oberwärter Arthur Black, der den Eindruck vermittelt, nach vielen Jahren in verschiedenen Leuchttürmen so langsam den Verstand zu verlieren, sei es Bill Walker, der sehr, sagen wir mal egozentrische Gründe haben könnte, den anderen ans Zeug zu flicken, oder sei es eben Vincent Bourne, der aufgrund seiner kriminellen Vergangenheit ebenfalls nicht gerade vertrauenserweckend ist.

So entwickelt sich ein in psychologischer Hinsicht spannender Roman, der der Frage, was derlei Verlusterfahrungen mit den Hinterbliebenen machen, ebenso auf den Grund geht wie der Frage, was denn nun eigentlich im Leuchtturm passiert ist, sich dankbarerweise in dieser Hinsicht nicht vor einer plausiblen Lösung drückt und hier sogar mit einer Auflösung punkten kann, die ich so nun wirklich nicht auf dem Schirm hatte.

Angesichts der Vorgehensweise der Autorin, für die Handlung und die Nachvollziehbarkeit der Charaktere relevante Informationen nur so peu a peu herauszurücken – das machte mich zuweilen halb wahnsinnig -, ergab sich bei mir während der Lektüre die Frage, ob man das alles nicht auch in viel kürzer zu Papier hätte bringen können. Insbesondere wenn man berücksichtigt, dass der Stil zuweilen ein bisschen zu sehr ins Blumige, Weitschweifige und Pathetische abgleitet. Und ja, sicher könnte man die Ereignisse von „Die Leuchtturmwärter“ auch auf einer halben Seite zusammenfassen, aber wo bliebe da der Spaß!? Im Grunde kann der Roman gerade für die detaillierte Figurenzeichnung sogar jede Seite brauchen, die er kriegen kann. Also nein, zu lang ist „Der Leuchtturmwärter“ nicht geraten, seine Längen hat das Buch zwischendurch aber dann doch.

Zusammengefasst bleibt also ein inhaltlich spannender Roman, der mit sehr gut gelungenen Figuren überzeugt – auch wenn ich die eine oder andere davon ob ihr Art nahezu unerträglich fand, aber gute Figurenzeichnung ist eben nicht automatisch gleichbedeutend mit Sympathie für die Charakere -, der insgesamt etwas Kammerspielartiges hat, und der es lediglich in stilistischer Hinsicht zuweilen übertreibt und insbesondere im Mittelteil einige Längen aufweist.

Wenn man einen Hang zu gelungenen Figuren hat oder zu Geschichten, die sich eher langsam und Stück für Stück entfalten oder auch nur das Motiv des geschlossenen Raums in Kriminalromanen mag: Lesen!

Demnächst in diesem Blog: „Was ans Licht kommt “ von Christoffer Carlsson oder „Die Erweiterung“ von Robert Menasse.

„Der Gendarm des Königs“ von Moses Wolff

Buch: „Der Gendarm des Königs“

Autor: Moses Wolff

Verlag: Hirschkäfer Verlag

Ausgabe: Hardcover, 288 Seiten

Der Autor: Da der Hirschkäfer Verlag, sofern ich keine Tomaten oder ähnlich Unpassendes auf den Augen habe, es verabsäumt hat, Kurzinformationen über seine Autoren auf seine Verlagshomepage zu stellen, bediene ich mich der Einfachheit halber und der Annahme der freundlichen Genehmigung von Moses Wolff an dessen eigener Homepage und dort dem Text über ihn selbst, der – also, der Text – ohnehin schöner ist, als es Verlagshomepagekurzbeschreibungstexte sein könnten, also:

Moses Wolff wurde am 07.06.1969 als Moses Matthias Wolff von seiner eigenen Mutter im Münchner Rotkreuzkrankenhaus geboren. Es war ein Samstag, draußen war es heiter bis wolkig. Menschen, die anderes behaupten, sind nicht korrekt informiert. Moses wuchs im schönen Pasing auf und fühlt sich diesem Stadtteil auf ewig verpflichtet. Pasing hat einen eigenen Viktualienmarkt, eine eigene Mariensäule und seit kurzem eine etwas merkwürdige Verkehrsberuhigung. Viele Freunde wohnen dort, unter anderem seine lieben Eltern. Moses besuchte einige Schulen und machte ein paar eigenartige berufliche Orientierungsausflüge durch, bis er sich entschloss, den bunten Weg des künstlerischen Schaffens einzuschreiten. Zwischendurch verschaffte er sich durch Aufenthalte im europäischen Ausland (Kykladen, Transsylvanien, Berlin) einen Überblick, doch die Sehnsucht und Verbundenheit zum alpenländischen Raum zogen ihn bald wieder zurück in seine geliebte Heimatstadt, wo er bis zum heutigen Tage haust und wirkt. Er ist Preisträger des Schwabinger Kunstpreises 2015. (Quelle: Autorenhomepage)

Das Buch: Der bayrische, so ziemlich jeglicher erotischen Erfahrung offene Gendarm Ludwig Staudacher bekommt im Juni 1886 die Aufgabe, den entmündigten König Ludwig II. von Neuschwanstein nach Schloss Berg zu bringen. Hierbei erhält er Einsicht in das delikate Privatleben des Monarchen und wird Zeitzeuge des Todes von Ludwig und Dr. Gudden. Bei den anschließenden Ermittlungen lernt Staudacher viele Bedienstete des Königshofs kennen, die sich – wie er selbst – sexuell experimentierfreudig und allen Geschlechtern zugetan zeigen, was im damaligen Strafgesetzbuch als »widernatürlich« und damit strafbar eingestuft wird. Das Leben des Gendarms verändert sich innerhalb kürzester Zeit, sein Privatleben wird ereignisreich und bunt. Nur seine Ermittlungsergebnisse im Falle des toten Königs stoßen bei Vorgesetzten auf taube Ohren; die Öffentlichkeit soll weiterhin glauben, der König habe den Freitod gewählt. Doch Ludwig Staudacher kennt die Wahrheit … (Quelle: Hirschkäfer Verlag)

Fazit: Nachdem mir bereits Moses Wolffs Roman „Liebe machen“ ziemlich gut gefallen hat und ich schließlich gefragt wurde, ob ich mir nicht vorstellen könne, auch „Der Gendarm des Königs“ zu lesen, war die Bedenkzeit meinerseits eine recht kurze. Und so bekam ich freundlicherweise von Moses bzw. dem Hirschkäfer Verlag ein Rezensionsexemplar zugeschickt, mit dem ich dann einen ziemlich vergnüglichen vergangenen Montag hatte, auch wenn mich letztlich nicht alles an diesem Roman so wirklich überzeugt hat.

Ludwig II. von Bayern ist eine historische Figur, deren Leben und vor allem deren Tod bis heute Fragen aufwirft und Anlass zu Spekulationen bietet. Teils nah an den historisch belegbaren Fakten, teils aber auch frei fabulierend, lässt uns Moses Wolff nun Teil haben an dieser letztlich doch eher tragischen, historischen Figur.

Zu Beginn lernen wir die Protagonisten des Romans kennen, als da natürlich der erwähnte, junge Monarch zum Zeitpunkt seines Amtsantritts wäre, sowie der zu diesem Zeitpunkt noch ziemlich junge Ludwig „Wiggerl“ Staudacher.

Man sieht den jungen Wiggerl aufwachsen, in der Schule zu einem, nun sagen wir mal, schon ein wenig wunderlichen Kind werden, sieht ihn Freundschaften schließen, ihn ziemlich untalentiert in der Schreinerei seines Vaters mithelfen und letztlich auf der Suche nach beruflicher Orientierung und Zukunft in Diensten der Gendarmerie landen. Wir sehen aber auch die Irrungen, Wirrungen und Zweifel, mit denen sich der Jungspund auseinandersetzen muss, nachdem er merkt, dass er sich weder dem männlichen, noch dem weiblichen Geschlecht so richtig zugehörig fühlt und er auch hinsichtlich seiner im Klappentext erwähnten „erotischen Erfahrungen“ ziemlich indifferent der Frage gegenübersteht, ob diese Erfahrungen nun mit Männlein oder Weiblein gemacht werden.

Auf der anderen Seite schildert Wolff anschaulich, wie es seinem zweiten Protagonisten, Ludwig II. in diesen Jahren ergeht. Angetreten als junger und recht energiegeladener Monarch, findet Ludwig im Laufe der Zeit an den eigentlichen Regierungsgeschäften so gar kein Vergnügen, zieht sich immer weiter von den Menschen in seinem Umfeld zurück, führt schließlich ein eher einsiedlerisches Leben und möchte im Wesentlichen eigentlich nur schöne Bauwerke hochziehen bzw. hochziehen lassen.

Wolffs Figurendarstellung ist dabei ziemlich gut gelungen. Während ich mit „Wiggerl“ Staudacher zuweilen noch so meine Probleme hatte – dazu später mehr -, überzeugte die Figur von Ludwig II. auf ganzer Linie. Es gelingt dem Autor, den „Märchenkönig“ nicht als vollends der Welt entrückten Geistesgestörten darzustellen, sondern als einen im Kern eigentlich sehr pazifistischen Menschen, dessen Bestreben es war, den Menschen einfach nur Schönes zu hinterlassen, als stattdessen den xten deutschen Vereinigungskrieg zu führen. Zwar deuten beispielsweise die tatsächlich geäußerte Überlegung, zur Finanzierung seiner zahlreichen Bauvorhaben in Paris Banken überfallen zu lassen, darauf hin, dass sich Ludwig II. tatsächlich nicht so wirklich gut in der „normalen“ Welt zurechtfand und dieser ein wenig entrückt war. Aber da würden mir ganz aktuell heute noch andere Leute einfallen, für die das auch gilt … – wenigstens hatte Ludwig II. vollständig friedliebende Ziele. „Die Menschen sollen wissen, dass hier das Schöne entstanden ist nur um der Schönheit willen. (…) Einen muss es doch geben im Land, der nicht nur daran denkt, was ihm nützt.“, soll er mal gesagt haben.

Neben den Charakteren überzeugt das Buch auch hinsichtlich seiner sprachlichen Gestaltung und seines inhaltlichen Aufbaus. Dazu tragen die überaus gelungenen Illustrationen von Mike Maurus ebenso bei, wie gelegentlich eingefügte Historiker-Einschübe, über die Zusatzinformationen zu den Hintergründen der Handlung geliefert werden, die anders keinen Platz im Text finden konnten. In sprachlicher Hinsicht ist dem Roman ebenfalls wenig vorzuwerfen. Die Dialoge werden oftmals im Bairischen geführt, das für mich als Norddeutscher mit langsamem Lesen durchaus zu entziffern war – dennoch aber nachdrücklich die Frage aufwirft, wie man sich so verständigen kann. ;-) Absolut großartig sind in diesem Zusammenhang allerdings die freundlicherweise mitgelieferten Fußnoten, in denen das Bairische Original-Idiom mit einer elaborierten Ernsthaftigkeit in das hochdeutsche Äquivalent von Oxford-Englisch übersetzt wird, die immer wieder Anlass zu Heiterkeitsausbrüchen lieferte.

Hinsichtlich der Handlungsebene darf man keinen atemberaubenden Spannungsbogen erwarten. Die Handlung lebt einerseits von der Darstellung der historischen Gegebenheiten und andererseits von der Schilderung und Entwicklung der Figuren des Romans. Spätestens hier, bei den Figuren, ihrer Entwicklung und der Auswirkungen von beidem auf den Roman als Ganzes, wird dann aber das Problem deutlich, das ich bei der Lektüre mit dem Gendarm Wiggerl Staudacher hatte. Ich empfand das In-den-Vordergrund-stellen seiner sexuellen Orientierung und die Fragestellung seiner Geschlechterzugehörigkeit als den eher aufgesetzten Versuch, in irgendeiner Form eine Genderthematik in den Roman einzubringen, die dieser aber nun eigentlich überhaupt nicht gebraucht hätte.

Zudem wirkt es vor dem Hintergrund des historischen Settings auch einfach wenig glaubwürdig. Ich halte das ländliche Bayern in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Genderfragen für nicht sonderlich progressiv eingestellt – korrigiert mich, wenn ich diesbezüglich falsch liege. Dennoch trifft Wiggerl Staudacher, wann immer er die Frage nach seiner sexuellen Orientierung und Geschlechterzugehörigkeit im Gespräch mit anderen thematisiert und sich quasi offenbart, nicht auf Befremden, Ablehnung oder gar ein „Verbrennt ihn!“, sondern mehrheitlich auf vollständige Gelassenheit. Die Haupt- und Nebenfiguren des Romans wirken in diesen Fragestellungen einfach viel zu fortschrittlich eingestellt – philosophieren beispielsweise zuweilen auch schon mal über die Idee einer gendergerechten Sprache – als dass sie als überzeugende Menschen ihrer Zeit durchgehen könnten.

Dementsprechend wirkt der Versuch, Genderthematiken in ein historisches Setting pressen zu wollen, für mich , wie erwähnt, irgendwie aufgesetzt, wenig überzeugend und unnötig. Vielleicht beweist die Buchpreisverleihung aber auch, dass das Problem bei mir liegt und ich einfach keine Ahnung habe.

Davon abgesehen bietet „Der Gendarm des Königs“ aber eine überzeugende, ebenso kurze wie kurzweilige Unterhaltung, die ich insbesondere geschichtsinteressierten Leserinnen und Lesern durchaus empfehlen kann.

Demnächst in diesem Blog: „Die Leuchtturmwärter“ von Emma Stonex oder „Was ans Licht kommt“ von Christoffer Carlsson.

Happy birthday to me #8

Errungenschaft: 8. Jahrestag

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

wäre WordPress nicht gerade so vorbildlich seiner Chronistenpflicht nachgekommen, ich hätte es vergessen. Was unter anderem dafür spricht, dass ich irgendwie andere und/oder wichtigere Dinge im Kopf habe. Dennoch soll – wenn auch vielleicht nur, um meinen inneren „Monk“ zufriedenzustellen – an dieser Stelle kurz erwähnt werden, dass mein Blog heute ganze acht Jahre alt wird!

Nun war nicht nur das vergangene Jahr, sondern eigentlich auch das davor, für mich persönlich ein Zeitraum, der am besten dem Vergessen anheimfallen sollte und ich würde mich gerne diesbezüglich blitzdingsen lassen. Und das merkt man durchaus auch an meinem Blogtreiben. So habe ich in jüngerer bis mittlerer Vergangenheit wesentlich weniger geschrieben als früher.

Gleichzeitig habe ich aber wohl noch nie so gern geschrieben wie derzeit! Auch weil ich mich – jedenfalls ist das mein ganz persönlicher Eindruck – im Gegensatz zu früher weitgehend vom formalen Korsett gelöst habe, in das ich meine Texte bis vor einiger Zeit selbst gezwängt habe – ohne jetzt diesbzüglich ins Detail zu gehen. Und weil ich mir nicht mehr den Druck von „mindestens x Beiträge pro y“ mache, sondern eher nach dem Grundsatz „It’s done, when it’s done!“ verfahre. Von derlei Fesseln befreit, nur nach Lust und Laune, wann und worüber mir ist, zu bloggen, macht erheblich mehr Freude als ich dachte.

Für meine Blogstatistik ist das natürlich Gift – aber sind wir doch mal ehrlich: Wen interessiert das!?

Solange sich an dieser Stelle in gleichbleibender Anzahl die üblichen Verdächtigen – also ihr – regelmäßig einfinden, bin ich zufrieden. Dafür sei den üblichen Verdächtigen – also euch – an dieser Stelle übrigens herzlichst gedankt.

Mittelfristig gilt es jetzt natürlich, noch die zehn vollzumachen – aber das kriegen wir schon irgendwie hin.

Gehabt euch wohl!

„Freiheitsgeld“ von Andreas Eschbach

Buch: „Freiheitsgeld“

Autor: Andreas Eschbach

Verlag: Lübbe

Ausgabe:  Hardcover, 528 Seiten

Der Autor: Andreas Eschbach, geboren am 15.09.1959 in Ulm, ist verheiratet, hat einen Sohn und schreibt seit seinem 12. Lebensjahr.

Er studierte in Stuttgart Luft- und Raumfahrttechnik und arbeitete zunächst als Softwareentwickler. Von 1993 bis 1996 war er geschäftsführender Gesellschafter einer EDV-Beratungsfirma.

Als Stipendiat der Arno-Schmidt-Stiftung „für schriftstellerisch hoch begabten Nachwuchs“ schrieb er seinen ersten Roman „Die Haarteppichknüpfer“, der 1995 erschien und für den er 1996 den „Literaturpreis des Science-Fiction-Clubs Deutschland“ erhielt. Bekannt wurde er vor allem durch den Thriller „Das Jesus-Video“ (1998), der im Jahr 1999 drei literarische Preise gewann und zum Taschenbuchbestseller wurde. ProSieben verfilmte den Roman, der erstmals im Dezember 2002 ausgestrahlt wurde und Rekordeinschaltquoten bescherte. Mit „Eine Billion Dollar“, „Der Nobelpreis“ und zuletzt „Ausgebrannt“ stieg er endgültig in die Riege der deutschen Top-Thriller-Autoren auf.

Nach über 25 Jahren in Stuttgart lebt Andreas Eschbach mit seiner Familie jetzt seit 2003 als freier Schriftsteller in der Bretagne. (Quelle: Lübbe)

Das Buch: Europa in nicht allzu ferner Zukunft. Die Digitalisierung ist weit fortgeschritten, Maschinen erledigen die meiste Arbeit, während ein bedingungsloses Grundeinkommen, das sogenannte „Freiheitsgeld“, dafür sorgt, dass jeder ein menschenwürdiges Leben führen kann. Als der Politiker, der das Freiheitsgeld eingeführt hat, tot aufgefunden wird, wirkt es zunächst wie ein Selbstmord. Doch dann wird der Journalist ermordet, der einst als sein größter Gegenspieler galt. Ahmad Müller, ein junger Polizist, ist in die Ermittlungen um beide Fälle involviert – und sieht sich mit übermächtigen Kräften konfrontiert, die im Geheimen operieren und vor nichts zurückschrecken, um eine Aufklärung zu vereiteln. (Quelle: Lübbe)

Fazit: Ich habe mich geärgert, habe geschimpft, geflucht, die Augen verdreht und die Stirn in Falten gelegt, habe ungläubig aufgelacht, den Kopf geschüttelt und mich dann wieder geärgert – durchgelesen habe ich „Freiheitsgeld“ dann aber doch. Zu vieles an Andreas Eschbachs neuem Buch hat mich allerdings gestört, um es als zufriedenstellende Lektüre zu empfinden.

Das beginnt schon beim Einstieg in das Buch. Natürlich kann man als Autor guten Gewissens ein wenig Zeit investieren, um seiner Leserschaft das Setting nahezubringen, in dem man seine Handlung stattfinden lässt. Eschbach versucht das dadurch, dass er die Handlung aus drei unterschiedlichen Perspektiven – der des Polizisten Ahmed Müller, der von Lina und Valentin, einem jungen Paar, das gerade in die sogenannte „Oase“, eine Art „gated community“ für Priviligierte, eingezogen ist, und der von Therese und Kilian, die aus selbiger gerade ausziehen mussten – schildert. Ausgiebig beschreibt der Autor, was seinen Protagonisten in ihrem jeweiligen Umfeld so passiert. Nur passiert eben wenig, weswegen dieses Vorgehen leider zulasten der Handlung geht, die mindestens im ersten Drittel des Buches praktisch keinen Meter voranschreitet.

Darüber hinaus krankt das Buch nicht nur daran, dass Eschbach zu Beginn episch sein Setting ausbreitet, sondern auch wie er es tut. Zwar bemüht sich der Autor, den Rat „Show, don´t tell“ zu beherzigen, indem er seine Figuren über das Umfeld, in dem sie leben, und die ferne Vergangenheit des Landes und der Gesellschaft  philospophieren lässt, die sie in besagtes Umfeld geführt hat. Allerdings fühlt sich das kein bisschen organisch, kein bisschen glaubwürdig an. Es wirkt eher so, als würde jemand heutzutage in geselliger Runde sitzen, sich zusammen mit den anderen dann zwischen zwei Folgen „Stranger Things“ die „Tagesschau“ ansehen und sich angesichts einer kurzen Berichterstattung über das bald einzuführende Bürgergeld zu einem Spontanreferat über den Marshallplan bemüßigt sehen. Zwar mögen Schätzingsche Infodumps auch nicht die perfekte Möglichkeit zur Schilderung eines Settings sein, im vorliegenden Fall wäre ein solcher Infodump aber wohl die bessere Wahl gewesen.

Erschwerend kommt hinzu, dass es dann zwischendurch immer mal wieder so Kleinigkeiten gibt, die innerhalb des Settings auf der Logik- und Stringenzebene zumindest diskussionswürdig sind. Beispielsweise heißt es da an einer Stelle:

„Brasilien hatte einmal mehr versucht, eine Weltraumrakete zu starten, doch sie war beim Aufstieg wieder explodiert, getroffen von einem der Millionen Trümmer, die den Planeten umkreisten und Raumfahrt noch für mehrere hundert Jahre unmöglich machen würde: Noch so ein Überbleibsel der vorigen Generationen, die mit ihrem Müll bedenkenlos um sich geworfen hatten.“

Mal ganz davon abgesehen, dass derartige, ich nenne sie mal Zeigefinger-Passagen, die zum Ziel haben, uns zu sagen, dass wir ganz dolle böse sind, mit unschöner, weil bald nervtötender Regelmäßigkeit auftauchen: Wenn Raumfahrt in Eschbachs Setting noch „für mehrere hundert Jahre unmöglich“ sein würde, und man das auch weiß, denn schließlich hat man es „einmal mehr“ mit einem Start versucht: Versuchen die Brasilianer dann wider besseres Wissen immer wieder dasselbe und erwarten unterschiedliche Ergebnisse? Und wenn ja, warum!? Sitzt ein ein beratungsresistenter manischer Weltraumbehörden-Bolsonaro, der bar jeder Vernunft eine Rakete nach der anderen in den Weltraum schickt, in der irrigen Annahme, dass irgendwann schon mal eine durchkommen würde? Und wenn ja, wofür?

Leider beschränkt sich meine Kritik an Eschbachs Buch nicht auf das Setting und die Darstellung desselben. Auch auf der Figurenebene hakt es deutlich. Die Charaktere wirken blass und handeln zuweilen wenig nachvollziehbar. Beispielsweise verschweigt eine Protagonistin ihrem Freund, dass sie seit geraumer Zeit, anders als behauptet, auf Verhütung verzichtet. Besager Freund reagiert ob dieses eigentlichen Vetrauensbruchs aber nicht etwa irgendwie verstimmt, sondern sinngemäß stellt er klar, dass ihm das so überhaupt nichts ausmacht, denn schließlich wolle er ja auch Kinder … – ja, nee, is´ klar. Wäre vielleicht auch zu einfach gewesen, über solch elementare Parameter einer Beziehung einfach mal zu reden.

Selbige Freundin hat später noch so ein, zwei Geständnisse zu tätigen, die mich persönlich eher wütend machen würden, die hier handelnden Personen machen jedoch durch die Bank einen so zenbuddhistischen Eindruck, als würden sie sagen: „Eines fernen Tages werden wir darüber lachen …“

Darüber hinaus werden viele der Figuren, mehrheitlich die weiblichen, irgendwie übersexualisiert dargestellt, auch und gerade von ihrer persönlichen Denkweise her. Da geht einer jungen Frau in einer Art Luxusschwimmbad spontan durch den Kopf, dass ihr Freund sie praktisch hier und jetzt haben könne. Eine andere richtet sich im heimischen Bett schon mal so auf, dass ihre Brüste besonders zur Geltung kommen. Nun, wer kennt das nicht!? Gebt es zu, Leserinnen meines Blogs, das macht ihr doch zu Hause auch …!?

Dass die im Buch auftauchenden Paare entsprechend häufig miteinander ins Bett springen, fällt dementsprechend schon kaum noch ins Gewicht wie der, äh, arme Mann in der „gated community“, der dort dauernd einen Handjob über sich ergehen lassen muss, weil man aus seinem … – ach, nein, das darf ich nicht verraten. Tja, harter Job, den der Junge da hat, aber irgendeiner muss ihn ja machen. An diesen Stellen wurden zudem unangenehme Erinnerungen an aus der Ecke des Qanon-Spinner geäußerten Adrenochrom-Blödsinn wach … Die übersexualisierte Darstellung der Figuren und ihrer Denkweise würde vielleicht in einem futuristischen Cyberpunk-Setting Sinn ergeben, hier wirkt sie bestenfalls befremdlich.

Je nun, wenn das Setting wenig überzeugen kann und unpassend geschildert wird und die Figurenzeichnungen allen Grund zu diversen Fragen aufwirft, dann kann ja wenigstens die Handlung so ganz vielleicht überzeugen? Leider nein.

Andreas Eschbach nimmt sich häufig spannender Themen und Fragestellungen an und die Frage, ob und wie ein Bedingungsloses Grundeinkommen vor dem Hintergrund der zunehmenden Automatisierung in der Arbeitwelt sich auf die Gesellschaft auswirkt, ist sicherlich auch ein solches spannendes Thema. Ich persönlich – auch wenn das eigentlich nichts zur Sache tut – halte die Idee des Bedingunslosen Grundeinkommens – immer unter der Voraussetzung der Finanzierbarkeit – für die Lösung für mannigfaltige Probleme. In Eschbachs Buch wirkt die Thematik allerdings eher so, als hätte ein FDP-Thinktank die Handlung erarbeitet. Immer wieder weisen die Figuren auf die sinnstiftende Auswirkung einer Erwerbstätigkeit hin, was letzten Endes so weit geht, dass eine der Hauptfiguren sinngemäß behauptet, wenn er nicht einer geregelten Tätigkeit nachginge, wäre er vielleicht auch einer dieser dauerbetrunkenen Obdachlosen auf der Straße, die mit ihrem Freiheitsgeld einfach nicht umgehen könnten. Ooookaaay …

Zudem leidet die Handlung unter dem eingangs erwähnten, sehr langatmigen Einstieg. Sie nimmt erst recht spät Fahrt auf und endet dann in einer übertriebenen Antagonisten-Konfrontation, in der nur noch eine weiße, flauschige James-Bond-Katze und ein diabolisches „Muhahaha!“ fehlt. Zudem empfand ich die Auflösung als populär-verschwörungserzählerischen Blödsinn.

Vor dem Hintergrund, dass ich die Bücher von Andreas Eschbach schon seit sicherlich bald 20 Jahren quasi ausnahmslos mit Freude bis Begeisterung gelesen habe, bin ich von „Freiheitsgeld“ umso mehr enttäuscht, das ich, um ehrlich zu sein, wahrscheinlich nur wegen meiner Leser-Autoren-Bindung und in der Hoffnung, dass da „noch was kommt“ durchgelesen habe. Es kam aber nichts. Leider.

Demnächst in diesem Blog:„Die Leuchtturmwächter“ von Emma Stonex. Oder „Gendarm des Königs“ von Moses Wolff.

3 in 1: Was hier noch so rumlag

Hallo, liebe Leserinnen und Leser,

aus der Tatsache, dass ich mich aus infektionstechnischen Gründen gerade in Isolation befinde – yay! -, könnte man ableiten, dass ich jetzt ja wenigstens viel Zeit zum Lesen und Schreiben hätte. Das stimmt zwar theoretisch, praktisch scheitert das aber bislang an meiner überschaubaren Aufmerksamkeitsspann… oh, seht mal: Glitzer!

Stattdessen bricht sich so langsam der Wunsch Bahn, die weltweite Fledermauspopulation in so einer Art Vendetta für alle Zeiten und vollständig vom Angesicht der Erde zu tilgen, da Noah das aus Gründen reiner Fahrlässigkeit ja nicht erledigt hat. Damit ich diesem Wunsch nicht nachkomme, und irgendwann als so eine Art moderne Version von Don Quichote, der statt mit Lanze mit einem Flammenwerfer gegen Fledermäuse statt Windmühlen kämpft, festgenommen werde und fürderhin in einer weitgehend gummierten Umgebung mein Dasein fristen muss, könnte es jedoch sinnvoll sein, die spärliche Kräfte im weitesten Sinne sinnvoll einzusetzen, und sich ein bisschen mit den Büchern zu beschäftigen, über die es noch zu schreiben gilt.

Nun liegt die Lektüre von einigen davon aus einer Vielzahl von Gründen schon so lange zurück, dass es wenig seriös wäre – oder auch nur irgendwie möglich – darüber tatsächlich detaillierte, aussagekräftige Texte zu verfassen. So ganz unerwähnt will ich sie aber nun auch nicht lassen, weswegen ich mir die drei am weitesten zurückliegenden Lektüren mal rausgegriffen habe, um wenigstens kurz ein paar Worte darüber zu verlieren. Auf gehts:

„Der unsichtbare Roman“ von Christoph Poschenrieder

Geschichte wird von Siegern geschrieben, so sagt man. Nun ist das aber natürlich kein Grund, warum die Verlierer das nicht auch einfach mal versuchen sollten. Das jedenfalls dachten sich vielleicht die Herren vom Auswärtigen Amt 1918, als sie dem Erfolgsautor Gustav Meyrink das Angebot unterbreiten, eine Art Propagandaroman zu schreiben, der die Schuld am Kriegsausbruch eindeutig den Freimaurern zuschiebt. Meyrink, literarisch nach einem einzigen Ausnahmeerfolg leicht in Vergessenheit geraten, nimmt das Angebot an, lässt sich kistenweise Unterlagen und Quellenmaterial aus dem Auswärtigen Amt schicken – und tut dann im weitesten Sinne erst mal nichts. Statt mit seiner literarischen Tätigkeit beschäftigt er sich mit Yoga, Übersinnlichkeitsgedöns und zahlreichen Mittagessen mit Erich Mühsam – dem, wie geneigte Leser vielleicht wissen, in der Folge ein sehr trauriges Schicksal drohen sollte -, um vielleicht irgendwie eine Inspiration, einen Flow zu bekommen.

Stattdessen landet der entschieden unpolitische Autor, dem es eigentlich widerstrebt, irgendwelchen Blödsinn in die Welt zu setzen und der das Angebot im Grunde nur aus simpler Geldnot angenommen hat, in der Mutter aller Schreibblockaden. Das und die Tatsache, dass Meyrink nicht gerade verschwiegen mit seinem Auftrag umgeht, lässt die Herren vom Auswärtigen Amt bald vollkommen zu recht vermuten, hier dem völlig falschen Menschen den Auftrag erteilt zu haben.

Zwischen den Kapiteln hat Christoph Poschenrieder Recherchenotizen eingefügt, die mal aus Briefwechseln von Meyrink, mal aus Dokumenten aus dem Auswärtigen Amt usw. bestehen, und die dem weitgehend auf historischen Tatsachen basierenden Roman zusätzliche Authentizität verleihen.

In Summe ist „Der unsichtbare Roman“ eine überaus lohnenswerte Lektüre, wenn man sich nur ansatzweise für historischen Themen interessiert.

„Die Herzen der Männer“ von Nickolas Butler

Gelegentlich kommt es vor – auch das letzte Mal zugegebenermaßen eine Weile zurückliegt -, dass mir ganz zauberhafte Menschen aus der Blogosphäre Bücher zuschicken – die ich dann nie lese. Und ähnlich wie im vorliegenden Fall stelle ich dann häufig fest, dass es ein Fehler war, eben diese Bücher so lange „auf Halde“ liegen zu lassen.

Nickolas Butler teilt seinen Roman in drei Teile und drei Zeitebenen, in denen er das Schicksal einiger Figuren, ausgehend vom jungen Nelson, auch „Trompeter“ genannt, über drei Generationen hinweg beleuchtet.

Bemerkenswert ist hierbei, dass Butler die Kunst vollbringt, alle drei Abschnitte weitgehend in ein und demselben Setting stattfinden zu lassen. So spielt der erste Teil des Romans ausnahmslos in einem Pfadfinderlager, der zweite weitgehend in einer Art Nachtclub etc. Dabei wird deutlich, dass Butler nicht nur ein Händchen für seine Setting hat, sondern auch eines für Szenen, Dialoge und Charaktere.

In Summe ist „Die Herzen der Männer“ ein Roman über Väter, Söhne, Vaterfiguren, darüber, was es braucht, damit Männer halbwegs rund ticken. Ein Roman, der zum alleinigen Verständnis des Mannes als solches nun zwar auch nicht ausreicht, einen guten Ansatz bietet er aber sehr wohl. Sehr lesenswert!

„Die Schatten von Edinburgh“ von Oscar de Muriel

Wenn meinen Aufzeichnungen Glauben zu schenken ist, soll ich „Die Schatten von Edinburgh“ angeblich im Juli gelesen haben, gebe aber zu, dass es mir viel länger her vorkommt. Nun könnte man mutmaßen, dass das nicht für das Buch spricht, aber eigentlich war die Lektüre von de Muriels Reihenauftakt eine ganz launige.

Man nimmt sich ein beliebtes historisches Setting – im vorliegenden Fall Großbritannien im Jahr 1888 – fügt zwei Ermittlerfiguren hinzu, die daherkommen wie Feuer und Wasser und lässt diese beiden einen „Locked-Room“-Fall lösen – und fertig ist ein gelungener Krimi.

Klingt simpel, weil es das ist. Mögen diese literarischen Inhaltsstoffe jeweils für sich allein genommen, nicht sonderlich revolutionär erscheinen, so muss man aber konstatieren, dass sie funktionieren. Das Zusammenspiel – nun, manchmal auch weniger „zusammen“ – der beiden Ermittler unterhält durchaus, der Kriminalfall kann ebenfalls überzeugen und das Jack-the-Ripper-Schwingungen verbreitende Setting tut dann sein übriges. Mag „Die Schatten von Edinburgh“ vielleicht kein Meilenstein in der Geschichte des Kriminalromans sein, so ist es doch mehr als ein solider Auftakt für eine Krimireihe, in die ich sicherlich gelegentlich immer mal wieder reinlesen werde.

Das solls an dieser Stelle für heute gewesen sein.

Gehabt euch wohl.