Buch: „Tabu“ (2013, Taschenbuchausgabe 2015)
Autor: Ferdinand von Schirach
Verlag: Piper
Ausgabe: Taschenbuch, 255 Seiten
Der Autor: Ferdinand von Schirach, 1964 in München geboren, ist ein deutscher Schriftsteller und Strafverteidiger. Er gehört zu den erfolgreichsten deutschen Autoren der letzten Jahre, dessen Bücher regelmäßig auf der „Spiegel“-Bestsellerliste stehen. Mehrere seiner Werke wurden bereits erfolgreich für das ZDF verfilmt.
Das Buch: Sebastian von Eschbach hat es nicht leicht gehabt in seiner Kindheit. Er wächst als Sproß einer alten Familie auf, von deren ursprünglichem Reichtum allerdings nicht mehr viel geblieben ist. Seine Eltern haben sich schon länger nichts mehr zu sagen. Seine Mutter behandelt ihn lieblos und interessiert sich hauptsächlich für ihre Karriere als Turnierreiterin, der Vater verfällt dem Alkohol und erschießt sich schließlich. Darufhin verkauft seine Mutter den Familienbesitz und Sebastian verbringt den Großteil der Zeit bis zu seinem Schulabschluss im Internat.
Sebastian ist Synästhetiker, er sieht Töne oder Buchstaben in bunten Farben, das A ist rot, das B gelb, das C hellgrün usw. Daher beschliesst er, dieses vermeintliche „Leiden“ zu nutzen und beginnt eine Ausbildung bei einem Fotografen. Nach einiger Zeit, verlässt er das Geschäft wieder und eröffnet sein eigenes Atelier. In kurzer Zeit erlangt er eine gewisse Berühmheit für seine aussagekräftigen Fotos von diversen Prominenten. Im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit tritt Sofia in sein Leben und wird seine Freundin.
Einige Zeit später geht ein Notruf bei der Polizei ein. Eine junge Frau behauptet, entführt worden zu sein. Im Zuge der Ermittlungen gerät von Eschbach ins Visier der Beamten. In seiner Wohnung werden große Blutspuren gefunden, auch weitere Indizien deuten auf ein Gewaltverbrechen. Eine Leiche jedoch bleibt unauffindbar.
Sebastian wird angeklagt und bemüht sich, den alternden Strafverteidiger Konrad Biegler als Rechtsbeistand zu bekommen. Dieser soll sich allerdings gerade auf Anraten seines Arztes erholen, was ihm jedoch überhaupt nicht passt. Daher erklärt sich Biegler bereit, die Verteidigung in diesem Fall zu übernehmen.
Fazit: Wie bereits erwähnt, findet man die Bücher von Ferdinand von Schirach mit schöner Regemäßigkeit in den einschlägigen Bestsellerlisten. So auch in diesem Fall. Und so wenig ich auch auf Bestsellerlisten gebe (schließlich stand auch Dieter Bohlen mal drin…), diesmal war ich neugierig. Ansonsten hätte ich mir dieses Buch mit seinem arg überschaubaren Umfang wahrscheinlich nie gekauft. Selbst die relativ kurzen Bücher von Sebastian Fitzek wirken dagegen wir „Krieg und Frieden“. Aber Quantität bedeutet ja nicht auch gleich Qualität.
Bei „Tabu“ jedoch hätten ein paar Seiten mehr gut getan. Dann hätte Herr von Schirach mehr Zeit gehabt, sich mit einzelnen Aspekten seines Buches zu beschäftigen. Einen Großteil der Romans beschreibt der Autor die Entwicklung seiner Hauptfigur Sebastian von Eschbach. Es entsteht im ersten Teil des Buches der Eindruck, als wolle der Autor eine Sozialstudie unter dem Titel „Wie wir wurden, was wir sind“ schreiben, vor dem Hintergrund der Kindheit des Protagonisten. Derart detailiert beschäftigt er sich mit von Eschbach und seinem Lebenslauf. Bemerkenswert, vor dem Hintergrund des erwähnten überschaubaren Gesamtumfang des Buches. Das wäre mir als Thema alleine aber jetzt nicht innovativ genug.
Der Autor hätte sich angesichts der künstlerischen Tätigkeit seiner Hauptfigur auch mit der Bedeutung der Kunst und der Frage, was Kunst darf und was nicht beschäftigen können. Und ansatzweise hat er das auch. Das geht mir allerdings nicht tief genug. Da rächen sich die wenigen Seiten…
Er hätte auch einfach einen Kriminalroman schreiben können, dachte ich doch beim Kauf von „Tabu“ tatsächlich, ich hätte einen in der Hand. Aber der Teil des Buches der sich mit dem Verbrechen und der dazugehörigen Gerichtsverhandlung beschäftigt ist dafür ebenfalls zu kurz geraten.
Sollte das Hauptthema des Buches wirklich das sich im Laufe der Ermittlungen ergebende moralische Dilemma der Polizisten sein, (auf das ich nicht eingehen kann, ohne zu spoilern), so wie der Titel des Buches vermuten lässt, dann hinkt Herr von Schirach der Zeit aber weit hinterher. Vor gut zehn Jahren wäre ein solches Buch, das sich mit dem besagtem moralischen Dilemma beschäftigt, topaktuell gewesen. Heute jedoch…
Dabei merkt man Herrn von Schirach sein literarisches Talent deutlich an, seinen Stil finde ich, kurz gesagt, großartig. Er schreibt kurze, prägnante, wohlformulierte Sätze. Dieses stilistische Niveau erreicht nicht jeder, insofern: Chapeau, Herr von Schirach.
Über die Charaktere kann man schon wieder geteilter Meinung sein: Sebastian von Eschbach wirkt einfach nur seltsam und verschroben, aufgrund seiner Lebensgeschichte vielleicht auch verständlich. Sein knurriger Anwalt Biegler allerdings gefällt mir ausnehmend gut. Alle anderen auftauchenden Personen sind mehr oder weniger schmückendes Beiwerk oder haben eine Bedeutung, die ich möglicherweise nicht begriffen habe.
Überhaupt hatte ich nach der Lektüre das Gefühl, das Buch irgendwie nicht ganz verstanden zu haben. Das kann daran liegen, dass es da nichts zu verstehen gibt. Oder aber mir fehlte für dieses Werk der intellektuelle Zugang, während ein fähiger Literaturwissenschaftler sich wahrscheinlich in unzähligen Deutungsebenen bewegen würde, die sich mir alle nicht erschließen.
Kurz gesagt: Keine Ahnung!
Wertung
Handlung: 6 von 10 Punkten
Charaktere: 5 von 10 Punkten
Stil: 9 von 10 Punkten
Spannung: 4 von 10 Punkten
Gesamtwertung: 6 von 10 Punkten; wahrscheinlich hätte ich das Wertungskriterium „Anspruch“ oder „Niveau“ noch hinzunehmen müssen und mit einer geratenen 10 bewerten, dann wäre der Durchschnitt zugegebenermaßen höher ausgefallen…
Demnächst in diesem Blog: Da ich bei der nächsten Rezension gerne wieder über etwas schreiben möchte, von dem ich mir sicher bin, es auch verstanden zu haben, gibt es hier recht bald „Das Tribunal“ von John Katzenbach.