Buch: „Im Grunde gut“
Autor: Rutger Bregman
Verlag: Rowohlt
Ausgabe: Hardcover
Der Autor: Rutger Bregman, geboren 1988 in den Niederlanden, ist Historiker und Journalist und einer der prominentesten jungen Denker Europas. Bregman wurde bereits zweimal für den renommierten European Press Prize nominiert. Er schreibt für die «Washington Post» und die «BBC» sowie für niederländische Medien. 2017 erschien sein Bestseller «Utopien für Realisten». (Quelle: Rowohlt)
Das Buch: Der Historiker und Journalist Rutger Bregman setzt sich in seinem neuen Buch mit dem Wesen des Menschen auseinander. Anders als in der westlichen Denktradition angenommen ist der Mensch seinen Thesen nach nicht böse, sondern im Gegenteil: von Grund auf gut. Und geht man von dieser Prämisse aus, ist es möglich, die Welt und den Menschen in ihr komplett neu und grundoptimistisch zu denken. (Quelle: Rowohlt)
Fazit: „Wir leben in einem Land, das zu nennenswerten Teilen von Idioten bevölkert wird.“ Diesen Satz wiederhole ich, besonders derzeit, aber auch schon vorher, geradezu gebetsmühlenartig. Und ich stehe dazu, auch weil ich mich durch Klopapierhamsterer und während einer Pandemie demonstrierende Pegida-Schergen in meiner Meinung bestätigt sehe. Aber vielleicht habe ich ja unrecht? Vielleicht ist das ja keine Meinung, sondern ein unhaltbares Vorurteil? Vielleicht ist der Mensch an sich ja im Grunde gut? Dieser Frage geht Rutger Bregman in seinem neuen Buch auf den Grund.
Dazu stellt er nach einem Prolog – in dem er beispielsweise die Geschichte von sechs tonganischen Jungen erzählt, die 1966 auf der Insel ´Ata bei Tonga strandeten und dort 13 Monate ausharren mussten, sich aber ganz entgegen William Goldings „Herr der Fliegen“-Szenario eben nicht gegenseitig massakrierten – die beiden Positionen der Philosophen Thomas Hobbes und Jean-Jaques Rousseau gegeneinander.
Hobbes war, vereinfacht gesagt, der Auffassung, der Urzustand des Menschen sei einer voller Angst und Unsicherheit, die nur mittels der Gründung eines Staates überwunden werden kann. Als Anhänger der sogenannten Fassadentheorie vertritt er die Ansicht, dass die Menschen nur durch einen dünnen Anstrich aus Zivilisation, Kultur, Gesetzen davon abgehalten werden, sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen.
Demgegenüber steht Rousseau, der zwar zugibt „Die Menschen sind böse, eine eine traurige und fortdauernde Erfahrung erübrigt den Beweis“, der das aber eben nur auf die Menschen seiner Zeit bezieht, weswegen er anfügt, „jedoch, der Mensch ist von Natur aus gut, ich glaube, es nachgewiesen zu haben;(…)“ .
Doch wer hat nun recht? Als Mensch, dessen philosophische Bildung nicht über die Lektüre von „Sofies Welt“, den erfolglosen Versuch der Lektüre von Weischedels „philosophischer Hintertreppe“ und einer einzigen Vorlesung über Carl Popper hinausgeht, maße ich mir da natürlich keine Antwort an. Aber dafür hat man als Leser ja glücklicherweise Bregman, der der genannten Frage anhand diverser Beispiele aus Biologie, Anthropologie, Geschichte, Philosphie und Psychologie auf den Grund geht.
Einige der Beispiele haben es sogar in den populärwissenschaftlichen Popkulturbereich geschafft, so wie das „Stanford-Prison-Experiment“, bei dem der Psychologe Philipp Zimbardo eine Gruppe von Studenten je zur Hälfte in „Wärter“ und in „Gefangene“ einteilte und das in der Folge dann ziemlich aus dem Ruder lief. Oder aber das „Milgram-Experiment“, bei dem Menschen die als „Lehrer“ fungierten und die eigentliche Testperson darstellten, den in einem anderen Raum sitzenden „Schülern“ bei falscher Beantwortung einer Frage vermeintliche Stromstöße verabreichen sollten.
Und ja, die Ergebnisse beider Experimente vermitteln jetzt kein so unbedingt positives Bild des Menschen an sich.
Bregman macht sich nun daran, nachzuweisen, wo die Schwachstellen bei diesen Experimenten waren, sowohl in der Herangehensweise als auch in der Durchführung, und wieso sie zur Beurteilung der übergeordneten Frage nach der Natur des Menschen absolut keine Aussagekraft haben.
Und das zieht sich in ähnlicher Form durch das ganze Buch. Der Autor stellt häufig allgemeingültige Thesen auf, oder zumindest solche, zu denen man zustimmend nickt, um diese dann fein säuberlich auseinanderzunehmen, und darzustellen, warum sie eben alles andere als allgemeingültig sind.
Nun maße ich mir nicht an, Bregmans Ausführungen nach wissenschaftlichen Standards zu beurteilen, das sollen Leute tun, die sich besser mit der Materie auskennen. Ich kann das Ganze also nur als Laie beurteilen. Und als solcher kann ich sagen, dass ich die Vorgehensweise, sowie die Argumentation und seine Schlussfolgerungen als nachvollziehbar und in sich logisch empfand.
Natürlich gibt es da auch Ausnahmen, so zum Beispiel bei der Geschichte um Kitty Genovese. Die junge Frau wurde in den 60ern nachts vor ihrem eigenen Haus überfallen und getötet. In der Folge wurde die Geschichte verbreitet, dass bis zu 38 Nachbarn eigentlich etwas gehört, dennoch aber nichts unternommen hätten, um zu helfen. Auch hier widerlegt Bregman die urspünglichen Annahmen, arbeitet schließlich heraus, dass es „nur“ zwei Nachbarn waren, die sich für aktives Nichtstun entschieden haben. Und über einen davon sagt Bregman „Fink war ein seltsamer, in sich gekehrter Mann. Er hasst Juden und wurde von den Kindern in der Nachbarschaft „Adolf“ genannt.“ (S. 218) Nun mag das zwar so sein, und vielleicht war besagter Fink wirklich kein angenehmer Zeitgenosse, das Diskreditieren einer Person, um daraus eine Handlungsmotivation abzuleiten, oder im vorliegenden Fall die Motivation für ein Nichthandeln, empfinde ich persönlich jedoch eher als schwach bis ungenügend, geht das dann doch mehr in die Richtung „Argumentum ad hominem“, und das sollte einem in einem solchen, wenn auch vielleicht eher „nur“ populärwissenschaftlichen Buch doch tunlichst nicht passieren.
Es mag nicht verwundern, dass sich Bregman hinsichtlich der beiden genannten Philosophen schon eher auf die Seite des berühmten Franzosen schlägt. Aber der Autor belässt es sinnigerweise nicht bei dieser Schlussfolgerung, sondern erläutert im Folgenden, was diese denn nun für unser weiteres Zusammenleben bedeutet. Dahingehend möchte ich jetzt nicht zu viel in die Tiefe gehen, das würde zu viel vorwegnehmen, aber sagen wir mal so: Wenn auch der Begriff „bedingungsloses Grundeinkommen“, sofern ich aufmerksam gelesen habe, nicht ein einziges Mal fällt, so lassen sich Bregmans Schlussfolgerungen durchaus als Plädoyer für ein solches lesen. Ein Plädoyer dafür, die Menschen so weit wie möglich von ihren wirtschaftlichen Zwängen zu befreien, um sie so ihrer eigentlichen Natur wieder näherkommen zu lassen. Und spätestens hier ist mir der Autor und sein Buch dann doch sehr sympathisch geworden.
Sogar so sympathisch, dass ich darüber hinwegsehen konnte, dass er sein Buch mit „10 Lebensregeln“ abschließt, die auf seiner Argumentation aufbauen, und die er sich guten Gewissens hätte sparen können, aber vermutlich erwartet die heutige Sachbuchleser-Generation immer auch so etwas wie einen Ratgeber, einen Selbsthilfeteil, ich weiß es nicht.
Auch hier ist mir Bregman sehr sympathisch, denn dass er sich diesen Teil des Buches hätte schenken können, ist ihm selbst bewusst, sagt er doch von sich, selbst kein Fan von Selbsthilfebüchern zu sein. „In unserer Zeit herrscht zu viel Introspektion und zu wenig Outrospektion. Eine bessere Welt fängt nicht bei einem selbst, sondern bei uns an. Mit weiteren hundert Tipps, wie man Karriere macht und sich selbst reich phantasiert, werden wir das nicht schaffen.“ (S. 416), sagt er dann auch so treffend. Nur um dann aber eben doch seine zehn Lebensregeln zu verbreiten.
Sei es drum, wem es hilft …
Und dem Gesamteindruck schadet das in keiner Weise, denn geblieben ist ein sehr nachdrücklicher Leseeindruck sowie das feste Vorhaben, mich zukünftig mehr mit philosophischer Literatur zu beschäftigen. Anregungen werden gerne entgegen genommen. Es muss ja nicht gleich Kant sein …
Geblieben ist aber auch ein größeres Verständnis meinerseits dafür, dass Menschen so ticken, wie sie eben ticken. Denn es mag immer noch sein, dass wir in einem Land leben, dass zu nennenswerten Teilen von Idioten bevölkert wird. Aber jeder einzelne davon hat einen Grund, warum er so ist, wie er eben ist.
Ich danke dem Rowohlt Verlag für die freundliche Übersendung des Rezensionsexemplares. Die Tatsache, dass es sich um ein Rezensionsexemplar handelt, beeinflusst meine Meinung selbstredend nicht.
Wertung:
10 von 10 Punkten
Demnächst in diesem Blog: „Ostfriesenblut“ von Klaus-Peter Wolf.