Neulich in der Hölle … #9

Wir befinden uns in der Hölle, dem Stammsitz der Firma Fate LLP, wo wir deren Eigentümer und Geschäftsführer S.Atan dabei über die Schultern schauen können, wir er mit konzentriertem Gesichtsausdruck kleine Kunststoffspielsteine über eine Weltkarte schiebt, als sein Assistent, Prokurist und Untergebener Lübke das Chefbüro betritt.

„Guten Morgen, Chef – Sie, äh, Sie spielen „Risiko“? Mit sich selbst?“

„Morgen, Lübke. Mitnichten, Lübke, mitnichten.“

„Aha. Sondern?“

„Ich bereite mich vor!“

„Worauf?“

„Die Weltherrschaft an mich zu reißen! Muhahahaha!“

„Och, neee, Chef – nicht schon wieder!“

„Nein, nein, nein, Lübke, das wird nicht wieder so ´ne „Pinky und der Brain“-Nummer, nein. Ich habe einen Plan. Und vor der Weltherrschaft …  fange ich vielleicht der Einfachheit halber mal damit an, die Herrschaft in Deutschland zu übernehmen, denn sind wir mal ehrlich, Lübke: Haben Sie nicht den Eindruck, dass die Menschen dort Hilfe brauchen?“

„Inwiefern?“

„Na, zum einen überkommt einen das Gefühl, dass dort Dinge gerne mal ausgesessen werden.“

„Zum Beispiel?“

„Oh, da kann ich Ihnen mehrere nennen. Fangen wir einfach mal mit der Frage an, warum man nach zweieinhalb Jahren Pandemie immer noch keine flächendeckende Luftfilterversorgung an deutschen Schulen hat.“

„Und warum?“

„Kurz gesagt: Bürokratische Hürden, uneinige Einschätzungen von Experten, ob die Dinger wirklich hilfreich sind oder nicht und so weiter – aber mit Sicherheit auch der Gedanke: „Wenn wir es klug anstellen, ziehen wir die Verwaltungsakte so in die Länge, dass die Pandemie ganz sicher irgendwann vorbei ist und wir die Dinger einfach nicht mehr brauchen.“

„Aber ist das nicht eine Unterstellung?“

„Aber natürlich – ich extrapoliere hier von einem Einzelfall nach ähnlichem Muster.“

„Welchem?“

„Na, in einem kleinen Mittelzentrum in der Nähe von diesem Reisswolfblog-Spinner, der bei uns auf der Lohnliste steht, gab es kürzlich eine Diskussion darüber, dass man nur noch bis 2024 Zeit hat, um die dortigen Grundschulen inklusionstauglich zu machen.“

„Wie jetzt? Ich dachte, Deutschland hätte die UN-Behindertenrechtskonvention schon 2009 ratifiziert!?“

„Stimmt ja auch.“

„Ja, aber hätte man dann nicht schon längst …?“

„Selbstverständlich hätte man. Es wäre auch viel günstiger gewesen, wenn man die notwendigen Umbauten schon in der Vergangenheit durchgezogen hätte.“

„Ja, aber … wie begründet die Lokalpolitik das denn?“

„Sinngemäß damit, dass man habe abwarten wollen, ob die Anforderungen durch das Land nicht vielleicht doch noch gesenkt werden und es dann nicht vielleicht doch gereicht hätte, nur eine Schule fit für die Inklusion zu machen statt, wie jetzt, deren vier.“

„Ja, aber – ist das nicht ein ganz bisschen menschenverachtend? Und irgendwie auch … na ja, doof?“

„Zweifellos! Und ein Beispiel für meine o.g. These: Ein Problem aussitzen und abwarten, ob es sich nicht doch von selbst erledigt. Ein weiteres habe ich noch!“

„Nämlich?“

„Die Menschen in diesem Land sind unheimlich gut darin, bis auf Nachkommastellen genau auszurechnen, wann in welcher Branche wie viele Stellen nicht mehr besetzt werden können. Egal, ob es um Kinderärzte, Lehrerinnen oder Pflegekräfte geht – man kann dort präzise voraussagen, wie viele davon beispielsweise 2035 fehlen.“

„Aber?“

„Aber diese Erkenntnis bleibt dann weitgehend konsequenzlos. Ein Rechenspiel ohne Mehrwert. Und wenn dann mal neue Arbeitskräfte in nennenswerter Zahl ins Land kommen, die den Fachkräftemangel vielleicht nicht kurz- oder mittel-, wenigstens aber langfristig abmildern könnten, brüllt der erregte deutsche Michel, mit dessen politischer Bildung, der Bildung allgemein und der Fähigkeit, Dinge außerhalb des eigenen Mikrokosmos zu betrachten, es auch immer weiter bergab geht – aber dazu komme ich später -, der deutsche Michel brüllt in dem Fall dann also irgendwas von „Einwanderung in die Sozialsysteme“. Sie erkennen also, Lübke: In einer Welt, die zögerliches Handeln irgendwann nicht mehr verzeihen wird, sitzt man in der deutschen Politik gerne die Dinge aus, ähnlich wie ein mathematisch mäßig begabter Schüler hofft, dass die Mathearbeit vielleicht ja doch ausfällt – ungeachtet der Tatsache, dass das Problem damit nicht weg, sondern nur verschoben ist.“

„Tja, das …“

„Und diese Koalition! Finden Sie nicht, dass diese Koalition dringend mal einen Mediator bräuchte?“

„Schon, ja.“

„Jemand sagte neulich, die Koalition erwecke den Eindruck eines Ehepaares, dessen Ehe schon lange zerrüttet ist und die nur wegen der Kinder zusammenbleiben – die Kinder wären dann die Deutschen.“

„Treffender Vergleich!“

„Absolut. Manchmal hat man den Eindruck, die Koalitionsparteien betreiben gegeneinander schon Oppositionspolitik, noch während sie in der Regierung sitzen. Ehrlicherweise ist das aber auch kein Wunder, wenn jeden Tag ein FDPler den Mund aufmacht, um Blödsinn zu reden.“

„Wer denn?“

„Na, für gewöhnlich ja Lindner. Der ja vor einiger Zeit anlässlich der Forderung nach einer Verlängerung des 9-Euro-Tickets mit dem Vorwurf der „Gratismentalität à la bedingungsloses Grundeinkommen“ um die Ecke kam. „“Die Menschen auf dem Land, die keinen Bahnhof in der Nähe haben und auf das Auto angewiesen sind, würden den günstigen Nahverkehr subventionieren. Das halte ich für nicht fair.“ hat er gesagt.“

„Und?“

„UND? Selten hat ein Politiker mit so wenig Worten so viel Blödsinn erzählt. Zunächst mal wäre das bedingungslose Grundeinkommen angesichts der Tatsache, dass psychische Erkrankungen eine der häufigsten Ursachen für Ausfallzeiten am Arbeitsplatz und die häufigste für Berufsunfähigkeit darstellen, das wohl wirksamste Instrument, die psychische Gesundheit von Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern beizubehalten, die im Falle eines Jobverlusts wüssten, dass sie immer noch irgendwie existieren könnten, und das ganz ohne sich gegenüber irgendwelchen Ämtern nackig zu machen, bei denen sie ihre Würde am Eingang abgeben müssen, aber das BGE soll uns heute ausnahmsweise mal nicht weiter interessieren. Zurück zu Lindner: Zweitens hat von „gratis“ ja überhaupt niemand etwas gesagt. Einfach nur bezahlbar wäre ja schon schön. Es wurde vorgerechnet, dass ein Preis von 69 Euro gegenzufinanzieren wäre, wenn man im Gegenzug dafür das Dienstwagenprivileg reformieren würde, das den deutschen Steuerzahler 3 Milliarden Euro im Jahr kostet. Das wollte der Lindner aber irgendwie nicht …“

„Warum nur?“

„Tja, keine Ahnung. Jedenfalls: Dann kommt er noch mit dem Argument der Menschen auf dem Land, die den ÖPNV ja nicht wirklich nutzen könnten, ihn aber mitfinanzierten. Erst stellt man den Leuten also einen beschissenen ÖPNV hin und schiebt ihnen dann die Verantwortung für das Auslaufen des 9-Euro-Tickets in die Schuhe. Genial! Und außerdem: Selbst wenn ich den ÖPNV mitfinanziere, ohne ihn zu nutzen: Ich finanziere auch die Instandhaltung von Autobahnen, ohne drauf zu fahren! Ich finanziere auch Polizeieinsätze mit, ohne mich selbst im Stadion zu prügeln. Ich finanziere über meine Steuern anteilig auch die AfD mit, ohne den Reichstag zu stürmen! Mit anderen Worten: Dass man Dinge mitfinanziert, die man selbst nicht nutzt, ist Alltag in Deutschland. Das sollte Herr Lindner in seinem Amt aber bekannt sein.“

„Tja, der Lindner …“

„Na, wenns nur der Lindner wäre! Aber wenn der mal einen Tag an keinem Mikro vorbeikommt oder länger im Bett liegen bleibt, springt sofort der Kubicki in die Bresche. Hier, ganz aktuell: Es gebe „keinen vernünftigen Grund, Nord Stream 2 nicht zu öffnen“ hat er gesagt! Das würde helfen, „dass Menschen im Winter nicht frieren müssen und unsere Industrie nicht schweren Schaden nimmt“, hat er gesagt.

„Ähm, weiß er, dass Krieg herrscht? Dass die Schließung von Nord Stream 2 als Teil der Sanktionen gegen den russischen Aggressor-Autokraten durchaus einen Sinn hat? Dass sich Deutschland anfangs noch dafür kritisieren lassen musste, bei der Durchsetzung von Sanktionen zu zögerlich zu sein?“

„Ja, keine Ahnung! Vielleicht hat er´s vergessen? Vielleicht stellt er sich unter Sanktionen auch eher „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!“ vor. Nun kann man über Nord Stream 2 unterschiedlicher Meinung sein, man kann ja gerne die Meinung vertreten: „Wenn wir eh Gas aus Russland beziehen, ist auch wurscht, wie viel!“. Mein Problem mit Kubickis Äußerung ist die Erwähnung „dass Menschen im Winter nicht frieren müssen“. Denn sind wir mal ehrlich: Die Menschen, die ob ihrer finanziellen Situation und angesichts der ansteigenden Energiepreise wirklich Gefahr laufen, in diesem oder spätestens im nächsten Winter zu frieren, die sind Kubicki, Lindner und ihrem gemeinnützigen Verein doch scheißegal! Um Kubicki das abzunehmen, hat sein Parteikollege mindestens einmal zu oft den „Eure-Armut-kotzt-mich-an-Mittelfinger“ gegen die Bedürftigen in diesem Land ausgestreckt.“

„Auch wahr, ja!“

„Eben! Und deswegen muss da etwas getan werden.“

„Und da kommen Sie ins Spiel, Chef?“

„Exakt!“

„Wie ist denn ihr Plan?“

„Nun, erst mal ist der Auftritt wichtig. Der muss medienwirksam sein. Ich würde vorschlagen, ich entsteige an der Nordmole in Bremerhaven den Fluten, deute also den halb umgefallenen Leuchtturm dort als eine Art himmlisches Fanal um, ein Fan…“

„Höllisches!“

„Was?“

„Sie sagten „himmlisches“ Fanal.“

„Oh, Freudscher Versprecher … jedenfalls …“

„Entschuldigen Sie die Unterbrechung, Chef, aber ich verstehe die Intention hinter diesem Auftritt, daher mein Gegenvorschlag: Wäre es nicht besser, Sie würden den Fluten der Oder entsteigen? Dass das massenhafte Fischsterben das Resultat des Auftauchens des Höllenfürsten ist, glauben die Leute sofort!“

„Guter Gedanke! Okay – ich steige also aus der Oder. Es muss sichergestellt sein, dass dort dann möglichst viele Leute rumlaufen. In einer spontanen Presseerklärung werde ich ihnen dann erläutern, dass ich, der Höllenfürst persönlich, erschienen bin, um sie in eine bessere Zukunft zu führen. Spontan werden sich die ersten ein paar Transparente mit dem Slogan „S. Atan – Höllisch gut!“ bauen und hinter mir her marschieren. Dann gehts Richtung Berlin! Unterwegs werden sich Myriaden Gleichgesinnte anschließen. Und in Berlin stürzen wir dann die Regierung. So eine Art Kapp-Lüttwitz-Putsch halt.“

„Der … hat aber jetzt nicht so gut funktioniert …“

„War auch gut so – aber mein Putsch ist ja zum Wohl der Allgemeinheit.“

„Ja, das sagen sie alle …“

„Was?“

„Ach, nichts … – und wenn die Regierung dann gestürzt ist, wen werden Sie in Ihre berufen? Darf ich davon ausgehen, Vizekanzler werden zu dürfen?“

„Was? Bleiben Sie mal auf dem Teppich! Wen ich in meine Regierung berufen werde? Niemanden! Das war doch bislang Teil des Problems. Zu viele unterschiedliche Meinungen trafen aufeinander. Nein, ich mach das ganz alleine. Und als erste Amtshandlung …“

„Ja?“

„…werde ich verbindliche Tests zu Intelligenz und politischer Bildung durchführen.“

„Warum?“

„Warum? Sagen Sie, Lübke, haben Sie ein paar der Schreihälse in Neuruppin gesehen bzw. gehört?“

„Ähm – ja.“

„Dann sollten sie die Antwort kennen. 300 Leute, die, wohlwollend betrachtet, mit ausreichend Zeit ausgestattet und in gemeinschaftlicher Gruppenarbeit imstande wären, zwei zweistellige Zahlen zu addieren und anschließend ein annähernd richtiges Ergebnis zu präsentieren. Die Thermopylen hätten Sie mit denen nicht verteidigt …“

„Chef, bitte!“

„Na, ist doch wahr!“

„Selbst wenn! Dummheit und politische Unkenntnis sind nicht strafbar.“

„Noch nicht, Lübke, noch nicht. Unter mir aber schon.“

„Das bedeutet …?“

„Das bedeutet: Wer den eben genannten Test nicht besteht, wird nach Österreich ausgewiesen. Kann für beide Länder nur von Vorteil sein …“

„Das lassen Sie mal bloß nicht die Österreicher hören …“

„Pah …“

„Also – halten wir fest: Sie wollen Deutschland zu so einer Art Diktatur umgestalten. Sie wollen so eine Art Säuberungsaktion in der Bevölkerung durchführen, sodass diese, sollten Sie mal in Rente gehen, so eine Art Epistokratie formen könnten, und alle, die dafür, aus welchen Gründen auch immer, nicht geeignet scheinen, schicken Sie nach Österreich, aus dem Sie so eine Art Gulag-Staat machen?“

„Genau!“

„Ähm, Chef, wie … wie erkläre ich Ihnen das!? Also, ähm …nun. Das … wird nicht funktionieren!“

„Warum?“

„Haben Sie irgendwann mal ein Geschichtsbuch in der Hand gehabt?“

„Natürlich. Aber die Leute in Deutschland sind in Teilen doch sowieso schon überzeugt davon, in einer Diktatur zu leben!? Ich gebe ihnen nur, was sie schon zu haben glauben. Außerdem: Wenn mittlerweile schon der Abbas in einer PK unwidersprochen etwas von …“

„Nein, Chef! Nein – für Ihren Plan ist die Welt noch nicht bereit. Tut mir leid.“

„Ach, Mist!“

Ziemlich geknickt wischt S.Atan die Kunststoffspielsteine wieder in die Schachtel …

15 Antworten auf „Neulich in der Hölle … #9

  1. Dad fällt in die Kategorie „traurig aber wahr“. 😅
    Ich glaube ja, es werden einfach die Schüler Politiker, die noch in der 5-Minuten-Pause schnell für eine Klausur lernen und sich dann wundern, warum sie beschissene Noten haben.

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    1. Dem kann ich mich nur anschließend, teuflisch grinsend. Ein grandioser Beitrag, bei dem einem kurz nach dem Auflachen vor Entsetzen der Ton erstirbt. Ich mag das, weil diese Art der Zustandsbeschreibung m. E. das Ausmaß der realen Absurditäten klar in den Vordergrund rückt. Na ja, ich galt auch schon als Kind als nicht ganz normal.
      Anmerken möchte ich dennoch, dass das Kultusministerium aller anderen Berechnungen und vorliegender Zahlen der Geburten zum Trotz, jedes Jahr mit größter Überraschung auf die Höhe der vorliegenden Schüleranmeldungen reagiert, obwohl gerade dort zumindest das Wissen vorhanden sein sollte, dass in der Regel die Neugeborenen nach sechs Jahren sowohl Schulklassen als auch entsprechende Lehrer benötigen.

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      1. Vielen Dank für die Verwendung des Wortes „grandios“, das liest mein Ego gern. ;-) Was die Planungen von Kultusministerien angeht, so bin ich ebenfalls immer wieder erstaunt, dass diese den Eindruck vermitteln, Schülerinnen und Schüker würden einfach irgendwann vor der Tür stehen, ohne dass das jemand vorhersehen konnte … Ähnlich ist es mit der Unterrichtsversorgung an Schulen. Über Art und Umfang der Aushilfsdienste an anderen Schulen bin ich immer wieder irritiert. Ähnlich wie über den statistischen, mit Verlaub, Beschiss, nachdem eine Schule auch dann 100 % Unterrichtsversorgung hätte, wenn das gesamte Kollegium ausschließlich Physik unterrichtet. Ach, ich reg mich nur wieder auf … ;-)

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        1. Tja, hättest du mir das mit dem „alles ist möglich“ vor ungefähr einer Stunde während des Spiels gesagt, hätte ich dir vermutlich so etwas wie „Ach, geh doch weg!“ entgegengezischt – aber jetzt … ;-)

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