„Von Männern, die keine Frauen haben“ von Haruki Murakami – Zwischen selt- und einfühlsam

Buch: „Von Männern, die keine Frauen haben“ (2016)

Autor: Haruki Murakami

Verlag: btb

Ausgabe: Taschenbuch, 254 Seiten

Der Autor: Haruki Murakami ist ein 1949 in Kyoto geborener, japanischer Autor von Romanen und Erzählungen. Er wuchs in der Nähe der Stadt Kobe auf und studierte ab 1969 an der Waseda-Universität in Tokio Theaterwissenschaften.

Angeblich begann Murakami 1978 mit dem Schreiben, als Inspiration diente ihm dabei ein besonders guter Hit in einem Baseballspiel. Der genaue Kausalzusammenhang ist mir nicht ganz klar, aber Menschen haben schon wegen weniger mit dem Schreiben angefangen.

Dennoch scheint Murakami von seinen ersten literarischen Gehversuchen im Nachhinein nicht ganz überzeugt gewesen zu sein: Seine ersten beiden Romane „Wenn der Wind singt“ und „Pinball“ erschienen hierzulande erst 2015, weil der Autor sich jahrzehntelang gegen Übersetzungen gewehrt hat.

Im späteren Verlauf seiner Karriere haben seine Bücher aber offensichtlich an Qualität gewonnen und Romane wie „Mister Aufziehvogel“, „Kafka am Strand“ oder „1Q84“ erfreuen sich einer großen Fangemeinde.

Insgesamt hat Murakami im Laufe seines literarischen Schaffens 13 Romane und neun Erzählungen geschrieben.

In schöner Regelmäßigkeit wird der Japaner seit einigen Jahren beharrlich als Literatur-Nobelpreisträger gehandelt. Nun ja, dieses Jahr hat sich das Komitee ja lieber dazu entschlossen, einen Musiker mit diesem Preis zu beehren… Vielleicht wird es im nächsten Jahr Johann Lafer für seine „kompakte Koch-Prosa“, 2018 dann Jan Hofer wegen seiner „naturalistischen Nachrichten-Lyrik“ und 2019 Dieter Bohlen für „Geronimo´s Cadillac“, man weiß es nicht. Ihr merkt schon, wie zufrieden ich mit der diesjährigen Entscheidung bin. Das soll uns aber jetzt nicht weiter beschäftigen, widmen wir uns den „Männern, die keine Frauen haben“.

Das Buch: „Von Männern, die keine Frauen haben“ ist eine Sammlung von sieben, auch als „long short stories“ bezeichneten, Erzählungen. Diese Geschichten beschäftigen sich alle mit Männern und ihrem Zusammenleben mit oder ihrem Alleinsein ohne Frauen.

„Drive my car“ z.B. ist die Geschichte eines Schauspielers, der aufgrund gesundheitlicher Probleme vorübergehend auf eine Chauffeurin angewiesen ist, der er sein Leid hinsichtlich seiner verstorbenen Frau klagt. Diese hat ihn mehrfach mit anderen Männern betrogen. Er jedoch blieb, in völligem Bewusstsein ihres Tuns, bei ihr und beklagt nun, nie den Grund für ihre Seitensprünge erfahren zu haben.

In „Das eigenständige Organ“ wird die unerwiderte Liebe eines Mannes zu einer verheirateten Frau und ihre Folgen beschrieben.

Und in „Samsa in Love“ wird ein Ungeziefer morgens im Körper von Gregor Samsa wach und hadert mit seinem Schicksal, bis zu einer besonderen Begegnung.

Die letzte Erzählung „Von Männern, die keine Frauen haben“ befasst sich genau mit dem, was der Titel erwarten lässt.

Fazit: Als ich in der Buchhandlung zu „Von Männern, die keine Frauen haben“ griff, hatte das drei Gründe. Erstens gefiel mir der Titel sofort, zweitens wollte ich nach der Lektüre von „1Q84“ vor einigen Jahren immer mal wieder etwas von Murakami lesen. Regelmäßig werden mir auch Bücher wie „Mister Aufziehvogel“ oder „Kafka am Strand“ empfohlen. Angesichts deren Umfangs erschien es mir allerdings sinnvoll, mit einem kürzeren Roman wieder in Murakamis Werk einzusteigen. Denn drittens: Ich dachte, bei „Von Männern, die keine Frauen haben“ handele es sich um einen Roman. ;-)

Meine anfängliche Enttäuschung darüber, einen Band mit Erzählungen in der Hand zu haben – das ist nämlich im Normalfall nicht so ganz meins – wich aber recht schnell einer tiefen Zufriedenheit.

Murakami widmet sich in seinen Erzählungen Protagonisten, die auf die eine oder andere Art mit ihrem Schicksal hadern, weil ihnen das Fehlen der richtigen Frau zu schaffen macht.

So ist der Protagonist der Geschichte „Das eigenständige Organ“, Dr. Tokai, unglücklich verliebt. Er ahnt, dass sich das nicht gut auf ihn auswirken könnte, daher fragt er einen Freund: „Herr Tanimura, kann man beschließen, jemanden nicht zu sehr zu lieben?“(S.99). „Denn, ich weiß nicht, warum, sie ist für mich ein besonderes Wesen.“ (S.102) Und schließlich: „Aber seit ich mich in sie verliebt habe, haben alle anderen Frauen für mich ihren Zauber verloren.“ (S.109) Keine wirklich gute Ausgangsposition.

Auch der Protoganist in „Scheherazade“ hadert mich sich und seinem Leben. „Es ist ja eigentlich nicht so, dass ich tatsächlich allein auf einer einsamen Insel wäre. Ich bin selbst eine einsame Insel.“ (S. 133)

Diese Art des Leids zeichnet die Hauptfiguren in Murakamis Erzählungen aus. Der Autor hat keine starken, gefestigten Charaktere geschaffen, sondern einsame, unzufriedene, teils gebrochene Personen. Und er beschreibt deren Situation so anschaulich, dass die Personen absolut nachvollziehbar bleiben. Kurz, die Charaktere seiner Erzählungen gefallen mir, trotz der erzwungenen Kürze ihrer Schilderungen, sehr gut.

Auch stilistisch trifft Murakami den richtigen Ton. Nämlich einen eher unaufgeregten, leisen, manchmal melancholischen. Ich habe, wie eingangs erwähnt, wenig Erfahrung mit Murakamis Werk, weiß aber, dass es früher öfter Diskussionen über seinen Stil gab, weil einige seiner Bücher erst ins Englische und von dort ins Deutsche übersetzt wurden. Hier ist das anders. Die Übersetzerin Ursula Gräfe, der an dieser Stelle ein Lob gebührt, hat den Text aus dem japanischen Original übersetzt. Möglicherweise kommt er deshalb bei mir gut an, ich habe aber, wie gesagt, keine Vergleichsmöglichkeiten.

Inhaltlich lassen Murakamis Erzählungen viel Spielraum, um sich seine eigenen Gedanken darüber zu machen. Das fällt z.B. bei „Samsa in Love“ noch relativ leicht, selbst wenn man Kafkas „Verwandlung“ letztmals vor etwa 20 Jahren gelesen hat. Dagegen bin ich mir sicher, die Erzählung „Kinos Bar“ in naher Zukunft nicht mehr zu begreifen. Wer für sich in Anspruch nimmt, „Kinos Bar“ verstanden zu haben, möge mich bitte erleuchten!

Meine persönliche Lieblingserzählung ist die titelgebende. Sie enthält auch meine Lieblingstextstellen: „Nur Männer, die keine Frauen haben, können verstehen, wie herzzerreißend, wie furchtbar traurig es ist, Männer zu sein, die keine Frauen haben.“ (S.246) und „Für Männer, die keine Frauen haben, ist die Welt ein weites Feld mit scharfkantigem Geröll, genau wie die Rückseite des Mondes.“ (S.250)

Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen, außer vielleicht: So ist es, Herr Murakami!

Klare Leseempfehlung!

Wertung:

Handlung: 8,5 von 10 Punkten

Charaktere: 8,5 von 10 Punkten

Stil: 9 von 10 Punkten

Gesamtwertung: 8,67 von 10 Punkten

Demnächst in diesem Blog: „Das Paket“ von Sebastian Fitzek

11 Antworten auf „„Von Männern, die keine Frauen haben“ von Haruki Murakami – Zwischen selt- und einfühlsam

    1. Hallöchen, lieber Lu!

      Vielen Dank! Fürs lesen und auch sonst so! :-)

      Tja, wie war 1Q84? Also, ich habe in einem Gespräch über Murakami vorhin sinngemäß gesagt: „Ich glaube nicht, dass ich es vollständig begriffen habe, aber es hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen, es hat irgendwas mit mir gemacht, auch wenn ich nicht weiß, was!“ Und das ist ja nicht das Schlechteste, was man über ein Buch sagen kann. ;-)

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  1. Nichts geht über den Schafsmann! Murakami und die Liebe: Immer ein phantastisches Leseerlebnis. Aber: ich hab, jetzt auch wieder nach der schönen Rezension, den Verdacht, er erzählt da immer die selbe Geschichte. Nobelpreis: Komisch und wenig verständlich. Nur: ein Großteil des kulturellen Erbes der USA ist tatsächlich und völlig unironisch archiviert in Dreiminutensongs. Man lese Früchte des Zorns und Youtube sich anschließend über Seeger und Guthrie&Co durch die Dustbowl und versuche anschließend fair zu Urteilen, wo die Geschichte lebendiger ist…

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    1. Vielen Dank für die Verwendung von „schöne Rezension“. Ob Murakami immer das selbe schreibt, kann ich leider nicht beurteilen. Aber wie man an Dan Brown sehen kann, muss das dem Erfolg keinen Abbruch tun. ;-)

      Ich werde mich durch das Angesprochene mal durchyoutuben, und „Früchte des Zorns“ wollte ich immer schon mal lesen. Im Übrigen halte ich es, ebenfalls ganz unironisch, irgendwie für bedenklich, wenn man das kulturelle Erbe eines Staates größtenteils in Dreiminutensongs wiederfindet.

      Mit meiner Kritik an der Entscheidung möchte ich auch in keiner Weise das Werk von Bob Dylan herabwürdigen. Meine Kritik bezieht sich nur auf eine einzige Tatsache:

      Ein Musiker ist ein Musiker ist ein Musiker! Und für die gibts Grammy, ECHO, Brit Award und was nicht sonst noch alles.

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      1. Habe da keine wirklichen Argumente, nur Verdachtsmomente. Erstens, aus der Arbeit in transatlantischen Unternehmen: Amerikaner sehen oft aus wie Eurpäer. Sie sind aber innerlich komplett anders, so anders wie sich äußerlich Eurpäer von Afrikanern von Asiaten unterscheiden. Zweitens kommt diese Andersartigkeit zum Großteil aus Europa, es ist die Klugheit und Agilität, die man rausgeworfen und gehen lassen hat. Es sind die Barden, Sänger und Erzähler in Personalunion, die vertrieben wurden von der fürstlichen Musikkammer. Oder so: Homer war Sänger. Wer ihn zum Literaten schrumpft, der träumt auch von einer kalkweißen Antike, deren Tempel in Wahrheit schreiend bunt wie ein orthodoxer Devotionalienladen waren. Ich will nichts überhöhen. Wir sind hier nunmal Gelehrte in kleiner Elfenbeinturmkammer. Wir haben Überblick über unsere kleine Welt, aber wir müssen regelmäßig ausmisten, damit wir nicht ersticken in altem, toten Papier.

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  2. Was besonders interessant an Deiner Rezension fuer mich ist, ist der Zufall, dass ich gerade einen Artikel ueber den modernen japanischen Mann gelesen habe, was genau dem Bild entspricht, was du beschreibst. Und bezueglich Nobelpreis auch ich fand die Entscheidung enttaeuschend!Liebe Grüsse, Ann

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    1. Na, dann passt das doch prima! ;-)

      Und schön, dass bezüglich des Nobelpreises jemand meiner Meinung ist. Ich habe diesbezüglich schon Streitgespräche geführt, die irgendwann auf dem Niveau von „Du hast doch überhaupt keine Ahnung“ ausgetragen wurden. ;-)

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