Extraetüden KW 27 I

 

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

ganz ehrlich: An Tagen, an denen mich die Radiosender meines Vertrauens mit Dingen wie Metallicas „Fuel“ sowie der Dave Matthews Band („The Space Between“) beschallen, möchte ich mich eigentlich mit Radio und Eiskaffee in den Garten setzen und der heimischen Vogelpopulation, die jüngst um einige Hausrotschwanz-Exemplare erweitert wurde, beim Fliegen zusehen.

Nun kann man ja leider eben nicht immer machen, was man gerne würde.

Manchmal aber doch, deswegen steht zwischen mir und dem Beginn des Ernsts des Tages ein Extraetüde, für deren Organisation wie üblich Christiane verantwortlich zeichnet. Somit habe ich ausnahmsweise – was mir, wie man sich vielleicht denken kann, sehr entgegenkommt – 500 statt der üblichen 300 Worte zur Verfügung und darf mir fünf der sechs Worte aus den Wortspenden von Werner Kastens und von Viola aussuchen. Mal schauen, wo das Ganze hinführt …

 

„Heute ist Tag des Witzes!“

„Okay, hau mal einen raus!“

„Nein – einerseits kann man meinen Lieblingswitz heutzutage nicht mehr in der Öffentlichkeit …“

„Wir sind unter uns!?“

„…nicht mehr in der Öffentlichkeit erzählen, andererseits ist mir nicht nach Witzen.“

„Wieso? Macht Dir der wohl unabwendbare Sitzungsmarathon zum EU-Kommissionsvorsitz zu schaffen?“

„Oh, bitte! Als gäbe es nichts Wichtigeres als diesen Eiertanz. Und der Ziemiak – dessen ausdrücklicher Freund ich ohnehin nicht bin …“

„Merkt man gar nicht …!“

„…der stellt sich hin und sagt, der Weber müsse jetzt aber auch Kommissionspräsident werden und das war so abgemacht und mimimi und wenn man nicht so entscheide, dann sei das „eine Schwächung unseres Systems„.“

„Ach was!?“

„Ja, spannend, oder!? Anstatt sich jetzt Mehrheiten zu suchen, sozusagen auf Stimmenfang zu gehen, was ein demokratischer Vorgang wäre, wirft sich Ziemiak auf den Boden und hält die Luft an, bis Weber inthronisiert ist. Nuuur keine Abweichung vom Prozedere.“

„Dann ist es der SPD-Vorsitz?“

„Ach, Quatsch! So lange es nicht Gesine Schwan wird, isses mir wurscht.“

„Weil?“

„Ja, der könnte den Job machen.“

„Nein, ich meine: Warum sollte sie es nicht werden?“

„Oh, sie sagte in einem Interview wörtlich: „Ich kann Flüchtlinge nicht in eine Gesellschaft hineinschicken, in der sich 20 Prozent der Bevölkerung materiell oder kulturell abgehängt fühlen, ohne die Gerechtigkeitsfrage zu stellen.“ Gefolgt von dem Vorschlag: „…die Aufnahme von Flüchtlingen auf der Ebene von Kommunen zu regeln und die Menschen dabei mitentscheiden zu lassen.“

„Muhahahahahaha!“

„Ja, witzig, oder!?“

„Eigentlich nicht – und ich habe trotzdem nicht das Gefühl, dass es das ist, was Dir die Laune verhagelt.“

„Nein. Was mir die Luftröhre verengt ist, dass die EU die Seenotrettung de fakto in private Hände gegeben hat – ein bisschen so, wie hierzulande die Tafeln dafür sorgen, dass die Menschen von ihrem ALG-II-Satz tatsächlich überleben können – und wenn diese Privatpersonen, namentlich in Person von Carola Rackete dann helfen, kriminalisiert man sie und sperrt sie einfach weg. Das ist doch, mit Verlaub, völlig gestört. Welch trüber Tasse fällt so etwas ein!?“

„Salvini?“

„Touché! Aber es kann das doch nicht angehen, dass jemand für Jahre in den Bau soll, nur weil sie Menschenleben retten wollte. Und unsere Politiker? Weitgehendes Schweigen. Nur der Bundespräsident hat sich geäußert und der Entwicklungshilfeminister Müller fordert im Interview die sofortige Freilassung. Aber sonst …“

„Moment – Heiko Mass hat dazu getwittert!“

„Oh – er hat getwittert! Na, da werden sich die italienischen Verantwortlichen ja geradezu einpullern vor Angst!“

„Es gibt keinen Grund für Sarkasmus!“

„Oh doch, den gibt es, nur so ist dieser gesamte Vorgang zu ertragen. Oder Äußerungen wie die vom FDPler Bijan Djir-Sarai.“

„Was hat er gesagt?“

„Die Rechtsstaatlichkeit ist außerordentlich gefährdet, wenn unter Berufung auf gesinnungsethische Motive Gesetze gebrochen werden.“

„Was für ein …“

„Allerdings! Was der AfDler Petr Bystron sagt, erspare ich Dir lieber.“

„Der Name klingt jetzt nicht AfD-typisch.“

„Nö – seine Familie floh mit ihm 1987 aus der Tschechoslowakei nach Deutschland und beantragte politisches Asyl.“

„Man könnte es für Realsatire halten, wenn man es nicht besser wüsste.“

„Japp! Und für komisch, wenn es nicht so traurig wäre.“

„Die Kanzlerin …?“

„Schweigt …“

 

500 Worte.

 

14 Antworten auf „Extraetüden KW 27 I

  1. Mich interessiert dabei mal die Frage, was sie oder ihre Kollegen mit den Schiffbrüchigen machen soll, die sie ja wohl durchaus verpflichtet ist, nicht ertrinken zu lassen. Wie ist denn da – bürokratisch rechtlich korrekt – die Lage? Anders gesagt: was hätte die Kapitänin tun müssen, um sich nicht strafbar zu machen? In internationalen Gewässern verharren, bis alle verhungert und verdurstet sind?

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    1. Überspitzt formuliert – ja!

      Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (!) hat vor einigen Tagen einen Eilantrag der Sea-Watch 3, die italienische Küste anlaufen zu dürfen, abgelehnt, mit der Begründung, dass Alte, Kranke, Schwangere, Familien, das Schiff bereits verlassen hätten und für die restlichen Menschen an Bord keine unmittelbare Gefahr bestünde. So hätte also in internationalen Gewässern bleiben müssen – die Flüchtlinge zurück nach Afrika schippern, wäre in der europäischen Denkweise wohl auch okay gewesen, ungeachtet der Frage, wo die eigentlich genau herkommen … – und dort hätte man die Passagiere und Besatzung regelmäßig mit dem Nötigsten versorgen müssen. Das wäre okay gewesen, in den Hafen einfahren offensichtlich nicht.

      Die italienischen Gesetze scheinen im Rang über Artikel 3 der Menschenrechte zu stehen …

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  2. Ich verstehe derzeit die Menschen nicht. Reden von Rechtsstaat vergessen aber das elementarste Menschenrecht – das Recht auf Leben. Die Diskussion ist zu abstrakt geworden.
    Tolle Etüde über weniger tolle Zeiten.
    Grüße, Katharina

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  3. Asselborn aus Luxemburg und der aus Belgien haben sich stärker für Rackete eingesetzt als einer von unseren Hanseln. Bedform-Strom (heißt der so? Keine Ahnung von Kirche), sagt man muss Menschen retten und Frau Rackete muss frei, die Evangelische Kirche will Frau Rackete per Petition rausholen (das ist löblich und ich habe es auch unterschrieben, aber ich bezweifele, dass das funktioniert, Salvini ist nämlich kein Christ, sondern ein egozentrisches Arschloch, der den Papst persönlich ignorieren würde, wenn der käme und sagen würde „Schluss jetzt, Matteo! Liebe deine Nächsten und gib die Frau frei!“) und Maas twittert… Hinfliegen, die Frau rausholen und die Leute, die auf dem Schiff waren mitbringen und auf die 66 aufnahmewilligen Städte verteilen, kann doch nicht so schwer sein, seinen Job zu machen.

    Es ist übrigens der zweite Monat in Folge, in dem ich mir vorgenommen habe in der ersten Woche Twitter-Pause zu machen und dann kommt was dazwischen…

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  4. Realsatire. Dazu fällt einem irgendwie nichts weiter ein.
    Allerdings mir, dir zu danken, dass du dich in Extraetüdenform aufregst. Auch ein netter Start in den Montag. ;-)
    Und, äh, ja, die Wörter, die habe ich gesucht, wobei mir klar war, dass kein Froschkönig drin vorkommen würde.
    Einen guten Tag dir!
    Liebe Grüße
    Christiane :-D

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    1. Herzlich gerne! Ich sage immer sinngemäß: „Die Fähigkeit, mich aufzuregen, ist das eindeutigste Indiz dafür, dass mir noch nicht alles scheißegal ist!“ :-) Daher muss aufregen von Zeit zu Zeit sein.

      Es wäre ja übrigens nicht das erste Mal gewesen, dass ich die Wörter vergessen hätte, deswegen bin ich ganz froh, dass es mir noch aufgefallen ist. Und nein, für „Froschkönig“ fiel mir diesmal nun wirklich keine plausible Verwendung ein. Ich bin einfach zu wenig märchenaffin, oder wie man das nennen mag.

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    1. Ich hänge irgendwie manisch-perfektionistisch an dieser Wörtergrenze. :-) Und die genau zu erreichen, war diesmal gar nicht so einfach, denn eigentlich war der Text schon fertig, als mir einfiel, dass ich vielleicht mal die vorgegebenen Worte einbauen sollte … ;-)

      Vielen, lieben Dank, ich wünsche Dir einen ebenso wundervollen Tag und weiß für mich, dass ich einen solchen haben werde.

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