„Der Fänger im Roggen“ von J. D. Salinger

Buch: „Der Fänger im Roggen“

Autor: J.D. Salinger

Verlag: Rowohlt

Ausgabe: Taschenbuch, 272 Seiten

Der Autor: J.D. Salinger, geboren am 1. Januar 1919 in New York, erlangte Weltruhm mit seinem 1951 erschienenen Roman »Der Fänger im Roggen«, der zu einem der erfolgreichsten Romane des 20. Jahrhunderts wurde. Daneben hat Salinger nur drei weitere Bücher mit Erzählungen veröffentlicht. Salinger starb am 27. Januar 2010. (Quelle: Rowohlt)

Das Buch: Der sechzehnjährige durch New York irrende Holden Caulfield ist zu einer Kultfigur ganzer Generationen geworden. „Der Fänger im Roggen“ war J. D. Salingers erster Roman, mit dem er weltweit berühmt wurde. (Quelle: Rowohlt)

Fazit: In der Reihe „Klassiker der Weltliteratur, die bislang am Verfasser dieser Zeilen vorbeigegangen sind“ wenden wir uns heute einem handelsüblichen Wochenende von Holden Caulfield zu. Salingers 16 Jahre alter Protagonist hat es geschafft, innerhalb kurzer Zeit von der dritten Schule hintereinander zu fliegen. Wie jeder andere Teenager in dieser Situation, verspürt auch Holden nicht unbedingt den Drang, mit dieser Nachricht im Gepäck freudestrahlend ins Elternhaus zurückzukehren. Stattdessen begleiten wir ihn als Leser während eines, einer Art Flucht gleichenden, langen Wochenendes auf seinem Streifzug durch New York.

Holden fungiert dabei selbst als Erzähler und das Buch ist daher im ihm eigenen, eher rauen und umgangssprachlichen Duktus gehalten, aus dem sehr bald klar wird, was der Protagonist so von sich, anderen und der Welt als solcher hält. Der Junge braucht nur wenige Seiten Text, um auf den Leser den Eindruck eines überheblichen, arroganten, selbstgefälligen, wohlstandsverwöhnten Drecksblags zu machen. Den eines jungen Menschen, der über alle Maßen von sich selbst überzeugt ist und für sich in Anspruch nimmt, die Welt, das Universum und den ganzen Rest als einziger durchschaut zu haben, während alle anderen ja so oberflächlich und „piefig“ seien. „Piefig“, da haben wir es ja. Zusammen mit „und so“ und ähnlichem scheint „piefig“ Holdens Lieblingsformulierung zu sein. Und wenn der Roman insgesamt sprachlich durchaus überzeugen kann, so ist dieser Begriff meines Erachtens Beispiel genug dafür, dass man das Buch vielleicht sprachlich behutsam in aktuelle Zeiten versetzen könnte. Oder sagt hier noch jemand „piefig“?

Zurück zu Holden: Durch seine ganze Art und (Ausdrucks)Weise braucht der Jungspund also etwa 50 Seiten, um im bis dahin durchaus geneigten Leser den intensiven Wunsch auszulösen, ihm nach allen Regeln der Kunst eine zu fenstern. Ungefähr dieser Zeitpunkt war es auch, der im Verfasser die Frage aufkommen ließ, ob es nicht sinnvoller sei, das Buch einfach zur Seite zu legen, als sich über 200 weitere Seiten mit der selbstgefälligen Nabelschau eines eingebildeten Teenagers zu beschäftigen.

Dann jedoch … bekommt Holden plötzlich Konturen. Man erfährt mehr aus seiner persönlichen, aus seiner Familiengeschichte. Thematisiert wird hier beispielsweise das Verhältnis zu seiner jüngeren Schwester Phoebe oder auch der frühe Tod seines Bruders Allie, den Holden wohl nie so wirklich verarbeitet hat. Dass das vielleicht aber hätte notwendig sein können, wird schon daran deutlich, dass Holden beschreibt, wie er nach Erhalt der Todesnachricht sämtliche Scheiben in der Garage mittels seiner Faust demoliert hat und dann zum Familienauto übergegangen wäre, wenn das besagte Faust noch mitgemacht hätte. Es entsteht der Eindruck, seine Eltern hätten sich um Scheiben und Auto mehr Gedanken gemacht, als über ihren Sohn.

Eine weitere erhellende Szene ist die, in der Holden versucht, für die Nacht bei einem der wenigen Lehrer unterzukommen, zu denen er ein gutes Verhältnis hat, dort dann nachts auf der Couch wach wird und bemerkt, dass besagter Lehrer vor dieser Couch sitzt und offensichtlich gerade versucht, Holden über den Kopf zu streichen. Entweder sehr fürsorglich. Oder aber – sehr viel wahrscheinlicher – sehr, sehr gruselig! Im folgenden, überstürzten Aufbruch Holdens wird in Ansätzen – viele Informationen über den Protagonisten werden von Salinger nur nebenbei angedeutet, nicht aber ausufernd explizit erklärt – deutlich, dass Holden bereits ähnliche Erfahrungen gemacht haben muss. Und das mehr als einmal.

Auf diese Weise wird aus dem verzogenen Schnösel dann Stück für Stück ein Mensch.

Und sowohl die Schilderung der Entwicklung von Salingers Protagonisten – denn selbstverständlich findet diese statt, nur soll das Wie an dieser Stelle unerwähnt bleiben – als auch dieses stückweise Zusammenfügen seines Protagonisten, diese scheibchenweise Erklärung, warum Holden so tickt, wie er tickt, all das ist Salinger schon ziemlich gut gelungen. Und hat aus meiner Sicht einen sehr aktuellen Bezug, da die Menschen heute, zumindest in meiner Wahrnehmung, zwar schnell dabei sind, „Hängt ihn höher!“ zu brüllen, sich aber nur sehr wenig darum scheren, warum ein Mensch so ist wie er eben ist. Natürlich, wenn in der Zeitung steht, dass nachts um drei ein 15-Jähriger vor einer Disko verdroschen wurde, dann fragen diese Menschen ja schon reflexartig „Was macht der um die Zeit da?“. Nur hat eben die Frage nicht den Hintergrund, verstehen zu wollen, welcher familiäre, welcher Lebenshintergrund besagten 15-Jährigen dazu gebracht haben mag, sich um diese Zeit dort aufzuhalten, sondern den, zu sagen: „Tja, selbst schuld!“ Ach, sei´s drum!

Zum Endes des Romans stellt man als Leser jedenfalls fest, es hier mit einem vergleichsweise gut gealterten Klassiker der Literaturgeschichte zu tun zu haben, der allenfalls sprachlich etwas entgratet werden könnte und dem das Kunststück gelingt, seine irgendwo zischen „Peter Pan“ und „Systemsprenger“ verlorene Hauptfigur von einem reinen Scheusal zu einem Jungen, an dessen Schicksal man wirklich anteil hat, werden zu lassen.

Demnächst in diesem Blog:„Der unsichtbare Roman“ von Christoph Poschenrieder

11 Antworten auf „„Der Fänger im Roggen“ von J. D. Salinger

  1. Originelle Buchbesprechung … voller Lust gelesen. Schon immer und für immer ein Lieblingsbuch von mir. Sollte man unbedingt auch mindestens einmal im Original lesen.
    Herzlichen Dank für deine Präsentation!
    Save your day 😊

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    1. Firma dankt! 😉 Ja, und vor allem ist das Buch ein Beispiel dafür, dass der erste Eindruck täuschen kann und man in literarischer Hinsicht nie zu früh aufgeben sollte. Meine aktuelle Lektüre entwickelt sich gerade ähnlich. Ob ich mir das allerdings im Original zutrauen würde, weiß ich nicht. Dafür könnte es vielleicht nicht reichen. Ich erinnere mich an eine zauberhafte Person, die mal versucht hat „A Song of Ice and Fire“ im Original zu lesen und darüber sagte: „Ich hätte nie gedacht, wie viele unterschiedliche Begriffe es im Englischen für das Wort „Pferd“ gibt – irgendwann bin ich dazu übergegangen, jedes mir unbekannte Wort einfach mit „Pferd“ zu übersetzen, ob es in den Kontext passte, oder nicht.“ 🤣

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