Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
die Menge der Bücher, über die ich in den letzten sieben Jahren nicht geschrieben habe, obwohl sie von mir gelesen wurden, lässt sich an einer Hand abzählen. Im Allgemeinen versuche ich also, meine Leseeindrücke ziemlich vollständig wiederzugeben. Da kommt mein penibler, innerer Chronist wieder zum Tragen. Wenn man nun aber, so wie mir geschehen, eine längerfristige, ungeplante Blogosphären-Abstinenz einlegt, in der Zwischenzeit, wenn auch in gebremsten Tempo, aber dennoch weiterliest, kommt man in Situationen wie die meine. Dann hat man nämlich eine Unzahl Bücher auf Halde liegen, die ihrer Besprechung harren, aber nicht in adäquatem Zeitraum „abgearbeitet“ werden können. In der Folge wird der Abstand zur eigentlichen Lektüre immer größer, was einer den eigenen Ansprüchen genügenden Rezension zusehends im Wege steht. Ganz unerwähnt sollten sie aber nicht bleiben, die Bücher, die bei mir nun auf Halde liegen, zu denen ich aber keine detaillierte Besprechung mehr verfassen könnte oder wollte. Daher gibts im Folgenden Kurzeindrücke zu eben diesen Büchern. Los geht es mit:
„Die letzte Astronautin“ von David Wellington
Die NASA spielt verrückt, weil sich ein Objekt der Erde nähert, das augenscheinlich in der Lage ist, selbstständig seine Geschwindigkeit zu ändern, somit nicht natürlichen Urprungs sein kann. Üblicherweise würde man jetzt eine bemannte Mission losschicken, um dieses Objekt in Augenschein zu nehmen und eine etwaige Bedrohung für die Menschheit auszuschließen. Blöd nur, dass die bemannte Raumfahrt vor Jahren eingestellt wurde, nachdem die letzte Marsmission in einer vollständigen Katastrophe endete. Die Einzige, die somit noch Astronautenerfahrung hat, ist die damalige Missionsleiterin Sally Jensen, die überzeugt wird, mit einer kleinen Gruppe Astronauten-Azubis den Auftrag anzunehmen.
Für diesen Roman habe ich, gemessen an seinem Umfang, überdurchschnittlich lange gebraucht. Und das, obwohl er durchaus seine Stärken hat. Wellington hat durchaus ein Händchen für bedrohliche Szenarien und dazu passende Stimmungen. Ganz überzeugt hat mich das Buch allerdings dann doch nicht, die xte Abwandlung von „Ellen-Ripley-Double rettet die Welt“ muss dann irgendwie doch nicht sein.
„Der Polizist“ von John Grisham
Manche Teile der Leserschaft mögen Grishams Bücher für das literarische Äquivalent zu Reiskeksen halten, ich persönlich mag sie aber eigentlich ganz gerne. In seinem neuesten Roman lässt der Autor den Rechtsanwalt Jake Brigance, Protagonist aus „Die Jury“ und „Die Erbin“ erneut auftreten. Und mit Jake Brigance selbst habe ich auch keine Probleme, man hat allerdings das diffuse Gefühl, die Geschichte rund um einen alkoholkranken und gewalttätigen und deshalb Opfer von Selbstjustiz gewordenen Polizisten irgendwie schon mal gelesen zu haben. Vermutlich in „Die Jury“, mit veränderten Vorzeichen. Das mag der Grund sein, weswegen mich Grishams neuester Streich ebenfalls nicht ganz überzeugen konnte.
„Der große Gatsby“ von F. Scott Fitzgerald
„Der große Gatsby“ gehörte bis zu diesem Jahr zu meinen literarischen Versäumnissen. Nach der Lektüre stellte ich allerdings fest, dass ich es auch weiter hätte versäumen können. Der namensgebende Jay Gatsby mag ein überzeugender Protagonist sein, der als Erzähler fungierende Nick Carraway erfüllt seine Rolle ebenfalls gut. Meine Schwierigkeiten mit dem Roman beruhen in erster Linie auf dem fragwürdigen Erzähltempo. Fitzgerald bekommt seine Handlung erst so gar nicht aus dem Quark, nur um die Leserschaft im letzten Drittel dann mit sich überschlagenden Ereignissen und einem Übermaß an Dramatik zu überschütten. Insgesamt eines der Bücher, von denen ich allenfalls bei passender Gelegenheit erwähnen kann, dass ich es gelesen habe …
„Alle, die vor uns da waren“ von Birgit Vanderbeke
Vanderbekes Buch ist Teil drei einer Trilogie, was ich hätte wissen müssen, denn dann hätte ich erahnt, dass eine von den beiden vorangegangenen Teilen losgelöste Lektüre des Buches keinen Sinn ergibt. Die inhaltliche Grundprämisse des Romans – die autobiografische Erzählerin zieht mit ihrem Mann im Urlaub in das Ferienhaus von Heinrich Böll – gefiel mir ganz gut, auch die Umsetzung mag gelungen sein, die Lektüre scheiterte eben daran, dass ich die ersten beiden Teile nicht kenne, inhaltliche Rückgriffe und Bezüge also nicht kennen oder erkennen konnte. Als einzelne Lektüre bleibt das Gefühl, es mit einem eher abgehobenen, übermäßig vergeistigten Roman mit einer autobiografischen Erzählerin, die sich selbst über dem semi-intellektuellen Plebs einordnet, zu tun zu haben.
„Verweigerung“ von Graham Moore
Graham Moore blieb mir in erster Linie wegen seines Romans „Die letzten Tage der Nacht“ aus dem Jahr 2017 im Kopf, den ich immer noch gerne allen empfehle, die es nicht wissen wollen. In seinem neuen Roman geht es um die junge Maja, die als Teil einer Jury vor Gericht vor zehn Jahren als einzige gegen die Veruteilung des Lehrers Bobby Nock für den Mord an seiner Schülerin Jessica Silver gestimmt hat. Nach 10 Jahren wird der Prozess neu aufgerollt, und nachdem einer der Geschworenen ums Leben kommt, gerät Maja selbst als Verdächtige ins Visier der Polizei.
Man muss Gerichtsromane mögen, ansonsten wird man mit „Verweigerung“ wenig Vergnügen haben. Glücklicherweise tue ich das, und auch wenn Moores neues Buch weder mit seinem oben erwähnten und erst recht nicht mit seinem Drehbuch zu „The Imitation Game“ mithalten kann, so handelte es dennoch um eine insgesamt lohnenswerte, unterhaltsame Lektüre. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
„Wer die Nachtigall stört“ von Harper Lee
Bei der Lektüre dieses Buches handelt es sich um etwas, das meine Nachfolgegeneration vollkommen unnötiger- und nutzloserweise so fürchterlich als „re-read“ bezeichnen würde, will sagen: Ich hatte den Roman bereits vor einer halben Ewigkeit schon mal gelesen. Und auch bei meiner Leserschaft setze ich Kenntnisse zum Inhalt jetzt mal voraus und spare mir inhaltlichen Zusammenfassungen. Auch weil der Platz dafür viel sinnvoller dafür genutzt werden kann, zu sagen, dass Harper Lees Buch nach wie vor nichts an Eindrücklichkeit und Aktualität eingebüßt hat und ich die Lektüre wirklich allen guten Gewissens empfehlen kann, an denen der Roman bislang vorbeigegangen ist. Zudem überzeugt das Buch in Person der kleinen Scout durch eine der wohl besten Protagonistinnen der Literaturgeschichte, auch wenn das ein zutiefst subjektiver Eindruck ist.
„Der Fremde“ von Albert Camus
Mit Camus´ Büchern habe ich etwas gefunden, von dem ich nicht gewusst habe, dass ich es gesucht habe. Schon „Die Pest“ fiel bei mir auf fruchtbaren Boden, „Der Fremde“ gefiel mir nicht minder. Zugegeben, auf manche Teile der Leserschaft mögen seine Romane teils absurd, teils befremdlich wirken, aber wenn man sich auf die Bücher einlässt, dann kann man seine Freude damit haben. Im vorliegenden Fall geht es um einen Mann namens Mersault, der dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest mit einer ebenso teilnahms- und antriebslosen Gleichgültigkeit gegenübertritt wie er es beispielsweise auch gegenüber dem Tod seiner eigenen Mutter tut, mit dem der Roman beginnt. Als er infolge eines Streits teilnahmslos einen Mann erschießt, erscheint das daher nur zu folgerichtig. Camus´ Buch wird mir als eines der besseren Bücher der letzten Zeit in der Erinnerung bleiben und verstärkt nur meinen Entschluss, mich auch seinem restlichen Werk zuzuwenden. Zudem enthält es mit der Unterhaltung zwischen Mersault und dem Gefängnisgeistlichen zum Ende des Romans einen der aus meiner Sicht ganz großen Dialoge der Literaturgeschichte.
„Von Mäusen und Menschen“ von John Steinbeck
Steinbecks Roman gehört aus meiner Sicht zu den Romanen, bei denen man bei der Lektüre merkt, dass man es hier mit Weltliteratur zu hat, selbst wenn man den Titel und den Autor des Buches nicht kennen würde. Die Geschichte rund um die beiden Protagonisten Lennie Small und George Milton über das Wesen des Menschen und die Frage, was man zum Erreichen eigener Ziele zu opfern bereit ist, hat mich auf ganzer Linie überzeugt. Sein Roman besticht durch seine szenische Darstellung und sein überzeugendes Figurenensemble. Sollte man mal gelesen haben!
„Große Erwartungen“ von Charles Dickens
Ich bin mir sicher, Charles Dickens hätte es zu verschmerzen gewusst, aber die Tatsache, dass „Große Erwartungen“ keine eigene, große, ausufernde, lobhudelnde Besprechung bei mir bekommt, tut mir selbst ein bisschen weh. Denn bei Dickens Buch handelt es sich um eines meiner bisherigen Jahreshighlights. Mag man den Plot auch überschaubar und in Teilen leicht vorhersehbar finden, so ist es doch in erster Linie der stilistische Aspekt,der Dickens Roman für mich so lesenswert machte. Die feine Ironie mit der der Autor die teils dramtischen Geschehnisse um seinen Protagonisten Pip erzählt, sucht meines Erachtens seinesgleichen. Nicht nur die namensgebenden Erwartungen in diesem Roman sind groß, hinsichtlich seines Umfangs ist es das Buch selbst auch. Mit seinen über 800 Seiten ist „Große Erwartungen“ somit sicherlich kein Buch für zwischendurch, wer aber etwas sucht, in dem man sich mal eine ganze Weile verlieren kann, dürfte hier fündig werden.