Buch: „Senyoria“
Autor: Jaume Cabré
Verlag: Suhrkamp
Ausgabe: Taschenbuch, 444 Seiten
Der Autor: Jaume Cabré, geboren 1947 in Barcelona, ist einer der angesehensten katalanischen Autoren. Neben Romanen, Erzählungen und Essays hat er auch fürs Theater geschrieben und Drehbücher verfasst. Seine Romane wurden vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem spanischen Kritikerpreis und dem französischen Prix Méditerranée, und in zahlreiche Sprachen übersetzt. (Quelle: Suhrkamp)
Das Buch: »Senyoria«, wie sich der Gerichtspräsident von Barcelona gern würdevoll ansprechen läßt, weiß das Leben zu genießen. Mit Vorliebe betrachtet er den fernen Sternenhimmel und die bezaubernden Damen in seiner Gesellschaft. Doch dann geschieht ein Mord und bringt eine Lawine ins Rollen, die »Senyoria« trotz bester Beziehungen nicht aufhalten kann. Wer wußte von dem längst vergangenen, unseligen Vorfall, den er selbst fast vergessen hatte? Am letzten Tag des Jahres 1799, an dem das herrschaftliche Barcelona nur das rauschende Fest zur Jahrhundertwende im Sinn hat, zieht sich die Schlinge immer enger um den mächtigen Gerichtspräsidenten. (Quelle: Suhrkamp)
Fazit: Dass Jaume Cabré mit seinem Roman „Die Stimmen des Flusses“ auch in Deutschland einer größeren Leserschaft bekannt wurde, ging seinerzeit vollständig an mir vorbei. Ich hatte meine erste Begegnung mit seinem Werk in Form seines Romans „Das Schweigen des Sammlers“, welcher so nachhaltige Begeisterung bei mir auslöste, dass ich heute noch gerne an das Buch zurückdenke.
Natürlich habe ich in der Folge auch „Die Stimmen des Flusses“ gelesen, welches mir ähnlich gut gefiel, auch wenn es nicht ganz die selben Begeisterungsstürme verursachte.
Nun begab es sich, dass – es ist nun tatsächlich schon einige Jahre her und seitdem lag das Buch ungelesen bei mir herum – eine ganz zauberhafte Person ihre Wohnstatt wechselte und zu diesem Behufe bemüßigt war, eine möglichst hohe Anzahl an Büchern auszurangieren. Also wühlte ich mich durch die infrage kommen Romane, erspähte den Cabré, verspürte Begeisterung – ich glaube, ich habe sogar eine Art quietschendes Geräusch von mir gegeben – und kurzerhand wechselte ein Buch den Besitzer.
Tja – und da lag es nun also. Jahrelang fristete der Roman ein tragisches Dasein, bis ich ihn – und mich – aus dieser Tristesse befreite und damit den erneuten Beweis antrat für etwas, das ich eigentlich schon lange weiß: Manchmal braucht es für die Lektüre eines Buches ganz einfach den richtigen Zeitpunkt.
Denn ja, so viel kann ich vorwegnehmen, „Senyoria“ ließ mich ähnlich begeistert zurück wie seine weiter oben erwähnten Romane.
Dabei ist die Handlung gar nicht so neu, allerdings im besten Sinne – wie auch die FAZ in ihrer Besprechung schrieb – „zeitlos“: Da ist also der Gerichtspräsident „Senyoria“. Und der lebt in einer eher lieblosen Ehe, die man besser „Zweckgemeinschaft“ nennen könnte. Und daher hat er auch eine Affäre. Und die wiederum bringt Schwierigkeiten mit sich, weil jede Affäre früher oder später Schwierigkeiten mit sich bringt.
Und um sich selbst aus diesen Schwierigkeiten zu befreien, sieht er sich gezwungen, unbescholtene Menschen dafür in selbige zu bringen und spinnt ein Netz aus Intrigen und Machtmissbrauch.
So weit, so verkürzt, so bekannt. Eigentlich.
Doch Cabré gelingt es, eine augenscheinlich schon öfter so oder ähnlich gelesene Geschichte so zu präsentieren, dass man als Leser gerne am Ball bleibt.
Einerseits liegt das an den Figuren, die Cabrés Roman bevölkern und die Intensität, mit der er sich ihnen widmet. Als Beispiele sollen hier mal einerseits der titelgebende Senyoria dienen, ein Lebemann, der ganz auf den guten Schein bedacht ist, der skupellos andere Menschen verurteilen kann, um sich selbst zu retten. Aber eben auch ein Mann, der nahe an der Witzfigur balanciert, wenn er wieder und wieder als unsicherer, hormongesteuerter Schürzenjäger gezeigt wird. Bis zum Ende wusste ich eigentlich nie so ganz, ob ich ihn verdammen oder ihm ungeachtet all seines schändlichen Treibens ein gutes Ende wünschen sollte.
Zum anderen sei hier der junge Andreu genannt, der unter den Ränkespielen Senyorias leiden muss, indem er unschuldig im Gefängnis sitzt und um sein Leben fürchten muss. Und eben diese Furcht schildert Cabré sehr eindringlich und macht aus Andreu insgesamt einen Mann, der in vollem Bewusstsein dessen, was ihn erwarten könnte, zu dem steht, was er getan – oder besser nicht getan – hat und den man als Leser einfach gerne haben muss.
Das Ganze kleidet Cabré dann noch in eine Sprache, die die Atmosphäre des Barcelona im ausgehenden 18. Jahrhundert glaubhaft rüberbringt. Der Autor erinnert mich in stilistischer Hinsicht an Carlos Ruiz Zafón, ohne das jetzt an Beispielen belegen zu können. Und wer Zafón mal gelesen hat, weiß, dass man mit schlechteren Autoren verglichen werden kann.
Wer also einen stilistisch hochwertigen historischen Roman mit nachvollziehbaren Figuren lesen möchte, dem kann ich „Senyoria“ wärmstens empfehlen.
Wertung:
Handlung: 8 von 10 Punkten
Charaktere: 8,5 von 10 Punkten
Stil: 9,5 von 10 Punkten
Atmosphäre: 9,5 von 10 Punkten
Gesamtwertung: 8,875 von 10 Punkten
Demnächst in diesem Blog: „Martini für drei“ von Suzanne Rindell.
Super Besprechung!
Ich finde alle Romane des Cabré toll und wie es Gott will auch den hier obwohl ich ihn noch nicht gelesen habe. Wird sofort nachgeholt!
Liebe Abendgrüße vom Lu
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Herzlichen Dank! Dass Dir die anderen Romane gefallen, ist schon mal eine gute Grundvoraussetzung, dann sehe für „Senyoria“ gute Chancen. :-)
Mit „Eine bessere Zeit“ ist gerade erst letztes Jahr ein schon älterer Roman auf deutsch erschienen, der bis jetzt auch an mir vorbeiging. Ich werde berichten … ;-)
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Oh die anderen beiden Romane von ihm fand und finde ich absolut großartig, ja fesselnd von Anfang bis Ende!
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