Buch: „Hundswut“
Autor: Daniel Alvaranga
Verlag: HarperCollins
Ausgabe: Taschenbuch, 368 Seiten
Der Autor: Daniel Alvarenga wurde 1986 in Berlin geboren, wuchs aber in Bayern auf, wo er auch heute noch mit seiner Familie lebt. Seine Leidenschaft fürs Schreiben hat er schon zu Schulzeiten entdeckt, sich bislang aber vor allem auf das Verfassen und Verfilmen von Drehbüchern konzentriert. (Quelle: HarperCollins)
Das Buch: In der bayerischen Provinz will man 1932 noch nichts von dem wissen, was in München vor sich geht. Hier nehmen die Bürger die Dinge noch selbst in die Hand. Als bestialische Morde das Dorf erschüttern, gilt es für den Bürgermeister und seinen Gemeinderat, die Gräueltaten schnellstmöglich aufzuklären.
Während man zunächst vermutet, dass ein Wolf im nahen Wald sein Unwesen treibt, verdichten sich bald die Gerüchte, dass es sich um einen menschlichen Täter handeln muss. Dem Hauptverdächtigen, dem Einsiedler Joseph Köhler, soll kurzerhand der Prozess gemacht werden, doch dieser beteuert vehement seine Unschuld.
Spätestens als Dorfpfarrer Hias den mittelalterlichen Hexenhammer zurate zieht, geraten die Ereignisse außer Kontrolle, und nur die Ehefrauen der Dorfoberhäupter können noch versuchen, dem grausigen Wahnsinn ein Ende zu bereiten. (Quelle: HarperCollins)
Fazit: Der Journalist und Historiker Rutger Bregman beschrieb in seinem Buch „Im Grunde gut“ vor einigen Jahren die sogenannte Firnistheorie, nach der – der Begriff impliziert es – die Zivilisation, das zivilisierte Handeln der Menschen, im Prinzip nur eine dünne Oberfläche, ein Firnis eben, ist, der in Krisensituationen sofort abblättert, und stattdessen ein archaisches und egozentrisches Verhalten ohne Rücksicht auf Verluste an den Tag gelegt wird. Zwar bezeichnet Bregman besagte Theorie in seinem Buch als unzutreffend, nach der Lektüre von „Hundswut“ kann man daran aber leise Zweifel hegen.
In Daniel Alvarengas Roman begegnen wir gleich zu Beginn Joseph Köhler, der nach einigen Schicksalsschlägen ein eher einsiedlerisches Leben führt und im Grunde nur seine Tochter an seiner Seite hat. Das kleine, bayerische Dorf, in dem Joseph lebt, befindet sich jedoch bald in heller Aufregung und gänzlich unfreiwillig ist Joseph ganz plötzlich mittendrin statt nur dabei. Denn im Wald werden die Leichen mehrerer Jugendlicher gefunden, ziemlich übel zugerichtet, und in der Nähe wird eben auch jener Joseph Köhler aufgegriffen, der nicht erklären kann, was er dort tut oder wie er dorthin gekommen ist. Da liegt die Vermutung nahe, dass er auch etwas mit den Morden an den Jugendlichen zu tun haben muss.
Nun könnte seitens des Bürgermeisters bzw. des Gemeinderates die Obrigkeit informiert, der Sachverhalt also nach München gemeldet werden – wenn man sich an die diesbezüglichen Vorschriften hielte. Derlei Autoritätsverlust und schlechte Publicity behagen dem Bürgermeister jedoch so überhaupt nicht, weswegen er beschließt, die Angelegenheit selbst in die Hand zu nehmen: Joseph Köhler wird festgenommen und fortwährend verhört, weist jedoch sämtliche Schuld von sich. Im einzigen Bestreben des Gemeinderates, das Verfahren schnellstmöglich zu einem Ende zu bringen, setzen die Entscheidungsträger des Dorfes eine Spirale von Wahnsinn und Gewalt in Gang, die ihren Höhepunkt erreicht zu haben scheint, als der Dorfpfarrer plötzlich mit Heinrich Kramers spätmittelalterlichem Bestseller, dem „Hexenhammer“, auf den Plan tritt.
Der Einstieg in Alvarengas Roman geriet bei mir ziemlich frühzeitig ins Stocken, als mir bewusst wurde, dass die Dialoge vollständig in bayrischer Mundart gehalten sind. Nun scheinen die Bayern, was sie meinetwegen gerne tun können, auf wirklich so ziemlich jeden Konsonanten zu verzichten, den sie nicht unbedingt brauchen – für jemanden, der eher so etwa vier Breitengrade weiter nördlich lebt, war trotzdem eine gewisse Einarbeitungszeit notwendig, um die Gespräche nicht mehr mühsam zu dechiffrieren.
Sobald der Dialekt aber irgendwann kein Problem mehr darstellt, bemerkt man, wie sehr die Verwendung desselben eigentlich zur Atmosphäre des Buches beiträgt. Und das ist nicht der einzige Kunstgriff, dessen sich Daniel Alvaranga bedient. Ich könnte nämlich jetzt beispielsweise viele Worte über die Figuren, die allesamt überzeugend gestaltet sind oder den Stil, der gefällig daherkommt, verlieren – was dieses Buch aber eigentlich ausmacht, was es so lesenswert macht, ist die Atmosphäre die es verströmt und die Wirkung, die es hat.
Nun muss ich leider im leicht Diffusen bleiben, wenn ich die Frage klären will, wie der Autor diese Atmosphäre und Wirkung schafft, um nicht ungewollt zu viel zu verraten. Nun wäre da zum Einen die weiter oben erwähnte Spirale aus Wahnsinn und Gewalt, die beliebig weiterzudrehen dem Autor offensichtlich Freude bereitet hat, während die Leserschaft gerade ungläubig auf die Seiten starrt, und sich denkt: „Das kann er doch jetzt nicht machen!“ – so als hätte George R. R. Martin gerade mal wieder beiläufig eine Hauptfigur ins Nirvana geschrieben.
Daraus resultiert eben auch, dass sich Alvarenga traut, seinen Plot nicht dadurch zu banalisieren, dass er ihn im Stile eines beliebigen Ken-Follett-Romans ins Wohlfühlige abdriften lässt, bis hin zu einem Ende an dem sich alle lieb haben, und gemeinsam frohlocken. Nein, stattdessen traut sich der Autor, schlimme Dinge passieren zu lassen. Welche das sind, und in welchem Umfang sie stattfinden, müsst ihr allerdings selber lesen.
Der Autor traut sich zudem, nicht alles in seinem Buch bis ins Detail auszuerzählen, sondern gezielt Handlungselemente zur Interpretation und Spekulation freizugeben.
Und durch diese insgesamt mutige Plot-Entwicklung entfaltet das Buch dann eben seine zuweilen drastische Wirkung. Während ich mehr oder minder fassungslos beobachtet habe, wie die Granden des Dorfes sich immer weiter in eine Situation hineinmanövrieren, aus der heraus zu gelangen immer schwieriger wird, und und wie der Mensch, frei nach Plautus, dem Menschen ein Wolf ist, verbreiten sich bei der Lektüre spannende „Die Welle“-Schwingungen. So dass man nach 368 Seiten dann überzeugt ist, gerade ein sehr gutes Buch gelesen zu haben, aber auch irgendwie froh, dass man durch ist und wieder in der Realität angekommen, in der solche Dinge wie in „Hundwut“ natürlich nicht passieren. Ganz bestimmt nicht …
Ich danke den Damen und Herren bei Harper Collins für die freundliche Übersendung des Rezensionsexemplars. Die Tatsache, dass es sich um ein Rezensionsexemplar handelt, beeinflusst meine Meinung selbstredend nicht.
Demnächst in diesem Blog: Entweder „Das dritte Königreich“ von Karl Ove Knausgård oder „Tod im Chiemgau“ von Mathias Lehmann.