„Morduntersuchungskommission“ von Max Annas

Buch: „Morduntersuchungskommission“

Autor: Max Annas

Verlag: Rowohlt

Ausgabe: Hardcover, 352 Seiten

Der Autor: Max Annas, aufgewachsen in Westdeutschland, hat die letzten Jahre der DDR genutzt, um sich dort umzusehen und Freundschaften zu schließen. Im Juli 1989 wurde ihm die Einreise schließlich verwehrt. Er arbeitete lange als Journalist, lebte in Südafrika und wurde für seine Romane «Die Farm» (2014), «Die Mauer» (2016) und «Finsterwalde» (2019) mit dem Deutschen Krimipreis auszgezeichnet. Weitere Veröffentlichungen: «Illegal» (2017) und «Morduntersuchungskommission» (2019). (Quelle: Rowohlt)

Das Buch: An einer Bahnstrecke nahe Jena wird 1983 eine entstellte Leiche gefunden. Wie ist der junge Mosambikaner zu Tode gekommen? Oberleutnant Otto Castorp von der Morduntersuchungskommission in Gera sucht Zeugen und stößt auf Schweigen. Doch Indizien lassen ein Verbrechen aus Rassismus vermuten. Als diese Spur sich nicht länger übersehen lässt, wird die Morduntersuchungskommission angewiesen, die Ermittlungen einzustellen. Denn ein Mord wie dieser ist in der Deutschen Demokratischen Republik nicht vorstellbar. Und was es nicht gibt, wird nicht verfolgt. Also ermittelt Otto Castorp ohne Wissen seiner Kollegen weiter. Und wird dabei beobachtet. (Quelle: Klappentext)

Fazit: Für manche Ereignisse der Geschichte bin selbst ich, man mag es kaum glauben, noch zu jung, um sie wirklixh bewusst miterlebt zu haben. Der Mord am mosambikanischen Vertragsarbeiter Manuel Diogo 1986 durch Neonazis in der DDR gehört dazu. Glücklicherweise hat sich der Autor Max Annas, dessen Roman „Morduntersuchungskommission“ meine erste, aber sicherlich nicht meine letzte Erfahrung mit seinem Werk ist, dieses Themas angenommen, nicht nur, um meine diesbezügliche Wissenslücke zu schließen.

Annas teilt seinen Roman in gut 100 Kapitel von also überschaubarer Größe ein, in denen er einen auktorialen Erzähler die Geschehnisse über einen Zeitraum vom 01.10.1983 bis 16.12.1983 schildern lässt. Dabei braucht die Geschichte etwas, bis sie wirklich in Fahrt kommt, bis sie wirklich beim eigentlichen Thema angekommen ist. Aber bis dahin fällt schon auf, welch überaus guter Erzähler Max Annas ist.

Die Handlung wird in einem eher nüchternen Ton herübergebracht, Annas Stil ist knapp, schnörkellös und pragmatisch. Dies gilt auch für die überzeugenden und lebensnahen Dialoge. Mir erschien diese Vorgehensweise vor dem Hintergrund des Handlungsrahmens als überaus passend und gelungen.

Seinen Figuren widmet sich Annas in ähnlicher Weise. Er hält sich nicht seitenweise mit der Schilderung des gedanklichen Innenlebens seiner Figuren auf, viel mehr werden sie, was insbesondere auf die Mitglieder der namensgebenden „Morduntersuchungskommission“ zutrifft, eingangs einmal mit wenig Stichpunkten charakterisiert, was für die folgende Handlung vollkommen ausreicht, und die weitere Entwicklung der Figuren erfolgt dann eher beiläufig.

Protagonist Otto Castorp merkt man zum Beispiel an, dass er mit den Verhältnissen in der DDR nicht wirklich zufrieden ist. Allerdings wird das dem Leser nicht verdeutlicht, indem der Autor seinen Protagonisten laut und vernehmlich über den Staat schimpfen lässt – auch, weil die Schimpferei dann nur von kurzer Dauer hätte sein können -, sondern indem er ihn beispielsweise anhand eines in Richtung Westen fliegenden Vogels über Freiheit und Grenzen sinnieren lässt. Insbesondere das Bild mit den Vögeln taucht dabei des Öfteren auf.

Auch im Bereich der Handlung findet sich dieses Prinzip der, sagen wir mal, komprimierten Darstellung wieder, das sich schon bei Stil und Charakteren findet. Sobald Annas die Handlung einmal bis zum eigentlichen Thema des Buches gebracht hat, konzentriert sich diese fast ausschließlich auf die Ermittlungen der Kommission, später auf die einzelnen Ermittlungen von Castorp. Diese Vorgehensweise wird lediglich durch einzelne Szenen mit Castorps Familie oder seiner Geliebten unterbrochen.

Anhand seiner Schilderungen macht Annas sehr anschaulich die Situation in der damaligen DDR klar. Denn Nazis, das wissen wir ja alle, gab es in der DDR nicht. Ungefähr so, wie es heutzutage keine Hetzjagden in Chemnitz gab… Dass Annas´ Roman nicht nur deswegen thematisch bis heute aktuell ist, braucht wohl nicht extra erwähnt zu werden…

Diese eben erwähnte Staatsdoktrin ist es, die Castorp Probleme bereitet, denn er ist in erster Linie Polizist und daran interessiert, einen Mord aufzuklären, was ihn letztlich in arge Schwierigkeiten bringt. Mit diesem Leugnen eines Verbrechens durch die Vertreter des Staates, weil nicht sein kann, was nicht sein darf, erinnert Annas´ Roman, zumindest in thematischen Ansätzen an „Kind 44“ von Tom Rob Smith, auch weil Annas ähnlich gut die Stimmung der Zeit und der Ortes transportieren kann, wie es der britische Schriftsteller kann.

„Morduntersuchungskommission“ ist ein sehr lesenswerter, stilistisch sehr gelungener Krimi, dessen Protagonist überzeugt – auch, weil er gerade nicht als strahlender Held gezeigt wird und konzipiert ist -, der aber auch, aufgrund des Themas und der Stimmung, manchmal trist und deprimierend wirken kann.

Sofern mich nicht alles täuscht, stellt „Morduntersuchungskommission“ den Auftakt einer Krimi-Reihe rund um Otto Castorp dar. Man darf gespannt sein, wie der Autor diese Reihe fortführt.

Ich danke dem Bloggerportal und dem Rowohlt-Verlag für die freundliche Übersendung des Rezensionsexemplars.

Wertung:

Handlung: 8,5 von 10 Punkten

Stil: 9 von 10 Punkten

Charaktere: 7,5 von 10 Punkten

Spannung: 8,5 von 10 Punkten

Gesamtwertung: 8, 375 von 10 Punkten

Demnächst in diesem Blog: „Eine Frage der Zeit“ von Alex Capus.

 

 

 

10 Antworten auf „„Morduntersuchungskommission“ von Max Annas

    1. Nein, kein Buch für Dich, das stimmt wohl. :-)

      Und ja, ich habe geschrieben, wobei ich persönlich mit dem Text nur so semi-zufrieden bin, ohne genau zu wissen, woran ich das festmachen könnte …

      Und „jetzt“ stellt schon wieder ein kleines Problemchen dar: Es ist nämlich spät und ich würde angesichts der gruseligen letzten Nacht gerne ins Bett gehen. ;-) Aber insgesamt stelle ich mir Deine Tätigkeit als staatlich geprüfte Arschtreterin ziemlich genau so vor. Weitermachen! ;-)

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        1. Äääähm – okay … – so langsam setzt sich die Erkenntnis durch, mir mit unserer Vereinbarung keinen soooo großen Gefallen getan zu haben … :-) Aber hey, ein bisschen Drill schadet nie. ;-)

          Ich befinde mich übrigens – wohl noch ein ganzes Weilchen – erst mal in so einer Art Brainstorming-Konzeptions-Phase, mit Wortzahlen beschäftige ich mich später.

          Gute Nacht, schlaf gut!

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