„Der weiße Abgrund“ von Henning Boëtius

Buch: „Der weiße Abgrund – Ein Heinrich-Heine-Roman“

Autor: Henning Boëtius

Ausgabe: Hardcover

Verlag: btb

Der Autor: Henning Boëtius, geboren 1939, wuchs auf Föhr und in Rendsburg auf und lebt heute in Berlin. Er studierte Germanistik und Philosophie und promovierte 1967 mit einer Arbeit über Hans Henny Jahnn. Boëtius ist Verfasser eines vielschichtigen Werkes, das Romane, Essays, Lyrik und Sachbücher umfasst. Sein Roman „Phönix aus Asche“ wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Bekannt wurde er außerdem durch seine Kriminalromane um den eigenwilligen niederländischen Kommissar Piet Hieronymus. (Quelle: Random House)

Das Buch: Paris, um 1850. Durch eine unheilbare Krankheit ans Bett gefesselt, versucht Heinrich Heine seinem bevorstehenden Tod ein letztes Werk abzutrotzen: seine Memoiren, die sein Opus magnum werden sollen. An den illustren Diners der Pariser Bohème kann er schon lange nicht mehr teilnehmen. Stattdessen empfängt er gelegentliche Besuche deutscher Exilanten oder französischer Künstlerfreunde. Dann sucht überraschend Elise Krinitz seine Bekanntschaft: eine junge Frau, die Heine bewundert und zugleich hofft, in ihm einen Mentor für ihre eigenen literarischen Ambitionen zu finden. Mit ihr, die er zärtlich-ironisch „Mouche“ nennt, hat er bald darauf eine zwar platonische, aber nicht minder leidenschaftliche „Affäre“. Seine Memoiren aber werden, nachdem Heine am 17. Februar 1856 stirbt, für alle Zeit verschollen bleiben. (Quelle: Random House)

Fazit: Meine Kenntnisse zu Heinrich Heine weisen beklagenswert große Lücken auf, sind im Grunde genommen eine einzige große Lücke. Zwar kenne ich vereinzelte Texte, wie natürlich das „Lied von der Loreley“ oder „Saphire sind die Augen dein“, und ich besitze ein ungelesenes Exemplar seiner gesammelten Werke, aber insgesamt weiß ich wenig.

Aber es gibt so eine Handvoll Dichter, Schriftsteller, Literaten, mit denen muss man sich in meiner Gegend schon allein aus lokalpatriotischen Gründen früher oder später beschäftigen, weil sie hier in der Gegend geboren wurden oder gelebt oder gewirkt haben. Und neben Wilhelm Busch und Hermann Löns und dem heute wohl weitgehend unbekannten Thomas Abbt ist da nun mal in erster Linie Heinrich Heine zu nennen, denn dessen Großvater wurde in meiner fürstentümlichen Heimat geboren, ein paar Steinwürfe entfernt. Allerdings hatte Heine selbst offensichtlich eher weniger Begeisterung für meine heimischen Gefilde übrig, schrieb er doch später in seinem „Wintermärchen“, dass ihm das halbe besagte Fürstentum „an den Stiefeln kleben“ geblieben sei, denn „So lehmigte Wege hab ich wohl/ Noch nie gesehen im Leben.“

Nun, diese Einschätzung sei ihm unbenommen, und vermutlich wüsste er heute auch zu schätzen, dass die einst so lehmigten Wege mittlerweile auch hier flächendeckend asphaltiert sind. All das ist jedenfalls kein Grund, sich nicht endlich doch mal intensiver mit Heine zu beschäftigen, und um nicht gleich mit den Gesammelten Werken zu beginnen, erschien mir ein Einstieg mit einem Roman gerade recht.

Und diese Entscheidung hat sich durchaus gelohnt.

Naturgemäß macht der Autor seinen berühmten Protagonisten zum Hauptelement des Romans, es gelingt ihm aber auch immer wieder, auch ein bisschen abzuschweifen und auf diese Weise ein spannendes, farbiges Sittengemälde der damaligen Zeit zu entwerfen, zumindest hinsichtlich der Pariser Bohème. Auf literarischen Salons und ähnlichen Gesellschaften begegnet die Leserschaft dabei einer Reihe Berühmtheiten. Und was müssen das für Zeiten gewesen sein!? Die Zeiten von George Sand und Louise Colet, von Franz Liszt, Frédéric Chopin und Hector Berlioz, von Flaubert, Baudelaire und Hugo. Und von Gérard de Nerval …

Heute? Die Zeiten von Mario Barth, den Kardashians, Kontra K und Apache 207. Irgendwas muss schiefgelaufen sein … – egal!

Im späteren Verlauf wendet sich der Autor dann den letzten Lebensjahren Heines und inbesondere seiner Liaison mit seiner „Mouche“ Elise Krinitz zu. Und für unkundige Leser wie mich, die nicht über den gesamten Lebensweg Heines detailliert informiert sind, bietet diese Geschichte durchaus eine gewisse Faszination, auch befeuert durch die Geheimniskrämerei die rund um Elise Krinitz gemacht wurde und die sie auch selbst betrieb. Allein deswegen ist „Der weiße Abgrund“ einer dieser Romane, die – zumindest bei mir – unmittelbar nach der Lektüre intensives Google-Studium zur Folge haben. Ich mag so etwas.

Sprachlich bewegt sich Boëtius in seinem Roman auf einem durchgehend hohen Niveau. Es überfordert allerdings an keiner Stelle, zwischendurch schadet es allenfalls nicht, beispielsweise zu wissen, was ein Pleonasmus oder das Risorgimento ist.

Und kaum hat man sich so ein bisschen eingelesen und eingefühlt in diese letzte „Affäre“ Heines und Elises, da sind sie auch schon vorbei, diese überaus lesenswerten 192 Seiten.

Wer einen Hang zu Romanen über berühmte Personen hat oder allgemein ein Faible für Heinrich Heine selbst, der kann ebenso bedenkenslos zugreifen, wie alle, die einfach nur mal wieder einen farbenfrohen und sehr gut erzählten, auf historischen Tatsachen basierenden Roman lesen möchten.

Ich bedanke mich beim Bloggerportal sowie dem btb Verlag für die freundliche Übersendung des Rezensionsexemplars. Die Tatsache, dass es sich um ein Rezensionsexemplar handelt, beeinflusst meine Meinung naturgemäß nicht.

Wertung:

9 von 10 Punkten

Demnächst in diesem Blog: Och, mal schauen …

 

 

8 Antworten auf „„Der weiße Abgrund“ von Henning Boëtius

  1. Der Roman ist wirklich ziemlich stark gearbeitet, sprachlich stark, guter Rahmen, konsequent und dicht durchgeführt. Es ist immerwieder faszinierend, welche Autoren zu regelmäßigen Buchpreiskandidaten werden und welche in dieser Reihe nie gehandelt werden. „Der weiße Abgrund“ ist keinesfalls schwächer als zB Härtlings „Verdi“ oder Echenoz „Ravel“…

    Das hier

    „Und was müssen das für Zeiten gewesen sein!? Die Zeiten von George Sand und Louise Colet, von Franz Liszt, Frédéric Chopin und Hector Berlioz, von Flaubert, Baudelaire und Hugo. Und von Gérard de Nerval …

    Heute? Die Zeiten von Mario Barth, den Kardashians, Kontra K und Apache 207“

    scheint mir allerdings dem Autor etwas in die Suppe zu spucken. Der lässt seinen Heine (&Genossen) ja Produkt und Opfer der gleichen Marktzwänge sein wie die neueren genannten. Und tatsächlich stand Heine an der Spitze eine (durchhaus auch den Kitsch nicht scheuenden) Literatur-Massenmarktes, viele seiner Verse haben da auch genau die richtige Eingängigkeit zu. Dass die „Masse“ damals ein anderes Niveau hatte, lenkt den Blick auf die Klasse: Außerhalb des Bildungsbürgertums taugte man damals noch nicht zum Marktsubjekt. So ist Mario Barth druchaus ein Preis, den man für den sozialen Fortschritt zahlt & zugespitzt ein Ei, dass uns die Sozialdemokratie ins Nest gelegt hat ;)

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    1. Mag sein, dass die SPD schuld am Regenwetter im Sommer hat, wie Rudi Carell feststellte, aber sicher nicht an Mario Barth. Die Arbeiterbewegung hat sich seit ihrer Entstehung um die ganzheitliche Persönlichkeitsbildung der arbeitenden Bevölkerung bemüht, dazu Kultur-, Sport- und Wandervereine gegründet. Der kleinbürgerliche Verflachung der Arbeiterkultur haben die Nazis mit ihrem KdF-Programm begonnen. Mario Barth ist auch kein Phänomen der proletarischen Kultur, sondern der klassen- und schichtübergrreifenden Verblödung.

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      1. Auch eine Schichtübergreifende Verblödung hätte es ohne eine zumindest Zeitweise annäherung der Lebensstandards wohl nicht gegeben. So gesehen ist, obschon das obige vor allem ein Witz war, Herr Barth durchaus analog zur Hegelschen List der Vernunft eine List der Unvernunft, ein Preis, der für gewisse Fortschritte womöglich zu zahlen ist.

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    2. Ich wollte Herrn Boëtius mitnichten in irgendetwas spucken. Der Gedankengang, die entsprechenden Künstler vor dem Hintergrund ihrer Zeit bzw. ihrer „Zielgruppe“ zu betrachten, hat aber natürlich seine Berechtigung, auch wenn es an meiner grundlegende Klage am augenscheinlich schwindenden Niveau in Teilen des Kulturbetriebs wenig ändert. Die SPD wiederum, so sehr ich auch selbst gerne gelegentlich auf „meine“ Partei eindresche, kann dafür aber nicht auch noch verantwortlich gemacht werden, die haben ohnehin weiter genug andere Probleme. ;-)

      Die erwähnten, mir bislang leider gänzlich unbekannten, Herren Härtling und Echenoz nehme ich übrigens gerne mal als Anregung. Herzlichen Dank dafür.

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  2. Heine und die Frauen – ob er die Mouche damit meinte, als er das schrieb? -:)))
    Mene Frau sorgt für mich und pflegt mich wie ein Engel, aber deswegen hört sie dennoch nicht auf, einem Geschlecht anzugehören, das der liebe Gott nicht mit Vernunft erschaffen hat. Das heißt zu gleicher Zeit, dass diese Weiber keine Vernunft haben und daß auch der liebe Gott sie in einer unvernünftigen Stunde erschaffen hat.
    (entnommen dtv Mit scharfer Zunge 999 Apercus und Bonmots)
    Deine Besprechung liest sich gut und macht neugierig.
    Schmunzelgruß , Karin

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    1. Unabhängig von dieser sehr treffenden Darstellung der Frau als solcher, weiß ich das nicht, aber er schrieb in der Tat einige Gedichte „Für die Mouche“. ;-)

      „Es träumte mir von einer Sommernacht,
      Wo bleich, verwittert, in des Mondes Glanze
      Bauwerke lagen, Reste alter Pracht,
      Ruinen aus der Zeit der Renaissance.“ etc.

      Inbesondere der Glanze/Renaissance-Reim hat was, finde ich … ;-)

      Herlichen Dank übrigens, falls die Neugier in eine entsprechende Lektüre umgesetzt wird, freue ich mich immer über eine Rückmeldung, wie es denn gefallen hat. ;-) Zumindest hat der Roman eine möglichst große Leserschaft verdient.

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