Buch: „Der seltsame Fall des Benjamin Button“
Autor: F. Scott Fitzgerald
Verlag: Anaconda
Ausgabe: Hardcover, 72 Seiten
Der Autor: Francis Scott Fitzgerald (1896-1940), geboren in St. Paul, Minnesota, ging nach seinem Studium in Princeton als Reporter nach New York. Sein erster Roman „This Side of Paradise“, erschienen 1920, brachte ihm schnellen Ruhm und plötzlichen Reichtum. Zwei Jahre später erschien seine Kurzgeschichtensammlung „Tales of the Jazz Age“, mit der er den ausgelassenen 1920er Jahren ihren Namen gab. Eine ganze Generation erkannte sich in seinen Figuren wieder. Fitzgerald war jedoch nicht nur der Chronist, sondern auch selbst die Hauptfigur der endlosen, verschwenderischen Parties des Jazz-Zeitalters. Gemeinsam mit seiner Frau Zelda inszenierte er sich als charmanter, mondäner Weltenbummler und extravaganter Lebemann; die Ausschweifungen des Paares füllten die New Yorker Klatschblätter.
Dieses Leben forderte jedoch seinen Tribut: Zelda erlitt 1930 einen Nervenzusammenbruch und wurde in eine psychiatrische Klinik eingewiesen; Scott verfiel zusehends seiner Alkoholsucht. Seine Veröffentlichungen in den 1930er Jahren konnten an die großen Erfolge nicht mehr anknüpfen. Die letzten drei Jahre seines Lebens verbrachte er als Drehbuchautor in Hollywood. Finanziell und gesundheitlich ruiniert, starb Fitzgerald im Alter von nur 44 Jahren an Herzversagen. (Quelle: Anaconda)
Das Buch: Benjamin Button ist kein Kind wie alle anderen: Er ist groß, hat einen Bart, und statt im Kindergarten herumzutollen. döst er schon mal ein. Irgendwann begreift seine Familie, dass er rückwärts altert – oder wie auch immer man das befremdliche Phänomen nennen soll, das Benjamin ständig mit der Welt kollidieren lässt. Keine gute Aussicht, wie seine Frau Hildegarde bald zu spären bekommt.
Fitzgeralds Erzählung aus dem Jahr 1922 wurde berühmt durch die Kinofassung. „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ erzählt auf so skurrile wie anrührende Weise von der Vergänglichkeit des Lebens. (Quelle: liebevoll abegetippter Klappentext)
Fazit: Wenn man, so wie mir neulich passiert, eher unerfreuliche Post bekommt – die Stammleserschaft wird sich erinnern -, dann hat das durchaus Folgen. Beispielsweise wirkt es sich nicht gerade förderlich auf eine seinerzeit ohnehin schon im Entstehen befindliche Schreib- und Leseunlust aus. Darüber hinaus sieht man sich mit ganz grundsätzlichen Fragen zur eigenen schreibenden Tätigkeit, und sei selbige noch so unbedeutend, und deren Fortsetzung konfrontiert. Und wenn dann der Vorsatz, gegen diesen Trend aktiv gegenzuschreiben nach ganz kurzer Zeit mit einem leisen „Piff!“ ver…äh…pifft, und man sich ohnehin gerade fühlt wie ein Hund, der dem Universum in einer Geste der Unterwürfigkeit seine Kehle darbietet, auf dass es zu Ende bringen möge, was es begonnen, dann … wird es Zeit, den urspünglich gefassten, aber, äh, verpifften Vorsatz doch konsequenter in die Tat umzusetzen.
Also: Seit 5:45 Uhr wird jetzt zurückgeschrieben! Gut, nicht wirklich schon seit kurz vor sechs, eher so seit eben. Ich will sagen, zukünftig versuche ich, zu alten Schreibintervallen zurückzukehren, und sowohl diesen als auch meinen von der Weltöffentlichkeit bemerkenswert weitreichend unentdeckt gebliebenen Zweitblog regelmäßiger mit Inhalten zu befüllen.
Wenden wir uns also, um diesen Vorsatz in die Tat umzusetzen, von meiner persönlichen Unbill ab und der Kurzgeschichte von F. Scott Fitzgerald zu. Denn exakt darum handelt es sich, eben um eine Kurzgeschichte. Und gäbe es da nicht diesen gleichnamigen Film mit Brad Pitt – den ich übrigens nicht gesehen habe, weil man mich mittlerweile auch außerhalb von Pandemiezeiten ähnlich oft in Kinos vorfinden kann wie U-Boot-Christen in Kirchen -, dann hätte ich wohl bislang noch nie davon gehört. Welch glücklich Geschick also, dass eine ganz zauberhafte Person, der an dieser Stelle mein Dank dafür gebührt, mir dieses schmale Büchlein unlängst überantwortet hat, damit ich nun drüber schreiben kann.
Fitzgerald wendet sich in seiner Kurzgeschichte einem in der Literatur altbekannten Thema zu: Dem Altern bzw. der Vergänglichkeit des Lebens an sich. Und damit kennen wir uns ja schließlich alle aus. Eben noch war alles gut, dann steht man morgens vor dem Spiegel und fragt sich: „Wann ist das passiert?“, kurz danach bemerkt man dann, dass man das eine oder andere graue Haar bekommt, plötzlich bislang unbekannte Geräusche von sich gibt, vorzugsweise beim Hinsetzen oder Aufstehen, und dass einige Dinge tatsächlich mehr Zeit in Anspruch nehmen als früher™. Früher™ hat man beispielsweise heruntergefallene Gegenstände einfach wieder aufgehoben. Heute hat man eine andere Definition von „aufgehoben“ und fragt sich in so einem Fall, ob der Gegenstand dort unten nicht eigentlich auch ganz gut aufgehoben ist oder ob man – im Falle eines tatsächlichen Aufhebeversuchs – später noch wichtige Termine hat, die man deswegen vielleicht versäumen könnte.
Allerdings würde es Fitzgerald nicht gerecht werden, wenn man seine Kurzgeschichte nur auf dieses Thema beschränkt. Tatsächlich gelingt ihm auf gerade mal 72 kleinformatigen und groß bedruckten Seiten das Kunststück, anhand der Lebensgeschichte seines Protagonisten eine Fülle von Themen einzuarbeiten. Beispielweise der unterschiedliche Umgang mit Menschen unterschiedlichen Alters. So wird der namensgebende Benjamin Button als anfangs „alter“ Mann ebensowenig ernst genommen – seine Eltern wollen ihm beispielsweise beharrlich Babynahrung geben – wie im späteren Verlauf, als er immer jünger wird und sich um Dinge, die er sich beruflich und gesellschaftlich erarbeitet hat, immer stärker kämpfen muss.
Darüber hinaus ist Fitzgeralds Buch auch ein hervorragendes Plädoyer für die Akzeptanz von Andersartigkeit. Und damit erreicht seine Geschichte auch und gerade in heutigen Zeiten eine bemerkenswerte Aktualität. „Der unabdingbare Respekt vor Vielfalt und Anderssein ist nicht alles.“ schrieb Wolfgang Thierse kürzlich in einem vielbeachteten Artikel und trieb mich damit auf die Palme. Nicht auf den Palmer. Der Palmer wiederum würde ihm wahrscheinlich zustimmen. Nun kann man von Thierses Meinung ja halten, was man will, wenn er nicht von sich behaupten würde, er sei „zum Symbol geworden für viele normale Menschen“. Wenn die Menschen, die seine Meinung teilen, die „normalen“ Menschen sind, was sind denn dann die anderen?
Ich schweife ab …
Neben der inhaltlichen Vielfalt bietet Fitzgeralds Kurzgeschichte auch eine bemerkenswerte emotionale Bandbreite. Die Geschichte changiert gekonnt zwischen Tragödie und Komödie und erzeugt eine Wirkung, die ich ihr – das gebe ich gerne zu – vorher nicht zugetraut hätte.
Alles in allem also ein überzeugendes Leseerlebnis auch und gerade für alle, die sich mit Fitzgeralds Werk ein bisschen vertraut machen, aber nicht gleich zum großen „Gatsby“ greifen möchten. Um den geht es übrigens auch bald. :-)
Demnächst in diesem Blog: „Abels Auferstehung“ von Thomas Ziebula