„Königsmörder“ von Robert Harris

Buch: „Königsmörder“

Autor: Robert Harris

Verlag: Heyne

Ausgabe: Hardcover, 544 Seiten

Der Autor: Robert Harris wurde 1957 in Nottingham geboren und studierte in Cambridge. Seine Romane »Vaterland«, »Enigma«, »Aurora«, »Pompeji«, »Imperium«, »Ghost«, »Titan«, »Angst«, »Intrige«, »Dictator«, »Konklave«, »München«, »Der zweite Schlaf« und zuletzt »Vergeltung« wurden allesamt internationale Bestseller. Seine Zusammenarbeit mit Roman Polański bei der Verfilmung von »Ghost« (»Der Ghostwriter«) brachte ihm den französischen »César« und den »Europäischen Filmpreis« für das beste Drehbuch ein. Die Verfilmung von »Intrige« – wiederum unter der Regie Polańskis – erhielt auf den Filmfestspielen in Venedig 2019 den großen Preis der Jury, den Silbernen Löwen. Robert Harris lebt mit seiner Familie in Berkshire. (Quelle: Random House)

Das Buch: England, 1660. König Karl II. erlässt mit einer Akte der Verzeihung ein Generalpardon. Ausgenommen sind die Königsmörder, jene Hochverräter, die das Urteil zur Enthauptung seines Vaters Karl I. unterzeichnet haben. Dazu gehören auch die Oberste Whalley und Goffe, die im Bürgerkrieg auf der Seite Oliver Cromwells kämpften. Sie können rechtzeitig in die neuen Kolonien in Amerika fliehen. Die Flüchtlinge treffen dort auf eine Gesellschaft, die durch einen pietistischen Fanatismus geprägt ist und sich gerade vom Mutterland jenseits des Atlantiks abspaltet. Hier könnten sich die beiden unter Gleichgesinnten in Sicherheit wiegen, wären ihnen nicht ebenso fanatische Häscher auf den Fersen. (Quelle: Random House)

Fazit: Robert Harris gilt für mich als Meister der sogenannten „Alternative History“. Allerdings können seine Bücher für gewöhnlich auch dann überzeugen, wenn sie sich an historische Fakten halten. So erkläre ich heute noch jedem, der nicht danach gefragt hat, für wie gelungen ich in dem Zusammenhang Harris‘ Roman „Intrige“ halte. Und auch in seinem neuen Buch „Königsmörder“ spielt der britische Autor seine altbekannten Stärken wieder aus.

Die Handlung des Romans setzt in England im Jahr 1660 ein. Die für die Geschichte relevanten historischen Ereignisse liegen jedoch noch etwas länger zurück: Karl I. aus dem Hause Stuart regierte England von 1625 bis 1649. Seine Herrschaft war geprägt von Streitigkeiten mit dem Parlament, die sich daraus ergaben, dass das Parlament gerne in irgendeiner Form mitregiert hätte, da es ansonsten nun ja auch bestenfalls überflüssig gewesen wäre, es von Karl I. aber im Wesentlichen nur dann zusammengerufen wurde, wenn dieser mal wieder Geld und für dieses Geld die Zustimmung des Parlaments brauchte. Abseits davon schien Karl I. eine eher absolutistische Form der Monarchie, basierend auf „Gottesgnadentum“,  zu bevorzugen, für die so etwas wie Parlamente allenfalls lästig ist.

Die Streitigkeiten und Spannungen führten letztlich zum Bürgerkrieg, in dem die New Model Army – nicht die mit „51st State“ -, deren Oberbefehlshaber Oliver Cromwell später ab 1650 war, den Sieg davontrug. Infolgedessen wurde Karl I. 1649 hingerichtet. Das Parlament erklärte England zur Republik, regiert unter Oliver Cromwell. So richtig gut funktionierte aber auch das nicht. Nach mehreren Parlamentsauflösungen – unter anderem gewaltsam durch Cromwell selbst – und erfolglosen Versuchen, eine Verfassung für die neue Republik auszuarbeiten, regierte Cromwell das Land ab 1653 als sogenannter Lordprotektor. Heute würde man seine Herrschaft wohl als  Militärdiktatur bezeichnen.

Die Zeit der Republik war jedoch eine vergleichsweise kurze. Nach Cromwells Tod im September 1658 übernahm sein Sohn Richard das Amt, erwies sich nur als mäßig talentiert, gab dieses Amt schon im April 1659 auf und ging ins Exil. Das folgende Machtvakuum wurde dadurch aufgelöst, dass das Parlament von einst wieder zusammentrat und beschloss, den ebenfalls im Exil lebenden Sohn von Karl I. als Karl II. auf den Thron zu heben und zur Staatsform der Monarchie zurückzukehren.

An diesem Punkt setzt nun die Handlung des Romans ein: Zur Wiederherstellung der Monarchie gehörte auch, die Männer, die für die Verurteilung und Hinrichtung Karls I. verantwortlich waren, zur Verantwortung zu ziehen. Edward „Ned“ Whalley, Cousin von Oliver Cromwell, und sein Schwiegersohn William Goffe gehörten zu den 59 Unterzeichnern des Todesurteils gegen den ehemaligen Monarchen, müssen um ihr Leben fürchten und verlassen deshalb ihre Familien und setzen sich nach Neuengland ab. In ihrer englischen Heimat wiederum ist eine Kommission unter Richard Naylor damit beauftragt, alle noch lebenden Königsmörder ausfindig zu machen, und ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Oder was man im England des 17. Jahrhunderts eben so unter gerechter Strafe versteht. Meistens eher unappetitliche Dinge.

Es folgt eine Art Katz-und-Maus-Spiel zwischen den beiden ehemaligen Revolutionären und dem von persönlichen Rachegelüsten getriebenen Richard Naylor, das Whalley und Goffe zwingt, sich in immer weiter entfernte Siedlungen in den englischen Kolonien abzusetzen, jahrelang in irgendwelchen Höhlen oder Kellerräumen auszuharren und möglichst niemandem ihre wahre Identität preiszugeben.

Nun mag das bis hierhin, insbesondere was meinen geschichtlichen Exkurs zu Beginn angeht, etwas trocken klingen, ist es aber nicht. Viel mehr halte ich diesen Exkurs für ziemlich hilfreich. Zwar ist es ohne Probleme möglich, der Handlung auch ohne Kenntnis dieser geschichtlichen Begebenheiten zu folgen, es macht aber vieles einfacher, wenn man die Zusammenhänge kennt. Harris selbst schildert diese Zusammenhänge leider erst vergleichsweise spät in seinem Buch. Das ergibt vor dem Hintergrund der Handlung Sinn, ist für die, die nicht sonderlich firm in englischer Geschichte sind, aber trotzdem schade.

Gleichzeitig ist das aber auch fast das Einzige, was sich an Harris Roman bemängeln lässt.

Grundlage dafür, dass „Königsmörder“ mich so überzeugt hat, ist vermutlich in erster Linie Harris‘ ausgesprochen atmosphärische Erzählweise. Egal, ob man sich an Bord eines Schiffes auf der Überfahrt befindet, im gegen Mitte des 17. Jahrhunderts von so manchen Schicksalsschlägen geplagten London oder in den unendlichen Weiten der sogenannten Neuen Welt – man ist immer irgendwie mittendrin, statt nur dabei. Ohne das jetzt genauer beschreiben zu können.

Zu diesem Eindruck trägt sicherlich auch seine überzeugende Figurenzeichnung bei. Man nimmt Harris seine Interpretationen der historischen Figuren Whalley und Goffe einfach ab. Und gleiches gilt für die Entwicklung der beiden Charaktere, die oft genug für Spannungen sorgt, welche unter anderem darin begründet liegt, dass Goffe, der Jüngere, ein fundamentalreligiöser, fast schon fanatischer Puritaner ist, der sein komplettes Leben auf Gott ausrichtet, und hoffnungsfroh auf das Jahr 1666 wartet, für das er die Ankunft des Messias prophezeit – stattdessen kam in London erst die Pest und dann der Große Brand -, während sein Schwiegervater selbstverständlich als Mensch seiner Zeit ebenfalls religiös ist, mit seiner größeren Lebenserfahrung aber mehr Dinge hinterfragt und sich Gedanken darüber macht, ob man seinerzeit mit Bürgerkrieg und Monarchenhinrichtung nicht vielleicht doch einen Fehler gemacht hat.

Den beiden steht mit Richard Naylor – meines Wissens die einzige fiktive Figur des Romans – ein Antagonist gegenüber, der zwar auch überzeugen kann, dessen Hintergrundgeschichte und Handlungsmotivation aber dann doch ein wenig zu klischeehaft geraten ist. Er erinnert insgesamt unangenehm an eine weniger gut gelungene Version von Victor Hugos Javert. Das tut dem guten Gesamteindruck des Figurenensembles aber keinen Abbruch.

Und im Grunde erstreckt sich der positive Gesamteindruck auch auf die Geschichte selbst. Die jahrelange Flucht der beiden Revolutionäre, die Entfernung und Entfremdung von ihrer Familie, die Einsamkeit, das Gefühl des Eingesperrtseins – alles das schildert Harris spannend, atmosphärisch und auch in emotionaler Hinsicht sehr überzeugend. Wenn man aber zum Einstieg des Romans kritisiert, dass der Autor seiner Leserschaft nennenswerte Informationen vorenthält bzw. diese erst spät preisgibt, muss man auch die Entwicklung der Geschichte gegen Ende des Romans kritisieren. Diese verliert im Laufe der Zeit nämlich deutlich an Dynamik, was sich gezwungenermaßen aus den historischen Tatsachen ergibt. Denn irgendwann ließ dann auch in der englischen Heimat das Interesse daran nach, nach Jahren noch irgendwie zwanghaft ein paar ehemaliger Verräter habhaft werden zu wollen. Dadurch funktioniert das Katz-und-Maus-Spiel, das den Roman bis zu diesem Punkt über weite Strecken getragen hat, nur noch bedingt und Harris wendet sich demnach folgerichtig zeitweise von seinen Protagonisten ab und der Schilderung geschichtlicher Ereignisse wie der Pestepidemie in London 1665/66 bzw. dem Großen Brand von London 166 zu.

Der Roman zerfasert ob der gezwungenermaßen geänderten Ausrichtung ein wenig und die Handlung plätschert eher so aus.

Insgesamt bleibt jedoch ein mehr als überzeugendes Leseerlebnis für alle geschichtsinteressierten Menschen oder die, die es werden wollen. Wer mal wieder Lust hat, sich über mehr als 500 Seiten in einem Abenteuerroman zu verlieren, dem sei „Königsmörder“ wärmstens ans Herz gelegt.

Ich danke dem Bloggerportal bzw. dem Heyne Verlag für die freundliche Übersendung des kostenlosen Rezensionsexemplars. Die Tatsache, dass es sich um ein Rezensionsexemplar handelt, beeinflusst meine Meinung selbstredend nicht.

Demnächst in diesem Blog: „The Shards“ von Bret Easton Ellis. Dauert aber noch …

3 Antworten auf „„Königsmörder“ von Robert Harris

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..